VerfGH Bayern: Bayerisches lntegrationsgesetz teilweise verfassungswidrig

Mehrere Regelungen des Bayerischen Integrationsgesetzes verstoßen gegen die Bayerische Verfassung. Dies hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof am 03.12.2019 entschieden. Verfassungswidrig seien insbesondere die Verpflichtung von Rundfunkanstalten, bei der Vermittlung der in der Präambel definierten "Leitkultur" zu helfen sowie die mögliche Verpflichtung zur Teilnahme an einem "Wertekurs" bei ablehnender Haltung gegenüber den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Az.: Vf. 7-VIII-17).

Oppositionsfraktionen SPD und Grüne rügten Integrationsgesetz

Die Landtagsfraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen wandten sich vor dem VerfGH gegen das seit Anfang 2017 geltende Bayerische Integrationsgesetz. Sie rügten insbesondere den in der Präambel definierten Begriff der Leitkultur und die als Integrationsziel genannte Integrationspflicht. Darüber hinaus beanstandeten sie einzelne Regelungen, so den vom Rundfunk geforderten Beitrag bei der Vermittlung der Leitkultur (Art. 11 Satz 2 BayIntG), den Bildungsauftrag für Kitas, zentrale Elemente der christlich-abendländischen Kultur zu vermitteln (Art. 6 Satz 1 BayIntG), die mögliche Verpflichtung zur Teilnahme an einem "Wertekurs" bei Ablehnung der Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Art. 13 BayIntG), das bußgeldbewehrte Verbot des Unterlaufens der verfassungsmäßigen Ordnung (Art. 14 BayIntG) und die Befugnis der Polizei zum Betreten von Asylbewerberunterkünften (§ 17a Abs. 1 Nr. 5 BayIntG).

VerfGH: Rundfunk als Leitkultur-Vermittler verletzt Rundfunkfreiheit

Der VerfGH hat den Anträgen teilweise stattgegeben. Die aus der Soll-Bestimmung des Art. 11 Satz 2 BayIntG folgende grundsätzliche Verpflichtung, die in der Präambel des Bayerischen Integrationsgesetzes definierte "Leitkultur" in Rundfunk- und Telemedienangeboten zu vermitteln, verletze die Rundfunkfreiheit und das Recht der freien Meinungsäußerung. Dem Rundfunk werde aufgegeben, die in den Sätzen 1 bis 12 der Präambel getroffenen Aussagen und Einschätzungen in seinen Sendungen zu "vermitteln", also den Rezipienten näherzubringen. Eine solche Pflicht zur positiven Förderung bestimmter Wert- und Zielvorstellungen im Sinn einer "kulturellen Grundordnung der Gesellschaft" (Satz 13 der Präambel) sei mit der den öffentlichen Rundfunkanstalten und den privaten Rundfunkanbietern zustehenden Programmfreiheit unvereinbar.

Rundfunk als Sprachrohr des Gesetzgebers verstößt gegen Grundsatz der Staatsferne des Rundfunks 

Laut VerfGH dient die Regelung nicht der funktionsgerechten Ausgestaltung der Rundfunkordnung und ist auch nicht Ausdruck einer verfassungsimmanenten Beschränkung der Rundfunkfreiheit, wie dies etwa für die in Art. 11 Satz 2 BayIntG ebenfalls geforderte Vermittlung der deutschen Sprache in Anbetracht des Bildungsauftrags in Art. 111a Abs. 1 Satz 3 BV angenommen werden könne. Das Gebot, ein bestimmtes Verständnis von "Leitkultur" zu propagieren, mache den Rundfunk insoweit zu einem Sprachrohr des parlamentarischen Gesetzgebers, der diesem Begriff im Bayerischen Integrationsgesetz einen spezifischen Bedeutungsgehalt beigemessen habe. Darin liege ein Verstoß gegen den aus Art. 111a BV abzuleitenden Grundsatz der Staatsferne des Rundfunks.

