Corona-Sondervermögen zur Pandemiebewältigung geschaffen
In Rheinland-Pfalz wurde – wie auch in den meisten anderen Ländern und auf Bundesebene – nach Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 durch Gesetz ein Sondervermögen "Zur nachhaltigen Bewältigung der Corona-Pandemie" geschaffen. Aus dem Sondervermögen sollten verschiedene Maßnahmen unter anderem in den Bereichen Breitbandausbau, Gesundheitsvorsorge, Wirtschaftsförderung, Klimaschutz und Schulbetrieb bis längstens zum Ende des Jahres 2023 finanziert werden. Die Ausstattung des Sondervermögens erfolgte durch Zuführung von Mitteln in Höhe von knapp 1,1 Milliarden Euro aus dem Landeshaushalt sowie aus weiteren Mitteln des Bundes.
Neuverschuldung unter Berufung auf "außergewöhnliche Notsituation"
Zeitgleich mit dem Corona-Sondervermögensgesetz verabschiedete der Landtag das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2020, das eine Nettokreditaufnahme von knapp 3,5 Milliarden Euro veranschlagte. Einen Teil der neuen Schulden in Höhe von etwa 1,2 Milliarden Euro nahm der Haushaltsgesetzgeber unter Berufung auf die Bestimmung des Art. 117 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a der Verfassung für Rheinland-Pfalz (RhPfVerf) auf, die als Ausnahme von der seit 2020 geltenden Schuldenbremse eine Kreditaufnahme bei Naturkatastrophen oder anderen außergewöhnlichen Notsituationen zulässt. Nach der Begründung des Haushaltsgesetzgebers handelt es sich bei der Corona-Pandemie um eine solche außergewöhnliche Notsituation.
AfD rügte Verstoß gegen Schuldenbremse
Mit ihrer gegen das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2020, das Corona-Sondervermögensgesetz sowie das Landeshaushaltsgesetz 2021 erhobenen abstrakten Normenkontrolle machte die Antrag stellende AfD-Landtagsfraktion einen Verstoß gegen die Schuldenregel der Landesverfassung sowie gegen mehrere haushaltsverfassungsrechtliche Grundsätze geltend.
VerfGH: Corona-Sondervermögen teils verfassungswidrig
Der VerfGH hat Teile des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2020 sowie des Corona-Sondervermögensgesetzes für unvereinbar mit der Landesverfassung erklärt. Die Verwendung von Mitteln des Sondervermögens in den Bereichen Breitbandausbau und Unternehmensförderung im Umweltbereich mit einem Gesamtvolumen von circa 172 Millionen Euro sei mit der Schuldenregel der Landesverfassung unvereinbar.
Ausnahme von Schuldenbremse erfordert Veranlassungszusammenhang mit Pandemie
Die in der Landesverfassung für außergewöhnliche Notsituationen vorgesehene Ausnahme vom Verbot der Neuverschuldung setze voraus, dass zwischen der außergewöhnlichen Notsituation und der Kreditaufnahme ein Veranlassungszusammenhang bestehe. Neue Schulden dürften nur für solche Maßnahmen aufgenommen werden, die gezielt und zweckgerichtet auf die Überwindung der Notlage gerichtet seien. Liege eine außergewöhnliche Notsituation vor, verlange die Verfassung vom Haushaltsgesetzgeber allerdings nicht, vor einer Kreditaufnahme alle innerhalb des Haushalts denkbaren Möglichkeiten zur Konsolidierung vollständig auszuschöpfen. Die Ausnahmeregelung des Art. 117 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a RhPfVerf diene vielmehr dazu, die Handlungsfähigkeit des Staates in Krisen ungeschmälert zu gewährleisten. Auch müssten nicht vorrangig sämtliche im Haushalt vorhandenen Rücklagen aufgebraucht werden.
Zusammenhang fehlt bei Breitbandausbau und Unternehmensförderung im Umweltbereich
Laut VerfGH ist das Corona-Sondervermögen unter Berücksichtigung dieser Maßgaben nur insoweit zu beanstanden, als Landesmittel für den Ausbau der digitalen Infrastrukturen sowie zur konjunkturellen Belebung und Minderung der pandemiebedingten Belastungen der Unternehmen im Erneuerbare-Energien- und Umweltbereich vorgesehen seien. Zwar liege es auf der Hand, dass sich durch die Corona-Pandemie dringende Bedarfe zum Ausbau der digitalen Infrastruktur ergäben. Allerdings habe der Haushaltsgesetzgeber bereits im Jahr 2018 mit hohen Mittelbedarfen zum Ausbau der digitalen Infrastruktur in den kommenden Jahren gerechnet und diese – vor Beginn der Corona-Pandemie – im Doppelhaushalt 2019/2020 auch veranschlagt. Was die Landesmittel für die Unternehmensförderung speziell im Umweltbereich anbelange, sei ein zeitlich-inhaltlicher Zusammenhang mit der Corona-Pandemie nicht erkennbar.
Corona-Sondervermögen im Übrigen verfassungskonform
Die übrigen Maßnahmen aus den Bereichen Medizin, Bildung, Wirtschaft und Kommunalfinanzen wiesen demgegenüber den nach der Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse erforderlichen hinreichenden Veranlassungszusammenhang zur Corona-Pandemie auf. Vor der Kreditaufnahme habe der rheinland-pfälzische Haushaltsgesetzgeber insbesondere auch nicht die vorhandene Haushaltssicherungsrücklage in Höhe von circa einer Milliarde Euro auflösen müssen. Es genüge insoweit, dass sich der Gesetzgeber mit der Möglichkeit einer Auflösung befasst und tragfähige Gründe – hier erhebliche Risiken für den Haushaltsvollzug der nächsten Jahre, unter anderem Bedarfe für zukünftig notwendige Zahlungen im Kommunalen Finanzausgleich – für deren Beibehaltung dargelegt habe.
Kein Verstoß gegen Budgetrecht des Parlaments
Soweit das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2020 und das Corona-Sondervermögensgesetz mit der Schuldenregel des Art. 117 RhPfVerf vereinbar seien, stehe dem Corona-Sondervermögen auch sonstiges Haushaltsverfassungsrecht, insbesondere das Budgetrecht des Parlaments, nicht entgegen. Zwar werde mit dem Corona-Sondervermögensgesetz ein Einnahmen- und Ausgabenkreislauf außerhalb des Haushaltsplans eingerichtet, der die Grundsätze der Haushaltsvollständigkeit und Haushaltseinheit berühre. Das Corona-Sondervermögen sei allerdings mit Blick auf sein Volumen und den begrenzten Geltungszeitraum nicht von struktureller Bedeutung für das Budgetrecht des Landtags.