Keine Außervollzugsetzung der Elften Bayerischen Corona-Verordnung

Die Elfte Bayerische Corona-Verordnung in ihrer aktuellen Fassung mit den verschärften Lockdown-Regelungen bleibt vorerst in Vollzug. Dies hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof am 01.02.2021 entschieden und einen Eilantrag nach Vornahme einer Folgenabwägung abgelehnt. Im Rahmen der Abwägung überwögen Belange des Gesundheitsschutzes, so die Richter.

Elfte Bayerische Corona-Verordnung

Die Elfte Bayerische Corona-Verordnung in ihrer aktuellen Fassung enthält unter anderem Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, die Maskenpflicht, das Verbot von Veranstaltungen und Feiern, die Beschränkung der Sportausübung, die Schließung von Ladengeschäften, die Untersagung des Betriebs gastronomischer Einrichtungen, von Übernachtungsangeboten und des Betriebs von Kultureinrichtungen sowie die Schließung von Schulen und Kindertageseinrichtungen.

Antragsteller begehrten vorläufige Außervollzugsetzung

Die Antragsteller halten die Verordnung für verfassungswidrig und haben Popularklage erhoben. Sie machen insbesondere geltend, der Sieben-Tage-Inzidenzwert, auf den der Verordnungsgeber die Grundrechtseingriffe im Wesentlichen stütze, sei unzutreffend, weil die zugrunde liegen-den PCR-Tests nicht aussagekräftig seien. Es drohe auch keine Überlastung des Gesundheitssystems. Die in der Verordnung geregelten Schutzmaßnahmen seien zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie offenkundig unverhältnismäßig. Die von der Pandemie ausgehenden Gefahren würden überschätzt. Mit einem Eilantrag wollten sie die sofortige Außervollzugsetzung weiter Teile der Verordnung erreichen.

VerfGH: Keine offensichtlichen Grundrechtsverletzungen

Der VerfGH hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es lasse sich nicht feststellen, dass der Verordnungsgeber offensichtlich die Spielräume des Infektionsschutzgesetzes des Bundes überschritten oder unter Verletzung von Grundrechten der Bayerischen Verfassung ausgefüllt haben könnte. Insbesondere sei nichts dafür ersichtlich, dass er seine verfassungsrechtliche Pflicht zur strengen Prüfung der Verhältnismäßigkeit bei der Fortschreibung und bereichsweisen Verschärfung der – teilweise schwerwiegenden – Grundrechtseingriffe verletzt hat. Bei Corona-Maßnahmen sei zu berücksichtigen, dass der Staat wegen seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit zum Handeln grundsätzlich nicht nur berechtigt, sondern auch verfassungsrechtlich verpflichtet ist.

Sinkende Zahlen begründen derzeit keine Pflicht zur Neubewertung

Die Elfte Corona-Verordnung sei vor dem Hintergrund einer besorgniserregenden Entwicklung des Infektionsgeschehens in Deutschland und im Freistaat Bayern seit Oktober 2020 erlassen worden. Soweit – nach einem Anstieg des Infektionsgeschehens Anfang Januar 2021 – seit der dritten Kalenderwoche 2021 ein Rückgang der Fallzahlen zu beobachten sei, ergebe sich hieraus derzeit keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Normgebers, eine im Ergebnis abweichende Neubewertung der Gefährdungslage vorzunehmen und die aktuell bestehenden Maßnahmen zu beenden oder zu lockern.

Normgeber muss nicht auf einhellige Wissenschaftsmeinung warten

Die von den Antragstellern gegen die Bewertung der Gefahrenlage erhobenen Einwendungen griffen nicht durch. Es möge Stimmen geben, die die Eignung der Inzidenzzahlen zur Bewertung des Infektionsgeschehens, die Zuverlässigkeit von PCR-Tests sowie eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems verneinen, die Gefährlichkeit des Virus SARS-CoV-2 infrage stellen und die ergriffenen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung – entgegen den Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts – als wirkungslos ansehen. Das rechtfertige jedoch nicht den Vorwurf eines Verfassungsverstoßes des Normgebers. Es sei gerade dessen Aufgabe, die in der öffentlichen Diskussion vertretenen − teils kontroversen − Auffassungen im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums zu gewichten und eine Entscheidung zu treffen. Die Ansicht, dass der Normgeber erst tätig werden dürfe, wenn die Tatsachengrundlage für eine beabsichtigte Regelung in der Wissenschaft übereinstimmend als gesichert bewertet wird, entspreche nicht den Vorgaben der Verfassung.

Gesundheitsschutz überwiegt in Folgenabwägung

Laut VerfGH überwiegen bei der demnach gebotenen Folgenabwägung die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe. Auch wenn die Elfte Corona-Verordnung mit den aktuell geltenden Regelungen gegenüber früheren Verordnungen teilweise erhebliche Verschärfungen enthalte, müssten die Belange der von den Vorschriften Betroffenen gegenüber der fortbestehenden Gefahr für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen bei gleichzeitig drohender Überforderung der personellen und sachlichen Kapazitäten des Gesundheitssystems zurücktreten. Eine vorläufige Außerkraftsetzung einzelner oder aller Verordnungsbestimmungen würde die praktische Wirksamkeit des vom Verordnungsgeber verfolgten Gesamtkonzepts beeinträchtigen.

Redaktion beck-aktuell, 2. Februar 2021.