Mögliche Verpflichtung zu "Wertekurs" verstößt gegen Meinungsfreiheit

Ferner hat der VerfGH die Befugnis der Sicherheitsbehörden, bußgeldbewehrte Verpflichtungen zur Teilnahme an einem Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auszusprechen (Art. 13 BayIntG), als unzulässigen Eingriff in die Meinungsfreiheit (Art. 110 Abs. 1 Satz 1 BV) beanstandet. Denn danach könne zur Kursteilnahme jeder verpflichtet werden, der durch sein Verhalten die Ablehnung bestimmter Regeln, Prinzipien und Werte "zum Ausdruck bringt" (Art. 13 Abs. 1 BayIntG) oder "erkennen lässt", dass ihm diese unbekannt oder gleichgültig seien (Art. 13 Abs. 2 BayIntG). Die Anordnungsbefugnis der Behörde setze hiernach eine - von einem normativen Leitbild abweichende - persönliche Grundeinstellung voraus, die bereits nach außen kommuniziert worden sei. Wer durch öffentliche Äußerungen oder demonstrative Handlungen seine Gegnerschaft, seine Ignoranz oder sein Desinteresse gegenüber der in Art. 13 Abs. 1 und 2 BayIntG beschriebenen Rechts- und Werteordnung bekunde, laufe Gefahr, wegen dieser negativen Haltung einen Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung absolvieren zu müssen.

Anknüpfungsverhalten zu unbestimmt

Den Bestimmungen könne aber nicht mit hinreichender Klarheit entnommen werden, welches individuelle Verhalten vorliegen müsse, damit die Sicherheitsbehörden von ihrer Eingriffsbefugnis Gebrauch machen könnten, so der VerfGH. Unklar sei vor allem, ob mit dem Begriff des "Regelverstoßes" nur eine Verletzung rechtlicher Regelungen gemeint sei oder ob dieses Tatbestandsmerkmal auch eine Missachtung ungeschriebener sozialer Normen erfasse, wie sie etwa im sicherheitsrechtlichen Schutzgut der öffentlichen Ordnung enthalten seien oder sich aus allgemein anerkannten Gebräuchen ergeben könnten.

Gesinnungswandel bezweckende Regelung unverhältnismäßig

Der VerfGH erachtet Art. 13 BayIntG auch für unverhältnismäßig, da der damit verbundene Eingriff in die Meinungsfreiheit nicht in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Regelungszweck stehe. Die Verpflichtung zur Kursteilnahme ziele nicht vorrangig auf die Vermeidung eines befürchteten (erneuten) Fehlverhaltens, sondern auf einen generellen Gesinnungswandel hin zu einer positiveren Haltung gegenüber den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die beabsichtigte geistige Einflussnahme greife, auch wenn sie letztlich nur appellativen Charakter trage, in innerpsychische Vorgänge der Meinungsbildung ein, die für das individuelle Selbstverständnis besonders bedeutsam seien. Darüber hinaus liege in der Vorschrift ein gewichtiger faktischer Eingriff in das Recht, seine Meinung frei äußern zu können. Denn schon das Wissen um die Existenz einer sicherheitsrechtlichen Befugnisnorm, die an die Bekundung bestimmter Meinungsinhalte anknüpfe, könne den einzelnen Grundrechtsträger hindern, seine Ansichten zu den betreffenden Themen unbefangen preiszugeben.  

Allgemeine Befürchtung künftiger verfassungsfeindlicher Aktivitäten kein Rechtfertigungsgrund

Die bloß allgemeine Befürchtung, eine von einzelnen Personen durch Worte oder Taten zum Ausdruck gebrachte Missachtung der geltenden Rechts- und Werteordnung oder einzelner ihrer Elemente könne irgendwann einmal in verfassungsfeindlichen oder allgemein rechtsstaatswidrigen Aktivitäten ihren Niederschlag finden, rechtfertige keine derart schwerwiegenden Eingriffe in das Grundrecht der Meinungsfreiheit.

Bußgeldsanktion bei Unterlaufen der verfassungsmäßigen Ordnung rechtsstaatswidrig

Schließlich hat der VerfGH noch die in Art. 14 Abs. 2 BayIntG vorgesehene Bußgeldsanktion bei Aktivitäten, die auf eine Ersetzung der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung durch eine andere Rechtsordnung abzielen, für verfassungswidrig erachtet. Sie verstoße gegen die abschließende bundesgesetzliche Regelung des strafrechtlichen Staatsschutzes. Die Länder seien nicht berechtigt, eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz dort in Anspruch zu nehmen, wo sie eine - abschließende - Bundesregelung für unzulänglich halten. Das Grundgesetz weise ihnen nicht die Aufgabe zu, kompetenzgemäß getroffene Entscheidungen des Bundesgesetzgebers "nachzubessern". Der Widerspruch gegen die bundesstaatliche Kompetenzordnung sei so offenkundig und schwerwiegend, dass darin zugleich eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips der Bayerischen Verfassung liegt.

