Nordrhein-westfälische Städte mit Durchführung des Prostituiertenschutzgesetzes nicht verfassungswidrig belastet

Die Städte Bielefeld, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen und Köln sind mit ihrer Kommunalverfassungsbeschwerde gegen die nordrhein-westfälische Durchführungsverordnung zum Prostituiertenschutzgesetz vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes gescheitert. Dieser erteilte der Ansicht der Städte, der Verordnungsgeber habe keinen verfassungsgemäßen Ausgleich für die ihnen dadurch entstehenden finanziellen Belastungen geschaffen, eine Absage.

Streit um Kosten der Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes

Mit dem am 01.07.2017 in Kraft getretenen Prostituiertenschutzgesetz hat der Bundesgesetzgeber erstmals umfassende Regelungen zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen geschaffen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat die aus diesem Gesetz folgenden behördlichen Aufgaben mit der beanstandeten Durchführungsverordnung den Kreisen und kreisfreien Städten übertragen. Die Beschwerdeführerinnen hatten mit ihrer Kommunalverfassungsbeschwerde geltend gemacht, sie seien wegen der damit verbundenen Aufgabenveränderungen in ihrem durch die Landesverfassung gewährleisteten Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung, insbesondere in seiner Ausprägung durch die Konnexitätsbestimmung in Art. 78 Abs. 3 der Landesverfassung (LV), verletzt. Denn der Verordnungsgeber habe keinen verfassungsgemäßen Ausgleich für die dadurch entstehenden finanziellen Belastungen geschaffen.

Vorwurf: Begriff der "wesentlichen Belastung" falsch bestimmt

Zur Begründung hatten die Beschwerdeführerinnen im Wesentlichen vorgebracht, der Verordnungsgeber habe den Begriff der "wesentlichen Belastung", die die Landesverfassung für einen Belastungsausgleich voraussetze, fehlerhaft bestimmt. Auch habe er die Kosten eines weiteren Gesetzes, das in die Kostenfolgeabschätzung einzubeziehen gewesen sei, nicht zutreffend berücksichtigt. Schließlich sei die Auffassung des Verordnungsgebers verfassungswidrig, dass ein Belastungsausgleich jeweils nur für das Jahr zu leisten sei, in dem eine wesentliche Belastung vorliege. Sei die Schwelle der "Wesentlichkeit" – wie hier für das Jahr 2017 – einmal überschritten, müsse ein Belastungsausgleich auch für die Folgejahre geschaffen werden, selbst wenn in diesen jeweils keine wesentliche Belastung gegeben sei.

VerfGH sieht wesentliche Belastung durch Verordnungsgeber zutreffend bestimmt

Dem ist der VerfGH nicht gefolgt. Die Annahme des Verordnungsgebers, eine wesentliche Belastung, die nach Art. 78 Abs. 3 Satz 2 LV Voraussetzung für einen Belastungsausgleich ist, liege im Regelfall und so auch hier erst dann vor, wenn eine Schwelle von 0,25 Euro pro Einwohner im (Haushalts-)Jahr überschritten sei, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie entspreche dem Willen des (verfassungsändernden) Gesetzgebers, der aus den Materialien zur Einführung des sogenannten strikten Konnexitätsprinzips in die Landesverfassung im Jahr 2004 erkennbar sei. Seither hätten sich die tatsächlichen Umstände nicht derart zulasten der Kommunen verändert, dass dieser Betrag inzwischen seine sachliche Rechtfertigung verloren haben könnte.

Ungleiche Belastung der Kommunen gebietet keinen anderen Maßstab

Auch ungleiche Belastungen der von der Aufgabenübertragung betroffenen Kommunen geböten es nicht, einen anderen Maßstab für die Bestimmung der "Wesentlichkeit" der Belastung anzulegen, so der VerfGH. Dasselbe gelte für Unsicherheiten bei der Abschätzung der Kostenfolgen, die darauf zurückzuführen sind, dass sich das Prostitutionsgewerbe im Zeitpunkt der Aufgabenübertragung in einem juristischen Graubereich und Milieu gesellschaftlicher Stigmatisierung befand und deshalb die Datenlage sehr eingeschränkt war.

Kosten weiteren Gesetzes allenfalls rückwirkend zu berücksichtigen

Es führe auch nicht zur Verfassungswidrigkeit der beanstandeten Belastungsausgleichsregelung, dass der Verordnungsgeber bei seiner Kostenfolgeabschätzung die Kosten eines weiteren zu berücksichtigenden Gesetzes nicht ordnungsgemäß eingestellt hat. Die Kosten des betroffenen Gesetzes zur Entwicklung und Stär­kung einer demographiefesten, teilhabeorientierten Infrastruktur und zur Weiter­entwicklung und Sicherung der Qualität von Wohn- und Betreuungsangeboten für ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen (GEPA NRW) konnten laut VerfGH nicht in einem formalisierten Kostenfolgeabschätzungsverfahren prognostiziert werden. Das habe nicht zur Folge, dass dem Verordnungsgeber die Übertragung von Aufgaben nach dem Prostituiertenschutzgesetz verwehrt gewesen sei. Er müsse dann aber rückwirkend die vom GEPA NRW verursachte Kostenbelastung ermitteln und gegebenenfalls rückwirkend einen (daran angepassten) Belastungsausgleich schaffen.

Belastungsausgleich nur für Jahr "wesentlicher" Belastung nicht zu beanstanden

Schließlich verlange das strikte Konnexitätsprinzip der Landesverfassung einen Belastungsausgleich nur für das Jahr, in dem die Belastung der Kommunen "wesentlich" ist, so der VerfGH weiter. Für die Jahre, in denen diese Bagatellgrenze unterschritten ist, müsse der aufgabenübertragende Gesetz- oder Verordnungsgeber keinen Belastungsausgleich schaffen. Da der Verordnungsgeber in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise eine wesentliche Belastung nur für das Jahr 2017 prognostiziert hat, stehe es mit der Verfassung in Einklang, dass er auch nur für dieses Jahr einen Belastungsausgleich geschaffen hat.

VerfGH NRW, Entscheidung vom 04.04.2022 - VerfGH 1/18

Britta Weichlein, Redaktion beck-aktuell, 4. April 2022.