Kommunaler Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz muss neu geregelt werden

Der kommunale Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz ist mit der Landesverfassung unvereinbar. Dies hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz am 16.12.2020 entschieden. Der Landesgesetzgeber muss nun bis spätestens zum 01.01.2023 eine verfassungskonforme Neuregelung schaffen. Erforderlich sei, dass er den aufgabenbezogenen Finanzbedarf der Kommunen zur Grundlage des Finanzausgleichssystems macht.

Gegenwärtiges Finanzausgleichssystem

Die Gemeinden und Gemeindeverbände in Rheinland-Pfalz erhalten vom Land im Wege des kommunalen Finanzausgleichs Zuweisungen nach den Vorschriften des Landesfinanzausgleichsgesetzes (LFAG). Diese Zuweisungen werden im Wesentlichen aus der sogenannten Verbundmasse gespeist, in die ein vom Gesetzgeber festgelegter prozentualer Anteil des dem Land zustehenden Aufkommens an bestimmten Steuern fließt. Die aus der Verbundmasse resultierende Finanzausgleichsmasse wird auf allgemeine und zweckgebundene Finanzzuweisungen aufgeteilt, deren Beträge im Landeshaushaltsplan festgesetzt werden.

Kommunaler Finanzausgleich 2012 teilweise für verfassungswidrig erklärt

Die Verfassungsmäßigkeit des kommunalen Finanzausgleichs sowie einzelner Teilkomponenten war wiederholt Gegenstand von Entscheidungen des VerfGH. Auf eine Richtervorlage erklärte er 2012 (BeckRS 2012, 4220) Teile des für die Jahre 2007 bis 2013 geltenden LFAG für verfassungswidrig. Zugleich wurde der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 01.01.2014 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen und hierbei einen "spürbaren Beitrag" zur Bewältigung der kommunalen Finanzkrise zu leisten.

Klagen gegen Finanzzuweisungen nach reformierten Finanzausgleich

Mit dem Landesgesetz zur Reform des kommunalen Finanzausgleichs vom 08.10.2013 hat der Gesetzgeber eine Neuregelung von Teilen des kommunalen Finanzausgleichs vorgenommen. Gegen die auf der Grundlage des reformierten LFAG bewilligten Finanzzuweisungen für die Jahre 2014 und 2015 wandten sich die Kläger der fachgerichtlichen Verfahren, die Stadt Pirmasens (VGH N 12/19 und VGH N 13/19) und der Landkreis Kaiserslautern (VGH N 14/19).

Richtervorlagen an VerfGH

Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße setzte die Verfahren im Jahr 2019 aus und bat den VerfGH im Wege der konkreten Normenkontrolle um Prüfung, ob die Bestimmungen des LFAG in der für die Jahre 2014/2015 maßgeblichen Fassung mit der Landesverfassung vereinbar sind. Nach Auffassung des VG sind die verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen an eine legislatorische Entscheidung über den kommunalen Finanzausgleich nicht eingehalten worden. Darüber hinaus verstießen die Bestimmungen über die Finanzzuweisungen innerhalb des Steuerverbundes in materiell-rechtlicher Hinsicht gegen die Verfassung.

VerfGH: Kommunaler Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz verfassungswidrig

Der VerfGH hat die Vorschriften über die Finanzausgleichsmasse und die Finanzzuweisungen (§§ 5 bis 18 LFAG) ab dem Jahr 2014 für unvereinbar mit der Landesverfassung erklärt. Zur Sicherstellung einer geordneten Finanz- und Haushaltswirtschaft blieben sie zwar vorübergehend weiterhin anwendbar. Allerdings müsse der Gesetzgeber bis spätestens 01.01.2023 eine verfassungsgemäße Neuregelung des kommunalen Finanzausgleichs treffen.

Kommunale Finanzausstattung muss aufgabenadäquat sein

Verfassungsrechtlicher Maßstab zur Prüfung der §§ 5 bis 18 LFAG sei Art. 49 Abs. 6 RhPfVerf in Verbindung mit Art. 49 Abs. 1 bis 3 der Verfassung für Rheinland-Pfalz (RhPfVerf). Die Verfassungsnorm gewährleiste den Gemeinden und Gemeindeverbänden eine Finanzausstattung, die ihnen die Erfüllung aller zugewiesenen und im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung auch die Wahrnehmung (jedenfalls eines Mindestbestandes) selbstgewählter Aufgaben ermögliche. Zentrales Element des Art. 49 Abs. 6 RhPfVerf sei damit der vom VerfGH bereits in seinem Urteil aus dem Jahr 2012 angesprochene Aufgabenbezug des kommunalen Finanzausgleichs. Das sich aus Art. 49 Abs. 6 RhPfVerf ergebende Gebot einer aufgabenadäquaten kommunalen Finanzausstattung garantiere indes keine Vollfinanzierung kommunaler Aufgaben im Sinne einer kompletten Kostenerstattung durch das Land. Aus der Pflicht zur Sicherung der "erforderlichen Mittel" nach Art. 49 Abs. 6 S. 1 RhPfVerf folge vielmehr, dass Aufwendungen der Kommunen, die das Gebot wirtschaftlicher und sparsamer Haushaltsführung nicht beachteten, unberücksichtigt bleiben dürfen. Zudem habe das Land zu prüfen, ob die Gemeinden und Gemeindeverbände ihre Einnahmepotentiale umfassend ausgeschöpft hätten.