Gesetzgebungsbefugnis für "Integrationspflicht" gegeben

Verfassungsrechtlich nicht beanstandet hat der VerfGH dagegen die weiteren angegriffenen Vorschriften. Dazu gehörten zunächst insbesondere die Bestimmungen über die mit dem Gesetz verfolgten Integrationsziele. Die in Art. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BayIntG als Gesetzesziel neben der Integrationsförderung genannte "Integrationspflicht" sei von der dem Landesgesetzgeber nach Art. 70 Abs. 1, Art. 72 Abs. 1 GG zustehenden Gesetzgebungskompetenz gedeckt. Ihr stünden keine abschließenden bundesrechtlichen Regelungen entgegen. Zwar eröffne das Grundgesetz dem Bundesgesetzgeber konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeiten für das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht von Ausländern (Art. 74 Abs. 1 Nr. 4 GG) sowie für die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 6 GG). Hiervon habe er insbesondere durch den Erlass des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) Gebrauch gemacht. Geregelt werde dort neben der Einreise, dem Aufenthalt und der Erwerbstätigkeit von Ausländern auch deren "Integration" (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AufenthG).  

Integration von Ausländern ist staatliche Querschnittsaufgabe

Die Integration von Ausländern stellt dem VerfGH zufolge jedoch keine allein im Ausländer-, Flüchtlings- und Staatsangehörigkeitsrecht wurzelnde einheitliche Sachmaterie dar, die der Bundesgesetzgeber umfassend regeln könnte. Es handele sich vielmehr um eine staatliche Querschnittsaufgabe, die von Bund und Ländern nach Maßgabe der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung gemeinsam zu erfüllen sei und bei der den Bundesländern etwa im Bereich der Bildung, der Kultur, des Rundfunks und des allgemeinen Sicherheitsrechts eigene Gesetzgebungsbefugnisse zustünden, die dem bundesrechtlichen Zugriff entzogen seien.  

Bayerisches Integrationskonzept muss nicht Konzept des Bundesgesetzgebers entsprechen 

Ein rechtsstaatswidriger Widerspruch ergebe sich auch nicht hinsichtlich des Integrationskonzeptes, erläutert der VerfGH weiter. Der Zweck des Bayerischen Integrationsgesetzes liege nach Satz 14 der Präambel darin, die in den vorherigen Sätzen umschriebene, als "Leitkultur" bezeichnete kulturelle Grundordnung zu wahren, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern sowie Migranten zu einem Leben in der Gesellschaft zu befähigen. Ziel des Gesetzes sei es dabei auch, den genannten Personenkreis zur Achtung der "Leitkultur" zu verpflichten (Art. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BayIntG). Ob dieses in Gesetzesform gefasste landesrechtliche Integrationskonzept mit den integrationspolitischen Grundvorstellungen des Bundesgesetzgebers kompatibel sei, könne dahinstehen. Denn selbst wenn sich eine Unvereinbarkeit feststellen ließe, läge darin kein Verstoß gegen das aus dem bundesstaatlichen Rücksichtnahmegebot sowie dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Denn dieses Gebot verpflichte die Länder nicht, bei ihrer Gesetzgebungstätigkeit nur solche konzeptionellen Ansätze zu verfolgen, die denen des Bundesgesetzgebers entsprechen. 

Präambel hat nur programmatischen Charakter

In der Präambel zum Bayerischen Integrationsgesetz sieht der VerfGH keinen Verstoß gegen die Bayerische Verfassung. Mit dieser Präambel werde, wie aus ihrem abschließenden Satz 14 hervorgehe, der Zweck des Bayerischen Integrationsgesetzes erläutert. Dieser bestehe darin, die in den Sätzen 1 bis 12 im Einzelnen umschriebene und in Satz 13 als "Leitkultur" apostrophierte kulturelle Grundordnung der Gesellschaft zu wahren sowie "den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern und Migrantinnen und Migranten zu einem Leben in unserer Gesellschaft zu befähigen". Der hohe Abstraktionsgrad dieser Zielvorstellungen mache deutlich, dass die Präambel kein unmittelbar anwendbares Recht darstelle und insbesondere keine subjektiven Rechte oder Pflichten begründe, sondern - im Stil einer Gesetzesbegründung - lediglich deskriptive, appellative und programmatische Aussagen treffe, die der Umsetzung durch konkrete, vollzugsfähige Normen bedürften. Auch die Legaldefinition der "Leitkultur" unterliege daher der verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur insoweit, als in einzelnen Regelungen des Bayerischen Integrationsgesetzes darauf Bezug genommen wird.

