Streit um Auswirkungen der Impfung auf Infektionsgeschehen
Der Antragsteller fühlt sich insbesondere durch die angegriffenen Regelungen der §§ 2 bis 5, 10, 11, 14 und 15 der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in seinen Rechten verletzt. Er rügt vor allem, dass die in verschiedenen Vorschriften der Verordnung vorgesehene Ungleichbehandlung von Geimpften und Nicht-Geimpften unter der Prämisse, dass Letztere verstärkt zum Infektionsgeschehen und der Überlastung des Gesundheitssystems beitrügen, zu pauschal und damit verfassungswidrig sei.
Bestimmungen sollen vorläufig außer Vollzug gesetzt werden
Die Maskenpflicht unter freiem Himmel (§ 2 Abs. 2), das Verbot insbesondere von Weihnachtsmärkten (§ 10 Abs. 2) sowie die Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte und Nicht-Genesene (§ 3) seien unverhältnismäßig. Entsprechendes gölte für die 2Gplus- und 2G-Regelungen (§§ 4 und 5), die Sperrstunde und das Musikverbot (§ 11 Nrn. 1 und 3), das Verbot öffentlicher Feiern, das Alkoholverbot und die pauschalen Betriebsschließungen (§ 14). Auch die Vorschrift zum regionalen Hotspot-Lockdown (§ 15) verstoße wegen ihrer massiven Eingriffe in grundlegende Freiheitsrechte gegen das Übermaßverbot. Mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung möchte der Antragsteller die angegriffenen Bestimmungen vorläufig außer Vollzug gesetzt haben.
VerfGH verweist auf exponentiell wachsende Infektionsdynamik
Der VerfGH hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die beanstandeten Regelungen seien vor dem Hintergrund einer seit Oktober 2021 deutlich ansteigenden, exponentiell wachsenden Infektionsdynamik und einer regional teils stark ansteigenden Krankenhausbelegung mit COVID-19-Patienten und einer steigenden Zahl von Todesfällen erlassen worden. Die Situation auf den Intensivstationen sei durch eine bayernweit insgesamt äußerst hohe Auslastung sowie regional drohende oder bereits eingetretene Überlastung gekennzeichnet gewesen. Vor diesem Hintergrund könnten die angegriffenen Schutzmaßnahmen, auch wenn sie im Vergleich zu den Vorgängervorschriften erhebliche Verschärfungen mit teils massiven Grundrechtseingriffen enthalten, jedenfalls nicht als offensichtlich verfassungswidrig qualifiziert werden.
Einschätzungsspielraum bei Bewertung der Gefahrenlage nicht überschritten
Der Normgeber habe bei Bewertung der Gefahrenlage und Ausgestaltung des Schutzkonzepts einen – vorliegend nicht offensichtlich überschrittenen – Einschätzungsspielraum. Die vom Antragsteller bemängelte Ungleichbehandlung von Ungeimpften und Nicht-Genesenen gegenüber Geimpften und Genesenen dürfte in der aktuellen pandemischen Situation unter Berücksichtigung der Impfquote angesichts deutlicher Unterschiede im Hinblick auf das Risiko, sowohl sich selbst mit dem SARS-CoV-2-Virus zu infizieren und daran zu erkranken als auch das Virus weiter zu verbreiten und dadurch unmittelbar oder mittelbar zur Überlastung des Gesundheitssystems beizutragen, verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, so der VerfGH.
Mehr Schutz bei Impfung
Nach den Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts belegten Daten aus Zulassungsstudien und aus Untersuchungen im Rahmen der breiten Anwendung, dass die in Deutschland zur Anwendung kommenden COVID-19-Impfstoffe Corona-Infektionen in einem erheblichen Maß verhindern, die Virusausscheidung bei geimpften infizierten Personen kürzer als bei ungeimpften ist, und in der Summe das Risiko, dass Menschen trotz Impfung PCR-positiv werden und das Virus übertragen, auch unter der Deltavariante deutlich vermindert ist. Eine andere Bewertung geböten danach derzeit auch die sogenannten Impfdurchbrüche nicht. Es könne weiterhin für vollständig geimpfte Personen von einer anhaltend hohen Impfeffektivität gegen schwere Verläufe und einem sehr guten Schutz gegen Hospitalisationsbedürftigkeit oder tödlichen Verlauf ausgegangen werden. Hingegen zeige sich weiterhin für ungeimpfte Personen ein deutlich höheres Risiko für eine COVID-19-Erkrankung, insbesondere für eine schwere Verlaufsform.
Verhältnismäßigkeitsgebot nicht verletzt
Im Übrigen entspreche es der Intention des Bundesgesetzgebers, durch die Ermächtigungsgrundlage im aktuellen § 28a IfSG den Ländern insbesondere auch sogenannte 2G-Regelungen zu ermöglichen. Die Kontakt- und Zugangsbeschränkungen nach Maßgabe der §§ 3 bis 5 15. BayIfSMV, die nach diesen Personengruppen und bereichsspezifisch nach typisiertem Infektionsrisiko differenzieren und bis hin zu einer zusätzlichen Testpflicht für Geimpfte und Genesene (2Gplus) in weiten Lebensbereichen reichen, dürften trotz der mit ihnen verbundenen erheblichen Grundrechtseingriffe dem Verhältnismäßigkeitsgebot genügen und auch sonst verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Dies gelte angesichts der derzeit erheblichen Gefahrenlage insbesondere auch mit Blick auf die in diesen Vorschriften enthaltenen Zugangsbeschränkungen für den Kultur- und Bildungsbereich und die damit verbundenen Eingriffe insbesondere in die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit oder die Berufsfreiheit. Die Ausweitung der Maskenpflicht, das Verbot von "Jahresmärkten", die zusätzlichen Beschränkungen für die Gastronomie und die Schließung bestimmter Freizeiteinrichtungen stellten sich – auch unter Berücksichtigung der weiter zunehmenden wirtschaftlichen Belastungen der Betreiber – nicht als offensichtlich verfassungswidrig dar.
Regelungen zu regionalem Hotspot-Lockdown rechtens
Die Regelungen zu einem regionalen Hotspot-Lockdown bei sehr hoher Sieben-Tage-Inzidenz, durch die in erheblichem Umfang und mit massiven individuellen wie gesellschaftlichen Folgen wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und psychischer Art Veranstaltungen und Einrichtungen untersagt und beschränkt werden, seien ebenfalls nicht offensichtlich verfassungswidrig. Vor dem Hintergrund einer regional teilweise bereits eingetretenen deutlichen Überlastung des Gesundheitssystems in Bayern wiege der mit der Regelung verfolgte Schutz von Leib und Leben deutlich schwerer.
Keine vorläufige Außervollzugsetzung des 2G-Erfordernisses
Auch bezüglich der erst am 08.12.2021 in Kraft tretenden Neuregelungen durch Ergänzung des § 10 15. BayIfSMV, mit der das sogenannte 2G-Erfordernis grundsätzlich auf Ladengeschäfte mit Kundenverkehr für Handelsangebote, die nicht der Deckung des täglichen Bedarfs dienen, erstreckt wird, sei eine offensichtliche Verfassungswidrigkeit bei summarischer Prüfung im Eilverfahren nicht feststellbar. Auch insoweit rechtfertige eine Folgenabwägung keine vorläufige Außervollzugsetzung.