Wiedererrichtung Bayerischer Grenzpolizei verfassungsgemäß – Zuweisung grenzpolizeilicher Befugnisse nicht
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© Lino Mirgeler / dpa

Bayern durfte seine Grenzpolizei wieder einrichten. Gegen die Bayerische Verfassung verstößt allerdings die im Mai 2018 getroffene Regelung, wonach der bayerischen Polizei, wenn sie grenzpolizeiliche Aufgaben des Bundes wahrnimmt, neben den bestehenden landesrechtlichen Befugnissen auch die speziellen bundesrechtlichen Befugnisse bei der Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zustehen. Dies hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof entschieden.

Neuregelungen im Juli und Mai 2018

Im Juli 2018 hat der Bayerische Landtag auf Initiative der Bayerischen Staatsregierung das Gesetz zur Errichtung der Bayerischen Grenzpolizei verabschiedet. Art. 5 POG sieht deren Wiedererrichtung vor, nachdem sie infolge des Wegfalls der EU-Binnengrenzkontrollen im Schengenraum mit Wirkung zum 01.04.1998 als eigenständiger Verband aufgelöst worden war. Art. 29 PAG enthält Befugnisse für die Wahrnehmung grenzpolizeilicher Aufgaben. Im Mai 2018 hat der Bayerische Landtag auf Initiative der Bayerischen Staatsregierung das PAG-Neuordnungsgesetz verabschiedet. Darin wurde Art. 29 PAG um einen Absatz 3 ergänzt. Diese Regelung bestimmt, dass der Bayerischen Polizei, wenn sie grenzpolizeiliche Aufgaben des Bundes wahrnimmt, neben den bestehenden landesrechtlichen Befugnissen auch die speziellen bundesrechtlichen Befugnisse bei der Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zustehen. Gegenstand der Verfahren ist die Frage, ob Art. 5 POG und Art. 29 PAG mit der Bayerischen Verfassung vereinbar sind.

Bündnisgrüne im Landtag sehen Verstöße gegen Kompetenzordnung des Grundgesetzes

Die Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen macht als Antragstellerin in einer Meinungsverschiedenheit geltend, beide Vorschriften verletzten das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Verfassung - BV) sowie das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 101 BV), weil sie gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes verstießen. Dem Freistaat Bayern stehe keine Gesetzgebungskompetenz zum Erlass des Art. 29 PAG zu. Dabei handle es sich um materielles Grenzschutzrecht im Sinn des Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG, für das der Bund ausschließlich zuständig sei. Im Hinblick auf Art. 5 POG verfüge der Freistaat Bayern nicht über die erforderliche Verwaltungskompetenz. Mit dem Bundespolizeigesetz habe der Bund von der in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Grenzschutz in bundeseigener Verwaltung wahrzunehmen. Vergleichbare Rügen werden von der Vorsitzenden der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen mit einer Popularklage erhoben.

Nur Popularklage teilweise erfolgreich

Der Bayerische VerfGH hat der Popularklage der Vorsitzenden der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen teilweise stattgegeben. Sie ist im Hinblick auf die Zuweisung von Befugnissen an die Bayerische Grenzpolizei in Art. 29 PAG erfolgreich. Dagegen wird die Wiedererrichtung der Bayerischen Grenzpolizei als solche (Art. 5 POG) vom Verfassungsgerichtshof nicht beanstandet. Der Antrag der Bündnisgrünen im Verfahren der Meinungsverschiedenheit ist insgesamt erfolglos geblieben. Die Popularklage ist laut VerfGH nur zulässig, soweit Art. 29 PAG angegriffen wird. Diese Vorschrift regele polizeiliche Befugnisse beziehungsweise Inpflichtnahmen und bilde somit eine Grundlage für Maßnahmen, die in Grundrechte eingreifen können. Es reiche aus, dass die Antragstellerin ihre Rüge einer Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) darauf stützt, Art. 29 PAG sei wegen Verstoßes gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes und damit gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV unwirksam. Dagegen lasse die Popularklage nicht erkennen, ob und inwieweit durch Art. 5 POG über seinen vorwiegend organisatorischen Regelungsgehalt hinaus Eingriffsmöglichkeiten gegenüber Grundrechtsträgern geschaffen werden sollen. Insoweit fehle es daher an der Darlegung einer möglichen Grundrechtsverletzung.