Förderung nur an Leitkultur ausgerichteter Bildungsangebote zulässig

Die Bestimmungen des Art. 3 BayIntG ("Allgemeine Integrationsförderung") seien verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden, so der VerfGH weiter. Insbesondere führe der Verweis auf die für den Freistaat Bayern gesetzlich definierte "Leitkultur" nicht deshalb zu einem Konflikt mit dem Gemeinwohlauftrag des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BV, weil damit entgegen der staatlichen Neutralitätspflicht eine in Bayern vorherrschende weltanschaulich-religiöse Grundhaltung als allgemeinverbindliche Norm vorgegeben oder die Übernahme der Wertvorstellungen einer bestimmten (Mehrheits-)Kultur als Rechtspflicht ausgestaltet würde. Einer solchen Auslegung im Sinn eines (unzulässigerweise) auf vollständige Assimilation gerichteten Integrationskonzepts stehe bereits die Feststellung in Art. 3 Abs. 4 Satz 1 BayIntG entgegen, wonach gelingende Integration der gegenseitigen Rücksichtnahme und Toleranz sowie des Respekts vor der Einzigartigkeit, der Lebensgeschichte und den Prägungen des jeweils anderen bedürfe. Dass die staatlichen Behörden gemäß Art. 3 Abs. 8 BayIntG im Rahmen der geltenden Gesetze auch darauf hinarbeiteten, der in der Präambel legaldefinierten "Leitkultur" Respekt und Akzeptanz zu verschaffen und den zu fördernden Migranten - in Form einer Obliegenheit - eigene Integrationsanstrengungen abzuverlangen, sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Staat dürfe bei seinen Maßnahmen zur Integrationsförderung ein durch demokratische Mehrheitsentscheidung legitimiertes Gesamtkonzept verfolgen.

Kostentragungspflicht für Dolmetscher verfassungskonform

Auch die Regelung in Art. 4 Abs. 4 Satz 1 BayIntG, wonach die notwendigen Kosten eines von einer Behörde herangezogenen Dolmetschers oder Übersetzers einem Volljährigen auferlegt werden können, der innerhalb der letzten sechs Jahre mindestens drei Jahre ständig im Bundesgebiet gelebt hat, ist laut VerfGH verfassungskonform. Sie stelle zwar einen Eingriff in die durch Art. 101 BV geschützte allgemeine Handlungsfreiheit dar. Mit der Vorschrift werde aber, da sie eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zum Erwerb von Sprachkenntnissen motivieren solle, ein legitimer integrationspolitischer Zweck verfolgt, der die Kostentragungspflicht rechtfertigen könne. Zwar gehöre es zu den Geboten der Fairness, bei Verfahrensbeteiligten, die über keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache verfügten, auf die Dienste von Dolmetschern oder Übersetzern zurückzugreifen, wenn dies zur Wahrung des rechtlichen Gehörs oder zur Ausübung sonstiger Verfahrensrechte erforderlich sei. Das bedeute jedoch nicht, dass die damit verbundenen Kosten in jedem Fall von der öffentlichen Hand zu tragen wären. Da die Auferlegung der Dolmetscher- und Übersetzerkosten stets eine Ermessensentscheidung voraussetze, hätten die Behörden den nötigen Spielraum, um möglichen völker-, unions- oder bundesrechtlichen Vorgaben Rechnung zu tragen und individuelle Umstände zu berücksichtigen. 

Haftungsausschluss bei Übersetzungsfehlern ebenfalls verfassungsgemäß  

Ebenso wenig zu beanstanden sei die in Art. 4 Abs. 4 Satz 2 BayIntG getroffene Ausnahmeregelung, wonach bei fehlerhaften Übersetzungen Haftungsansprüche gegen die Körperschaft ausgeschlossen seien, deren Behörde den Dolmetscher oder Übersetzer im Einzelfall herangezogen habe. Dies lasse sich damit rechtfertigen, dass den Sprachmittlern eine vergleichsweise selbstständige Stellung zukomme, die ihre haftungsrechtliche Zuordnung erschwert.  

