VerfGH Bayern: Gesetzgeber muss Wahlvorschlagsregelungen nicht geschlechterparitätisch ausgestalten

Die bayerischen Bestimmungen über die Aufstellung der Wahlvorschläge für die Landtags-, Kommunal- und Bezirkswahlen sind verfassungskonform. Dies hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof am 26.03.2018 entschieden und eine Popularklage abgewiesen. Der Gesetzgeber sei auch nicht verpflichtet, die geltenden wahlrechtlichen Bestimmungen um geschlechterparitätische Vorgaben zu ergänzen (Vf. 15-VII-16).

Geschlechterparitätische Wahlvorschlagsregelungen gefordert

Die 153 Antragsteller, darunter Vereine und Verbände, wendeten sich gegen einzelne Regelungen aus dem Wahlvorschlagsrecht der Parteien und Wählergruppen bei den Landtags-, Bezirkstags-, Gemeinde- und Landkreiswahlen. Sie begehrten die Feststellung, dass die Regelungen wegen der fehlenden geschlechterparitätischen Ausgestaltung verfassungswidrig und nichtig seien. Zugleich sollte der Gesetzgeber verpflichtet werden, paritätische Wahlvorschlagsregelungen zu erlassen. Sie argumentierten, dass Frauen nicht ihrem Anteil an der Bevölkerung entsprechend im Landtag und in den Kommunalparlamenten repräsentiert seien. Vielmehr ergebe sich aus den statistischen Daten auch heute noch eine überproportionale Vertretung durch Männer. Dem müsse dadurch entgegengewirkt werden, dass Frauen bei der Aufstellung der Wahlvorschläge gleichberechtigt berücksichtigt werden.

Geltende Wahlvorschlagsregelungen als verfassungswidrig gerügt

Die geltenden, nicht paritätisch ausgestalteten Regelungen zum Wahlvorschlagsrecht im Landeswahlgesetz, im Bezirkswahlgesetz sowie im Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz verstoßen nach ihrer Ansicht in mehrfacher Hinsicht gegen die Bayerische Verfassung (BV), etwa gegen das Grundrecht von Kandidatinnen auf Chancengleichheit bei der Aufstellung von Wahlvorschlägen durch die Parteien und Wählergemeinschaften sowie gegen das Volksstaatsprinzip und das Grundrecht der Staatsbürgerinnen auf gleichberechtigte demokratische Teilhabe und effektive Einflussnahme auf die Staatsorgane in Bayern. Ferner rügten die Kläger ein pflichtwidriges gesetzgeberisches Unterlassen, da aus der Pflicht zur Förderung und Durchsetzung der Gleichberechtigung in Art. 118 Abs. 2 Satz 2 BV ein bindender Verfassungsauftrag an den Landesgesetzgeber zur paritätischen Ausgestaltung des gesetzlichen Wahlvorschlagsrechts der Parteien und Wählergruppen folge.

VerfGH: Passive Wahlgleichheit durch neutral gehaltene Bestimmungen gewährleistet 

Der VerfGH hat die Popularklage abgewiesen. Soweit es um die Aufstellung der Wahlkreislisten für die Wahlen zum Landtag und zu den Bezirkstagen sowie um die Vorschläge für die Wahl der Gemeinderatsmitglieder und der Kreisräte gehe, seien verfassungsmäßigen Rechte von Bewerberinnen oder Wählerinnen nicht beeinträchtigt. Die insoweit angegriffenen Bestimmungen seien dadurch geprägt, dass sie sowohl im Allgemeinen als auch geschlechtsspezifisch neutral gehalten seien. Sie beschränkten sich auf verfahrensrechtliche Regelungen und enthielten sich jeglicher inhaltlicher oder personaler Vorgaben an die wahlvorschlagsberechtigten Parteien und Wählergruppen sowie an die in den Aufstellungsversammlungen wahlberechtigten Teilnehmer. Damit sei der Wahlgleichheit (Art. 12 Abs. 1 BV, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV) Genüge getan, auch in Bezug auf das Verhältnis von Frauen gegenüber Männern.

Paritätische Vorgaben würden Wahlgleichheit gerade verletzen

Die gesetzlichen Regelungen enthielten keine unzulässige einseitige Benachteiligung eines Geschlechts, sondern behandelten alle gleich. Das Fehlen paritätischer Vorgaben in den gerügten Vorschriften diene gerade der Chancengleichheit aller sich um eine Kandidatur Bewerbender, während die Aufnahme von Frauenquoten oder eine Paritätsverpflichtung dem Grundsatz widersprechen würde, dass die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts für alle Staatsbürger möglichst in formal gleicher Weise eröffnet sein muss.

