Keine Außervollzugsetzung der "Notbremse" in Bayern

Die in der aktuellen Bayerischen Corona-Verordnung verankerte "Notbremse" bei Überschreiten einer 7-Tage-Inzidenz von 100 hat vorläufig Bestand. Zudem müssen Gaststätten, Theater, Opern- und Konzerthäuser weiterhin unabhängig vom Inzidenzwert geschlossen bleiben. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat einen Eilantrag auf Außervollzugsetzung der entsprechenden Regelungen abgelehnt. Diese seien nicht offensichtlich verfassungswidrig.

Gestuftes Öffnungskonzept mit "Notbremse" abhängig von 7-Tage-Inzidenz

Die 12. Bayerische Corona-Verordnung sieht gestufte Öffnungsschritte vor, die an die Schwellenwerte einer regionalen 7-Tage-Inzidenz von 35, 50 und 100 anknüpfen. Anders als etwa bei Kontaktbeschränkungen, im Einzelhandel, bei Schulen und Kindertageseinrichtungen und bestimmten Kulturstätten eröffnet die Verordnung für die Gastronomie sowie für Theater, Konzert- und Opernhäuser und Kinos erst ab dem 22.03.2021 eine Perspektive auf erste Lockerungen, sofern sich die Inzidenzzahlen stabil und rückläufig entwickeln. Die Antragsteller erhoben Popularklage gegen einzelne Regelungen der Verordnung, die bestehende Beschränkungen und Untersagungen entweder voll oder bei Überschreiten des Schwellenwerts einer 7-Tage-Inzidenz von 100 aufrechterhalten. Sie rügten die Vorschriften zum Distanzunterricht in Schulen und zur Schließung von Tagesbetreuungsangeboten, die Öffnungsverbote für bestimmte Handels- und Dienstleistungsbetriebe, die fortgesetzte Untersagung von Gastronomiebetrieben und Schließung bestimmter Kultureinrichtungen als grundrechtswidrig. Mit einem Eilantrag begehrten sie die vorläufige Außervollzugsetzung der angegriffenen Bestimmungen.

VerfGH: Regelungen nicht offensichtlich verfassungswidrig

Der VerfGH hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es lasse sich auch hinsichtlich der neuen Verordnung nicht feststellen, dass der Verordnungsgeber offensichtlich die bundesrechtlich eröffneten Spielräume überschritten oder sie unter Verletzung von Grundrechten oder sonstigen Vorschriften der Bayerischen Verfassung ausgefüllt hat. Die verfassungsrechtliche Prüfung der beanstandeten Regelungen müsse im Blick behalten, dass die 12. Bayerische Corona-Verordnung vor dem Hintergrund einer weiterhin besorgniserregenden Entwicklung des Infektionsgeschehens seit Oktober 2020 erlassen wurde. In Anbetracht dieser Entwicklung könne die prinzipielle Entscheidung des Verordnungsgebers, an den in der Vergangenheit getroffenen Maßnahmen festzuhalten und nur in Teilbereichen unter engen Voraussetzungen Lockerungen zu erproben, nicht beanstandet werden. Eine substanzielle Veränderung gegenüber der Gesamtsituation, die dem Erlass der 11. Bayerischen Corona-Verordnung und den dazu ergangenen Entscheidungen des VerfGH zugrunde gelegen habe, lasse sich nicht feststellen.

Schwellenwert von 100 nicht willkürlich

Soweit die Vorschriften von den zuvor geltenden Regelungen abwichen, könnten sie in Anbetracht der dem Verordnungsgeber bei der Ausgestaltung des Schutzkonzepts zukommenden Einschätzungsprärogative nicht als offensichtlich verfassungswidrig qualifiziert werden. Der neu eingeführte Schwellenwert einer 7-Tage-Inzidenz von 100, der unter anderem für den Ausschluss von Präsenzunterricht an Schulen sowie für die Schließung von Tagesbetreuungseinrichtungen und von Ladengeschäften mit Kundenverkehr maßgeblich sei, stelle kein gegen das Willkürverbot verstoßendes Abgrenzungskriterium dar. Es erscheine nach dem Gesamtkonzept der Verordnung und dem vom Verordnungsgeber ersichtlich angestrebten Ziel auch nachvollziehbar, dass von der "Notbremse" bei Überschreitung dieses Schwellenwerts die besonders kontaktintensiven Bereiche der Schulen und Tagesbetreuungseinrichtungen nicht ausgenommen worden sind.

Ladenschließungen ab Werten über 100 und Betriebsverbot für Gaststätten verhältnismäßig

Ungeachtet der mittlerweile erheblichen Dauer und der sich fortlaufend erhöhenden wirtschaftlichen Belastungen stünden die inzidenzabhängige Schließung von Ladengeschäften und die inzidenzunabhängige von Gastronomiebetrieben angesichts des weiterhin hohen Infektionsrisikos nicht offensichtlich außer Verhältnis zum Gewicht und zur Dringlichkeit der rechtfertigenden Gründe. Dass der Verordnungsgeber von dem bei einer 7-Tage-Inzidenz über 100 grundsätzlich geltenden Öffnungsverbot für Handels- und Dienstleistungsbetriebe eine Vielzahl bereichsspezifischer Ausnahmen zugelassen habe, könne jedenfalls nicht als offenkundiger Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz angesehen werden.

Höhere Infektionsgefahr in Theatern und Opernhäusern

Die fortdauernde Schließung von Kultureinrichtungen wie Theatern, Opern- und Konzerthäusern sowie Kinos erweise sich bei überschlägiger Prüfung ebenfalls nicht als offensichtlich verfassungswidrig. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Besuch kultureller Einrichtungen in besonderer Weise dem Austausch und der Kommunikation zwischen den Besuchern dient und es dabei regelmäßig auch zu Menschenansammlungen kommt, sodass ein gegenüber sonstigen sozialen Kontakten deutlich erhöhtes Ansteckungsrisiko bestehe. Dass die betroffenen künstlerischen Betätigungen weitergehenden Einschränkungen unterlägen als dies für die Ausübung der Religionsfreiheit oder der Versammlungsfreiheit gelte, verstoße nicht in offensichtlicher Weise gegen den Gleichheitsgrundsatz. 

Gesundheitsschutz überwiegt in Folgenabwägung

Bei der demnach gebotenen Folgenabwägung überwögen entsprechend den Erwägungen des VerfGH zu den vorangegangenen Verordnungen und unter Berücksichtigung insbesondere der aktuellen dynamischen Entwicklung des Infektionsgeschehens die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe. Angesichts der Gesamtlage müssten weiterhin die Belange der von den Vorschriften Betroffenen gegenüber der fortbestehenden Gefahr für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen bei gleichzeitig drohender Überforderung der personellen und sachlichen Kapazitäten des Gesundheitssystems zurücktreten.

Redaktion beck-aktuell, 23. März 2021.