Kita-Bildungsauftrag kein Verstoß gegen Glaubensfreiheit 

Die in Art. 6 BayIntG ("Frühkindliche Bildung") enthaltene gesetzliche Vorgabe, wonach alle Kinder in Kindertageseinrichtungen zentrale Elemente der christlich-abendländischen Kultur erfahren sollen (Satz 1), verstoße bei zutreffendem Normverständnis ebenfalls nicht gegen die Bayerische Verfassung, fährt der VerfGH fort. Sie sei nicht darauf gerichtet, den Kindern religiöse Erfahrungen zu vermitteln und ihnen damit spezifisch christliche Glaubensinhalte nahezubringen. Das Attribut "christlich" meine jene Werte und Normen, die zwar maßgeblich vom Christentum geprägt seien, heute aber zum Gemeingut des abendländischen Kulturkreises gehörten und daher unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beanspruchten. Das Wort "abendländisch" verweise dabei auf die durch den Humanismus und die Aufklärung beeinflussten Grundwerte der westlichen Welt, zu denen nicht zuletzt religiöse Vielfalt und weltanschauliche Toleranz gehörten. Ein unzulässiger Eingriff in die durch Art. 107 Abs. 1 BV geschützte negative Glaubensfreiheit und das elterliche Erziehungsrecht gemäß Art. 126 Abs. 1 Satz 1 BV sei damit nicht verbunden. Aus Art. 130 Abs. 1 BV lasse sich die Befugnis ableiten, die Träger der Kindertageseinrichtungen auf die im Rahmen ihres Bildungsauftrags zu verfolgenden pädagogischen Grundsätze und Erziehungsziele gesetzlich festzulegen.  

Unterlaufen der verfassungsmäßigen Ordnung nicht bloße Gesinnungsbekundung 

Die Verbotsnorm des Art. 14 Abs. 1 BayIntG ("Unterlaufen der verfassungsmäßigen Ordnung"), die auch ohne die kompetenzwidrige Bußgeldbewehrung des Art. 14 Abs. 2 BayIntG (s. o.) polizeirechtlich durchgesetzt werden könne, sei ebenfalls mit der Bayerischen Verfassung vereinbar. Sie setze die Missachtung der geltenden verfassungsmäßigen Ordnung durch eine sich unter anderem in einer öffentlichen Aufforderung manifestierende Hinwendung zu einer anderen Rechtsordnung voraus. Anders als die von Art. 13 BayIntG erfassten Meinungsäußerungen stelle das in Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 BayIntG beschriebene Verhalten nicht eine bloße Gesinnungsbekundung dar, die dem unmittelbaren staatlichen Zugriff entzogen wäre. In der gegenüber Dritten ergehenden Aufforderung, statt der bestehenden Ordnung einer anderen Rechtsordnung Folge zu leisten, liege eine Anstiftung zum Rechtsbruch. Dies könne das Vertrauen der rechtstreuen Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttern, die eine Grundvoraussetzung für den Fortbestand der Rechtsordnung bilde. Angesichts dieser naheliegenden Gefährdungslage, die sich aus dem Inhalt der betreffenden Äußerungen ergebe, könne das darauf bezogene Verbot nicht als ein unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff angesehen werden.  

Polizeiliche Betretungsbefugnis bei Asylbewerberunterkünften 

Weiter sei die Änderungsvorschrift des Art. 17a Abs. 1 Nr. 5 BayIntG, wonach die Polizei über den bisherigen Anwendungsbereich des Art. 23 Abs. 3 Polizeiaufgabengesetz (PAG) hinaus befugt sei, zur Abwehr dringender Gefahren Wohnungen zu betreten, wenn diese als Unterkunft oder dem sonstigen, auch vorübergehenden Aufenthalt von Asylbewerbern und unerlaubt Aufhältigen dienten (Art. 23 Abs. 3 Nr. 3 PAG), verfassungskonform. Der VerfGH sieht den darin liegenden Eingriff in das Wohnungsgrundrecht (Art. 106 Abs. 3 BV) durch den mit der Befugnisnorm verfolgten Schutzzweck gerechtfertigt. Erlaubt sei das Betreten der Wohnungen nicht etwa deshalb, weil bei dem betroffenen Personenkreis schon wegen der Tatsache des Wohnens ein polizeiliches Eingreifen notwendig wäre. Die Polizei dürfe von der Betretungsbefugnis vielmehr nur im Einzelfall zur Abwehr dringender Gefahren Gebrauch machen, sodass ein unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten hinreichend konkreter Anlass für die Eingriffsmaßnahme gewährleistet sei.  