Unterschreitung nur in außergewöhnlichen Notsituationen

Wegen der prinzipiellen Gleichwertigkeit staatlicher und kommunaler Aufgaben dürften bei der Bemessung der kommunalen Finanzausstattung die Belange des Landes nicht außer Acht gelassen werden. Allerdings seien dem Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Landes enge Grenzen gesetzt. Namentlich komme eine Unterschreitung der aufgabenadäquaten kommunalen Finanzausstattung nur in extremen finanziellen Notlagen des Landes im Sinne von außergewöhnliche Notsituationen (Art. 117 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a RhPfVerf) in Betracht.

Aufgabenbezogene Bedarfsermittlung erforderlich

Bei der Ausgestaltung des vertikalen Finanzausgleichs stehe dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Dieser finde seine Grenze allerdings in Art. 49 Abs. 6 S. 1 RhPfVerf, wonach die Aufgaben der Kommunen den verfassungsrechtlichen Maßstab zur Bestimmung der angemessenen Finanzausstattung bildeten. Auf die danach geforderte aufgabenbezogene Bedarfsermittlung könne das Land auch nicht unter Verweis auf die Komplexität und den Aufwand entsprechender Analyseverfahren verzichten, zumal der Gesetzgeber schätzen und pauschalieren dürfe.

Verfahrensrechtliche Absicherungen

Das Gebot eines aufgabengerechten Finanzausgleichs werde durch verfahrensrechtliche (prozedurale) Vorgaben abgesichert, die sich der Struktur der gesetzgeberischen Entscheidung über den Finanzausgleich und dem Schutzzweck des Art. 49 Abs. 6 Satz 1 RhPfVerf entnehmen ließen. Der Gesetzgeber habe eine realitätsnahe Ermittlung der Kosten sowohl der Pflichtaufgaben der Selbstverwaltung als auch der den Kommunen übertragenen staatlichen Aufgaben vorzunehmen und ihre Einnahmequellen zu betrachten. Die wesentlichen Ergebnisse seiner (Bedarfs-)Ermittlungen und seine hierauf fußenden Erwägungen habe der Gesetzgeber durch Aufnahme in die Gesetzesmaterialien transparent zu machen. Auf diese Weise werde auch eine (verfassungsgerichtliche) Kontrolle ermöglicht, ob er sich im Rahmen seines Ermessens- und Beurteilungsspielraums bewege. Zudem habe der Gesetzgeber die Stimmigkeit des kommunalen Finanzierungssystems in angemessenen Abständen zu überprüfen.

Aufgabenbezug fehlt beim gegenwärtigen Finanzausgleichssystem

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben kommt der VerfGH zu dem Ergebnis, dass der im Jahr 2014 reformierte kommunale Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz verfassungswidrig ist. Der von Art. 49 Abs. 6 RhPfVerf geforderte Aufgabenbezug fehle beim gegenwärtigen Finanzausgleichssystem, das die anhand eines Verbundquotenmodells ermittelte Finanzausgleichsmasse lediglich unter Berücksichtigung der Einnahmeentwicklung des Landes fortschreibe. Die konkret zur Überprüfung gestellten Vorschriften sicherten den Gemeinden und Gemeindeverbänden daher nicht "die zur Erfüllung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel" im Sinne des Art. 49 Abs. 6 S. 1 RhPfVerf.

Hinweise für Neuregelung

Im Rahmen der Neuregelung komme dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der verfassungsrechtlich durch die Finanzausstattungsgarantie des Art. 49 Abs. 6 RhPfVerf eingehegt werde. Während die kommunale Finanzausstattung als solche aufgaben- und bedarfsorientiert ausgestaltet sein müsse, enthalte die Verfassung hinsichtlich des konkreten Berechnungsmodells keine näheren Vorgaben. Gerade bei der Ermittlung und Bewertung der erforderlichen Daten sei der Gesetzgeber aber nicht auf sich allein gestellt, sondern könne etwa den Landesrechnungshof in das Verfahren einbinden. In diesem Zusammenhang enthält das Urteil auch einige nicht unmittelbar verbindliche Hinweise und Bausteine für eine zu treffende Neuregelung.

VerfGH mahnt Entlastung stark verschuldeter Kommunen an

Schließlich sei das Land an die bereits 2012 angemahnte Entlastung der stark verschuldeten Kommunen zu erinnern. Die Wirkungen des von Art. 49 Abs. 6 RhPfVerf geforderten aufgabenadäquaten Finanzausgleichs könnten sich flächendeckend nur entfalten, wenn die mit Kassenkrediten belasteten Kommunen in die Lage versetzt würden, diese abzubauen und so dauerhaft zu einem materiellen Haushaltsausgleich zu finden. Ohne die Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel zu diesem Zweck erscheine dies nach wie vor ausgeschlossen.

VerfGH RhPf, Urteil vom 16.12.2020 - N 12/19

Redaktion beck-aktuell, 16. Dezember 2020.