Landtag darf Mitglied im "Bayerischen Bündnis für Toleranz" bleiben

Die Mitgliedschaft des Bayerischen Landtags im "Bayerischen Bündnis für Toleranz" ist verfassungsgemäß. Dies hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof heute entschieden und einen Antrag der AfD-Landtagsfraktion und zweier Abgeordneter als unzulässig abgewiesen. Es handele sich nicht um einen zulässigen Gegenstand für einen Organstreit, so die Begründung. Zudem sei die Verletzung oder Gefährdung eigener Rechte nicht ausreichend dargelegt worden.

Bündnis tritt für Schutz von Demokratie und Menschenwürde ein

Das im Jahr 2005 auf Initiative der evangelischen und der katholischen Kirche gegründete "Bayerische Bündnis für Toleranz" ist nach eigener Darstellung der größte Zusammenschluss gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Bayern. Das Bündnis tritt danach für Toleranz sowie den Schutz von Demokratie und Menschenwürde ein und fördert diese Werte. Zu seinen aktuell 79 Mitgliedern zählen überwiegend Anstalten, Stiftungen und Körperschaften des öffentlichen Rechts aus Politik, Wirtschaft, Bildung und anderen gesellschaftlich relevanten Bereichen. Der Bayerische Landtag ist seit 2009 Mitglied der Vereinigung und unterstützt sie durch jährliche Mitgliedsbeiträge.

Antragsteller sehen staatliches Neutralitätsgebot verletzt

Die Antragsteller begehren in dem Organstreitverfahren die Feststellung, dass die vormalige Präsidentin den Landtag unzulässig als Mitglied in dem Bündnis angemeldet habe, die Mitgliedschaft nichtig und die (jetzige) Landtagspräsidentin verpflichtet sei, die Mitgliedschaft für nichtig zu erklären beziehungsweise hilfsweise zu kündigen. Die Mitgliedschaft verletze insbesondere das staatliche Neutralitätsgebot und sei mit dem freien Mandat der Abgeordneten unvereinbar.

VerfGH: Organstreitverfahren für Begehren nicht geeignet

Der VerfGH hat den Antrag als unzulässig abgewiesen. Die von den Antragstellern mit den einzelnen Feststellungsanträgen verfolgten Begehren seien auf Rechtsfolgen gerichtet, die im Organstreit grundsätzlich nicht bewirkt werden könnten. Das Organstreitverfahren diene als kontradiktorische Parteistreitigkeit maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihrer Teile in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht hingegen der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns; Art. 64 BV eröffne nicht die Möglichkeit einer objektiven Beanstandungsklage. Für eine objektive Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Maßnahme sei im Organstreit ebenso wenig Raum wie für eine über die Feststellung einer Verletzung der Rechte der Antragsteller hinausgehende Verpflichtung eines Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten.

Schon keine Antragsbefugnis

Soweit man zugunsten der Antragsteller davon ausgehe, dass in den Anträgen ein grundsätzlich statthaftes Begehren auf Feststellung einer Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte durch die Begründung der Mitgliedschaft im "Bayerischen Bündnis für Toleranz" beziehungsweise durch das Unterlassen einer Beendigung der Mitgliedschaft mit enthalten sei, sei die Verfassungsstreitigkeit mangels Antragsbefugnis dennoch unzulässig.

Möglichkeit einer Prozessstandschaft nicht vorgesehen

Hinsichtlich der Begründung der Mitgliedschaft durch die vormalige Landtagspräsidentin fehle es an der erforderlichen schlüssigen Darlegung einer möglichen Verletzung eigener Rechte der Antragsteller schon deshalb, weil diese damals noch nicht im Parlament vertreten und damit von der damaligen Maßnahme nicht betroffen gewesen seien. Die Antragsteller könnten sich für ihre Antragsbefugnis auch nicht auf die Verletzung von Rechten des Bayerischen Landtags berufen. Das bayerische Verfassungsrecht sehe im Organstreitverfahren die Möglichkeit einer Prozessstandschaft nicht vor.

Verletzung eigener Rechte nicht schlüssig dargetan

Auch im Hinblick auf die beanstandete fehlende Beendigung der Mitgliedschaft durch die jetzige Landtagspräsidentin hätten die Antragsteller eine Verletzung oder Gefährdung in eigenen, durch die Verfassung geschützten Rechten nicht schlüssig dargetan. Aus dem durch Art. 13 Abs. 2 BV gewährleisteten freien Mandat der Abgeordneten und dem daraus resultierenden Grundsatz der chancengleichen Beteiligung an der parlamentarischen Willensbildung folge zwar die Verpflichtung der Staatsorgane und insbesondere der Präsidentin des Bayerischen Landtags, gegenüber den Abgeordneten und den Fraktionen auch im Hinblick auf die Parlamentsarbeit Neutralität zu wahren.

Keine Verletzung des Gebots der parteipolitischen Neutralität

Einseitige – zugunsten oder zulasten einzelner Abgeordneter oder Fraktionen – parteiergreifende Stellungnahmen oder sonstige Maßnahmen ließen sich auch nicht mit der Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit rechtfertigen. Es sei aber nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin durch das Unterlassen des Austritts aus dem Bündnis das Gebot der parteipolitischen Neutralität und der unparteilichen Amtsführung verletzt haben könnte.

Bayerische Verfassung nicht wertneutral

Die vom "Bayerischen Bündnis für Toleranz" bekämpften Einstellungen, Haltungen oder Handlungen des Rassismus und des Antisemitismus sowie des Rechtsextremismus verstießen gegen das Prinzip der Menschenwürde, welches das zentrale Element beziehungsweise den obersten Grundwert der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstelle. Die Bayerische Verfassung sei weder wertneutral noch wolle sie das sein, sie sei von dem Willen getragen, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung des Staates – unter Einsatz der Mittel der wehrhaften Demokratie – erhalten bleiben müsse. In einer Öffentlichkeitsarbeit des Landtags, die dieses Ziel fördern wolle, könne kein Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht liegen.

Freies Mandat von Abgeordneten nicht verletzt

Auch die Toleranz, für die das Bündnis eintrete und die Bestandteil seines Namens sei, stelle in Form des Toleranzgebots ein aus verschiedenen Artikeln der Bayerischen Verfassung abgeleitetes Verfassungsprinzip dar. Das Eintreten für diesen Wert weise gerade auf die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Bündnisses hin. Es sei nicht ersichtlich, wie durch die Unterstützung einer Vereinigung, die sich für unabänderliche Grundwerte der Bayerischen Verfassung wie das Demokratieprinzip und die Menschenwürde einsetzt, denen alle Verfassungsorgane verpflichtet und die als solche jeder parteipolitischen Disposition entzogen sind, das freie Mandat von Abgeordneten oder Oppositionsrechte verletzt werden könnten.

Redaktion beck-aktuell, 11. August 2021.