AfD-Fraktion macht Verletzung des Budgetrechts des Landtags geltend
Der Landtag von Baden-Württemberg stellte am 14.10.2020 das Bestehen und Andauern einer Naturkatastrophe nach Art. 84 Absatz 3 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg sowie § 18 Absatz 6 Satz 2 der Landeshaushaltsordnung für Baden-Württemberg fest und reagierte unter anderem mit einem Gesetz über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Staatshaushaltsplan von Baden-Württemberg für die Haushaltsjahre 2020/21. Die AfD-Fraktion wandte sich mit einem Organstreitverfahren (Az.: 1 GR 37/21) gegen die Landesregierung und den Landtag. Sie machte eine Verletzung beziehungsweise Gefährdung des Budgetrechts des Landtags geltend. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, den Organstreit als Landtagsfraktion in Prozessstandschaft für den Landtag zu führen.
AfD-Fraktion sieht in Corona keine Naturkatastrophe
Im September und Oktober 2020 habe objektiv keine "Naturkatastrophe" im Sinne von Art. 84 Absatz 3 Satz 1 und 2 LV vorgelegen, die eine (weitere) Schuldenaufnahme rechtfertige. Zwar komme eine echte Epidemie ohne Weiteres als Naturkatastrophe in Betracht. Die Furcht vor den für möglich gehaltenen Folgen der unter Umständen zu besorgenden Ausbreitung einer Krankheit sei jedoch keine Naturkatastrophe im haushaltsrechtlichen Sinn. Die hohen Kosten, die Landesregierung und Landtagsmehrheit beklagten, seien nicht das Ergebnis einer Epidemie, sondern der gegen das mögliche Ausbrechen einer Epidemie bislang ergriffenen Maßnahmen. Selbst wenn eine Naturkatastrophe vorläge, erwiesen sich die angegriffenen Maßnahmen als verfassungswidrig, so die AfD weiter. Denn die neu aufzunehmenden Kredite dürften ausschließlich für die Bewältigung dieser Naturkatastrophe verwendet werden und nicht für allgemeine Maßnahmen der Wirtschaftsförderung oder Infrastrukturmodernisierung.
VerfGH: Fraktion hat keine Antragsbefugnis gegen Einbringen des Haushaltsentwurfs
Der VerfGH hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Soweit sich die Antragstellerin gegen das Einbringen des Haushaltsentwurfs durch die Landesregierung wende, fehle ihr die erforderliche Antragsbefugnis. Eine Rechtsverletzung des Landtags sei insoweit von vornherein ausgeschlossen. Die Antragstellerin rüge lediglich den Inhalt der Gesetzesvorlage der Landesregierung und beanstande insbesondere zu hohe Ausgaben und Kreditermächtigungen. Es bestehe jedoch keine Verpflichtung des Landtags, das Haushaltsgesetz in der von der Landesregierung vorgeschlagenen Form zu verabschieden. Ob und inwieweit die Antragstellerin Rechte des Landtags prozessstandschaftlich auch gegen diesen selbst geltend machen könne, könne hier dahingestellt bleiben.
Annahme fehlender Naturkatastrophe nicht ausreichend untermauert
Die Antragstellerin habe die von ihr geltend gemachte Rechtsverletzung des Landtags durch die angegriffenen Parlamentsbeschlüsse nicht hinreichend substantiiert vorgebracht. Sie stütze sich im Kern auf die Behauptung, dass zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Beschlüsse des Landtags keine Naturkatastrophe im haushaltsrechtlichen Sinn vorgelegen habe, ohne diese Annahme hinreichend substantiiert zu begründen. Die Antragstellerin setze sich nicht mit dem Begriff und den näheren Voraussetzungen einer "Naturkatastrophe" im verfassungsrechtlichen Sinne auseinander. Die Ausführungen der Antragstellerin übergingen auch, dass die in Baden-Württemberg ergriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus auf die Ausrufung der Pandemielage durch die WHO am 11.03.2020 folgten und von einer Vielzahl fachwissenschaftlicher Stellungnahmen insbesondere, aber nicht nur des Robert-Koch-Instituts begleitet worden seien. Ein Antrag auf Einleitung eines Organstreitverfahrens, der nachträglich das Vorliegen einer "Massenepidemie" in Zweifel ziehe, hätte sich mit dem zum Antragszeitpunkt vorherrschenden Erkenntnisstand auseinandersetzen müssen und sich nicht auf vereinzelte und selektiv herangezogene Quellen beschränken dürfen.
Vortrag zu Verfolgung coronafremder Ziele zu pauschal
Auch soweit die Antragstellerin geltend mache, der angegriffene Gesetzesbeschluss über den Zweiten Nachtragshaushalt sei verfassungswidrig, weil die aufgenommenen Mittel der Finanzierung "anderer, coronafremder Ziele" dienten, fehle es an einer hinreichenden Begründung. In der Antragsschrift werde diese Behauptung nur mit wenigen Worten vorgetragen. Insbesondere der pauschale Hinweis auf eine Stellungnahme des Landesrechnungshofes führe nicht weiter. Schließlich sei die Begründung des Organstreits auch insoweit nicht hinreichend substantiiert, als die Antragstellerin beklage, das Land werde durch den Zweiten Nachtragshaushalt auf Jahrzehnte überschuldet. Hier fehle es insbesondere an jeder Auseinandersetzung mit der Regelung des Art. 84 Abs. 3 Satz 6 LV, wonach die Rückführung der bewilligten Ausnahmekredite binnen eines angemessenen Zeitraums zu erfolgen habe.
Auch Antrag zu Drittem Nachtragshaushalt ohne Antragsbefugnis
Mit einem weiteren Antrag im Verfahren 1 GR 128/21 hat die AfD-Fraktion auch das Einbringen des Gesetzes über den Dritten Nachtragshaushalt für das Jahr 2021 im Hinblick auf die darin ermöglichte Kreditaufnahme insbesondere unter Rückgriff auf die Ausnahmeregelung für den Fall einer Naturkatastrophe beanstandet. Auch dieser Gesetzentwurf verletze das Budgetrecht des Landtags. Der VerfGH hat auch diesen Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Wiederum fehle der Antragstellerin die Antragsbefugnis, so der VerfGH mit im Wesentlichen gleicher Begründung.