Unterschriftenquoren für Berlin-Wahl müssen noch weiter sinken

Mehrere kleine Parteien haben sich in einem Organstreitverfahren um die Anzahl der erforderlichen Unterstützungsunterschriften für die Wahl in Berlin am 26.09.2021 vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin durchgesetzt. Die Richter entschieden, dass aufgrund der coronabedingten Erschwernisse beim Sammeln der Unterschriften die erforderlichen Unterschriftenquoren noch deutlicher als bisher herabzusetzen seien. Die derzeitigen Regelungen des Landeswahlgesetzes seien insofern verfassungswidrig.

Bisherige Absenkung geht kleinen Parteien nicht weit genug

Der Berliner Gesetzgeber hatte die erforderlichen Unterschriftenquoren mit Blick auf die Erschwernisse der persönlichen Kontaktaufnahme infolge der Corona-Beschränkungen bereits mit Gesetz vom 23.02.2021 um etwa 50% gesenkt. Den antragstellenden Parteien (ÖDP, Piratenpartei, Freie Wähler, Tierschutzpartei und Mieterschutzpartei) reichte diese Absenkung nicht aus. Sie rügten eine Verletzung ihrer Rechte auf Chancengleichheit als Parteien und auf Wahlrechtsgleichheit. Der VerfGH sieht dies als begründet an.

Chancengleichheit wegen Pandemie nicht mehr gewahrt

Das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit verlange, dass jeder Partei grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im gesamten Wahlverfahren und damit gleiche Chancen bei der Verteilung der Sitze eingeräumt werden. Das Erfordernis der festgelegten Anzahl von Unterstützungsunterschriften greife in die Rechte auf Chancengleichheit und Gleichheit der Wahl ein, sei jedoch unter normalen Umständen zur Vermeidung einer Stimmenzersplitterung gerechtfertigt. Unter den außergewöhnlichen Bedingungen der Corona-Pandemie könne dies jedoch nicht fortgelten, so der VerfGH.

Unterschriftensammlung durch Pandemie erschwert

Die Richter stellen fest, dass den Parteien eine Unterschriftensammlung durch persönliche Kontaktaufnahme nicht zumutbar ist, solange die Corona-Beschränkungen weiter bestehen. Das Werben um Unterschriften basiere maßgeblich auf dem persönlichen Kontakt und der spontanen Gesprächsaufnahme mit fremden Personen auf der Straße, auf öffentlichen Plätzen und anlässlich von Veranstaltungen. Dies stehe im Widerspruch zu den Zielen der Corona-Regelungen, deren hauptsächliches Anliegen es sei, einen Aufenthalt im öffentlichen Raum und eine persönliche Kontaktaufnahme zu haushaltsfremden Personen zu vermeiden.

Absenkung der Unterschriftenquoren auf 20 bis 30% erforderlich

Mit Blick auf die noch geringe Impfquote und die Gefahr durch Mutationen halten es die Verfassungsrichter derzeit nicht für absehbar, dass sich das Infektionsgeschehen kurzfristig in dem Maße verbessert, dass Einschränkungen bei der Unterschriftensammlung nicht mehr zu erwarten sind. Die verbleibenden Alternativen des Unterschriftensammelns via Internet, insbesondere durch soziale Medien, seien deutlich weniger erfolgsversprechend. Aus diesem Grund geht der VerfGH davon aus, dass die Unterschriftenquoren derzeit erst bei einer Absenkung auf etwa 20 bis 30% verfassungsgemäß sind.

VerfGH Bln, Beschluss vom 17.03.2021 - VerfGH 4/21

Redaktion beck-aktuell, 18. März 2021.