Schutzbereich des Differenzierungsverbots durch faktische Diskriminierung von Frauen nicht berührt

Ebenso wenig sieht der VerfGH das Grundrecht auf Gleichberechtigung (Art. 118 Abs. 2 Satz 1 BV) verletzt. Eine unmittelbare Diskriminierung von weiblichen gegenüber männlichen Kandidaten bestehe nicht. In den betroffenen Vorschriften, die die formale Chancengleichheit aller sich Bewerbender gewährleisten sollen, würden keine Rechtsfolgen daran geknüpft, ob ein potenzieller Kandidat ein Mann oder eine Frau ist. Mit der Popularklage werde vielmehr beanstandet, dass der Gesetzgeber eine faktische Diskriminierung von Frauen durch die Parteien und Wählergruppen, also durch Dritte, zulasse. Diese Zielsetzung sei nicht mehr dem Schutzbereich des aus Art. 118 Abs. 2 Satz 1 BV abzuleitenden rechtlichen Differenzierungsverbots zuzuordnen. 

Unterrepräsentation von Frauen kein Verstoß gegen Demokratieprinzip

Weiter führt der VerfGH aus, dass eine im Vergleich zum Anteil an der Wahlbevölkerung bestehende Unterrepräsentation von Frauen im Landtag und in kommunalen Vertretungskörperschaften zu keiner Verletzung des Demokratieprinzips führe. Aus Art. 2, 4 und 5 BV lasse sich kein Recht einzelner Bevölkerungsgruppen ableiten, entsprechend dem (Wahl-)Bevölkerungsanteil proportional mit Mandatsträgern im Landtag oder in kommunalen Vertretungskörperschaften präsent zu sein. Diese Gremien bestünden aus frei gewählten und mit freiem Mandat ausgestatteten Volksvertretern, die nicht einem Wahlkreis, einer Partei oder einer Bevölkerungsgruppe, sondern dem gesamten Volk verantwortlich seien. Sie müssten kein möglichst genaues Spiegelbild der (wahlberechtigten) Bevölkerung darstellen.

Gesetzgeber muss Wahlvorschlagsregelungen nicht geschlechterparitätisch ausgestalten

Aus der Bayerischen Verfassung ergibt sich laut VerfGH auch keine Verpflichtung des Gesetzgebers, die angegriffenen wahlrechtlichen Regelungen um paritätische Vorgaben zu ergänzen. Art. 118 Abs. 2 Satz 2 BV enthalte zwar einen ausdrücklichen Verfassungsauftrag zur Herstellung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Diesem Auftrag sei aber in aller Regel und auch vorliegend keine nach Inhalt und Umfang genau umgrenzte Gesetzgebungspflicht zu entnehmen. Der Gesetzgeber müsse bei der hier betroffenen Regelungsmaterie verschiedene, teils gegenläufige verfassungsrechtliche Gewährleistungen, insbesondere auch grundrechtlich geschützte Positionen Dritter, berücksichtigen und gegeneinander abwägen. Dabei stehe ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der nur auf die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grenzen hin überprüft werden könne. Die geforderten paritätischen Bestimmungen würden auch einen erheblichen Eingriff in die Programm-, Organisations- und Wahlvorschlagsfreiheit der Parteien und Wählergruppen mit sich bringen. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, sämtliche gegenläufigen Interessen sowie grundlegende wahlrechtlich-demokratische Prinzipien hintanzustellen, um der bestehenden Unterrepräsentanz von Frauen im Landtag und in kommunalen Vertretungsorganen entgegenzuwirken.  

Klage zu Wahl der Stimmkreisbewerber, der ersten Bürgermeister und Landräte unzulässig

Soweit die Popularklage die Vorschläge für die Wahl der Stimmkreisbewerber sowie der ersten Bürgermeister und Landräte betrifft, hat der VerfGH die Klage bereits für unzulässig erachtet. Diese Vorschläge beträfen jeweils die Wahl einer einzelnen Person. Das von der Verfassung vorgegebene System der verbesserten Verhältniswahl enthalte insofern Elemente der Persönlichkeitswahl. In der Popularklage werde nicht aufgezeigt, wie das Verfahren überhaupt paritätisch ausgestaltet werden könnte. Bei der Aufstellung lediglich einer Bewerberin oder eines Bewerbers könnten offensichtlich nicht "in gleicher Anzahl Frauen und Männer" benannt werden. Eine Quotierung setze immer eine Personenvielzahl voraus, auf deren Zusammensetzung sich die Quotierungsregelung beziehe. Der pauschale Vorschlag, insoweit in Anlehnung an die französische Binomregelung die Parteien und Wählergruppen zu verpflichten, jeweils Kandidatenpaare, bestehend aus Mann und Frau, aufzustellen, die nur gemeinsam gewählt werden könnten, lasse sich ersichtlich nicht mit dem bestehenden, in seinen wesentlichen Grundzügen durch die Verfassung selbst vorgegebenen System von Einzelkandidaturen in Einklang bringen.

Redaktion beck-aktuell, 3. April 2018.