Mit Art. 29 PAG ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes verletzt

Im Hinblick auf Art. 29 PAG sei die Popularklage auch begründet, da unter Verletzung der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG materielles Grenzschutzrecht geregelt werde, so der VerfGH weiter. In diesem Bereich hätten die Länder keine Befugnis zur Gesetzgebung. Es bestehe die Sperrwirkung des Art. 71 GG, die durch die Gesetzgebungskompetenz der Länder für das allgemeine Polizeirecht weder überlagert noch außer Kraft gesetzt werde. Der Bund habe den Freistaat Bayern auch nicht durch Bundesgesetz ermächtigt, Grenzschutzrecht zu erlassen. § 2 Abs. 4 BPolG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 BPolG, wonach die Länder im Einvernehmen mit dem Bund Aufgaben des grenzpolizeilichen Einzeldienstes mit eigenen Kräften wahrnehmen können und sich die Durchführung dann nach dem für die Polizei des Landes geltenden Recht richtet, enthalte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Delegation der Gesetzgebungsbefugnis an die Länder.

Kein Widerspruch zu Möglichkeit der Übertragung von Grenzschutzaufgaben 

Die Argumentation der Antragsgegnerinnen, es könne nicht sein, dass durch § 2 BPolG einerseits eine Übertragung von Grenzschutzaufgaben auf die Bayerische Polizei ermöglicht, andererseits aber die Schaffung der erforderlichen landesrechtlichen Eingriffsnormen nicht zugelassen werde, ändere nichts an diesem Ergebnis. Der Bundesgesetzgeber konnte laut VerfGH bei der Verabschiedung des Bundespolizeigesetzes davon ausgehen, dass das bestehende allgemeine Polizeirecht der Länder für die Wahrnehmung übertragener grenzpolizeilicher Aufgaben ausreichen, die Schaffung spezieller landesrechtlicher Befugnisnormen für den Grenzschutz also nicht erforderlich sein werde. Selbst wenn sich diese Annahme als unzutreffend erweisen würde, hätte dies nicht zur Folge, dass eine Delegation der Gesetzgebungsbefugnis (nachträglich) in § 2 Abs. 4 BPolG hineingelesen werden könnte. Da es sich seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.12.2018 (NJW 2019, 827) um einen offensichtlichen und zudem um einen schwerwiegenden Eingriff in die Kompetenzordnung des Grundgesetzes handelt, werde hierdurch gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) und das Grundrecht der Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) verstoßen.

Art. 5 POG verstößt nicht gegen Rechtsstaatsprinzip

Der Antrag im Verfahren der Meinungsverschiedenheit ist – soweit seine Zulässigkeit bejaht wurde – unbegründet. Art. 5 POG verstoße nicht wegen einer Verletzung der in Art. 83 GG, Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG normierten Kompetenzverteilung im Bereich der Exekutive (Bundesgrenzschutz) gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV). Zwar habe der Bundesgesetzgeber im Bundespolizeigesetz von der im Grundgesetz vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, Bundesgrenzschutzbehörden einzurichten. Die Aufgabe des grenzpolizeilichen Fahndungsdienstes (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 POG, Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 PAG, sogenannte Schleierfahndung) sei aber unbestritten eine Aufgabe des Landes. Es unterliege daher keinen verfassungsrechtlichen Zweifeln, dass der Freistaat Bayern zur Erfüllung dieser Aufgabe eine Bayerische Grenzpolizei als Teil der Landespolizei errichten kann.

Kein Widerspruch zu Wahrnehmung des Grenzschutzes durch Bundespolizei

Auch die Zuweisung der in Art. 5 Abs. 2 POG genannten grenzpolizeilichen Aufgaben gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 POG an die Bayerische Grenzpolizei lasse eine Verletzung der Bayerischen Verfassung nicht erkennen. Diese Regelung des Polizeiorganisationsgesetzes wirke rein binnenrechtlich im Sinn einer polizeiinternen Zuständigkeitsverteilung. Sie eröffne der Bayerischen Landespolizei keinen neuen Tätigkeitsbereich. Denn Aufgaben würden nur insoweit zugewiesen, als der Bayerischen Grenzpolizei aufgrund einer Vereinbarung nach § 2 Abs. 13Bundespolizeigesetz (BPolG) oder auf der Grundlage des § 64 BPolG eine Zuständigkeit eröffnet ist. Ein Widerspruch zur Wahrnehmung des Grenzschutzes durch die Bundespolizei in bundeseigener Verwaltung sei daher nicht ersichtlich.

Redaktion beck-aktuell, 28. August 2020.