Generelle Gefahrenannahme bei Asylbewerberunterkünften unzulässig 

Das zwingende Erfordernis einer situationsbezogenen Konkretisierung der Gefahrenlage dürfe in der behördlichen Vollzugspraxis nicht dadurch überspielt werden, dass bei den in Art. 23 Abs. 3 PAG genannten Wohnungen von einer (aufgrund polizeilicher Erfahrung) generell anzunehmenden dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgegangen werde. Auch das Bedürfnis, gegenüber den Personen, die sich in einer solchen Wohnung aufhalten, die Befugnis zur Identitätsfeststellung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c PAG auszuüben, rechtfertige allein noch nicht den Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung.  

"Strukturkomponente" darf bei Zuweisung öffentlich geförderter Wohnungen berücksichtigt werden 

Mit der Bayerischen Verfassung vereinbar sind dem VerfGH zufolge auch die in Art. 17a Abs. 7 und 8 BayIntG enthaltenen Änderungen des Bayerischen Wohnungsbindungsgesetzes und der Durchführungsverordnung zum Wohnungsrecht. Die geänderten oder neu eingefügten Bestimmungen sähen vor, dass die für die Zuweisung öffentlich geförderter Wohnungen zuständigen Stellen neben der Dringlichkeit des individuellen Wohnbedarfs auch eine auf die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung bezogene "Strukturkomponente" zu berücksichtigen haben. Die Vorgabe, dass einseitige Bewohnerstrukturen vermieden werden sollen, sei ausreichend bestimmt, zumal sie zum Bereich der Leistungsverwaltung gehöre und der Vorbehalt des Gesetzes daher nicht in gleicher Weise gelte wie für die Eingriffsverwaltung.  

Deutschunterricht für Sicherungsverwahrte, volljährige U-Häftlinge und  im Maßregelvollzug Untergebrachte verfassungskonform 

Die in Art. 17a Abs. 9 bis 12 BayIntG enthaltenen, nicht auf Personen mit Migrationshintergrund beschränkten Vorschriften über die Teilnahme an einem Deutsch- oder Integrationsunterricht in bestimmten staatlichen Einrichtungen verstoßen nach Auffassung des VerfGH ebenfalls nicht gegen die Bayerische Verfassung. Die Regelungen, nach denen Sicherungsverwahrte, volljährige Untersuchungsgefangene und Personen, die in einer Maßregelvollzugseinrichtung untergebracht seien, dazu angehalten werden sollen, freiwillig an einem in der Anstalt angebotenen Deutsch- beziehungsweise Integrationsunterricht teilzunehmen, könnten schon nicht als (faktische) Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) angesehen werden.  

Verpflichtender Deutschunterricht für Strafgefangene und junge U-Häftlinge dient Resozialisierung  

Die Änderungen des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes und des Bayerischen Untersuchungshaftvollzugsgesetzes, aus denen sich für Strafgefangene und für junge Untersuchungsgefangene eine Teilnahmepflicht ergeben könne, seien ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Behebung von Sprach- und/oder Integrationsdefiziten diene dem Resozialisierungsgedanken der Strafhaft und dem Bildungsauftrag der Untersuchungshaft bei jungen Untersuchungsgefangenen. Da die Teilnahmeverpflichtung der Gefangenen erst entstehe, wenn die Anstalt ihnen einen Unterricht angeboten habe, könne schon durch das Absehen von einem solchen individuellen Angebot auf mögliche Härtefälle reagiert werden, in denen die Teilnahme eine unangemessene Belastung darstellen würde. Die gesetzliche Regelung biete damit ausreichenden Spielraum für einen dem Übermaßverbot Rechnung tragenden grundrechtsschonenden Verwaltungsvollzug.

VerfGH Bayern, Entscheidung vom 03.12.2019 - 03.12.2019 Vf. 7-VIII-17

Redaktion beck-aktuell, 3. Dezember 2019.

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