Antragsteller rügen Verletzung des Homogenitätsprinzips
Die Antragsteller beantragen im zugrundeliegenden Fall, die Ungültigkeit der Landtagswahl 2018 festzustellen. Art. 14 Abs. 1 Satz 6 Bayerische Verfassung sei mit dem Homogenitätsprinzip des Art. 28 GG nicht vereinbar, heißt es in der Begründung. Durch den Einzug von 205 Abgeordneten in den Landtag ergebe sich ein Zuwachs von 25 im Vergleich zur normalen Besetzung mit 180 Mitgliedern. Die Zahl der Abgeordneten könne nicht nachträglich aufgestockt werden. Wer ein Überhang- und wer ein Ausgleichsmandat erhalte, habe der Wähler vor der Wahl nicht erkennen können. Für die Ausgleichsmandate habe niemand kandidiert. Den entsprechenden Abgeordneten fehle daher die demokratische Legitimation. Zudem werde der Regionalproporz zwischen den Regierungsbezirken missachtet. Hauptursache für die Überhänge sei die gespaltene Abstimmung durch die Erst- und Zweitstimme, das sogenannten Stimmensplitting.
Antragsteller fordern: Zweitstimme abschaffen
Dies verletze das Prinzip der personalisierten Verhältniswahl, bei der die Personenwahl mit der Erststimme und die Verhältniswahl mit der Zweitstimme untrennbar miteinander verknüpft seien, und müsse unterbunden werden. Eine Wahl mit zwei Stimmen sei umständlich und überflüssig. Bei der Vergabe der Zweitstimme handle es sich zudem um eine unzulässige Parteienwahl. Die Antragsteller beanstanden ferner das "Nominierungsmonopol" der Parteien bei der Kandidatenaufstellung.
VerfGH: Überhang- und Ausgleichsmandate rechtens
Dieser Argumentation haben sich die Richter nicht angeschlossen. Art. 14 Abs. 1 Satz 6 BV, der Überhang- und Ausgleichsmandate bei der Landtagswahl zulässt, verstoße nicht gegen das Homogenitätsprinzip des Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG. Zwar sei es nicht Aufgabe des VerfGH als Landesverfassungsgericht, im Wahlprüfungsverfahren die Landtagswahl unmittelbar anhand bundesrechtlicher Normen zu überprüfen. Das Grundgesetz könne jedoch mittelbar insofern Bedeutung gewinnen, als die Bayerische Verfassung und sonstige landesrechtliche Vorschriften als Prüfungsmaßstab des VerfGH ihrerseits mit höherrangigem Bundesrecht vereinbar sein müssen.
Grundcharakter der Verhältniswahl nicht infrage gestellt
Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV werden die Mitglieder des Landtags nach einem "verbesserten Verhältniswahlrecht" gewählt. Die Bayerische Verfassung gebe damit, anders als das Grundgesetz, ein bestimmtes Wahlsystem vor. Die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine "Verbesserung" des Verhältniswahlrechts beziehe sich nicht auf eine Perfektionierung des verhältniswahlrechtlichen Leitgedankens, sondern auf Ergänzungen und Modifikationen dieses Gedankens durch von anderen Erwägungen getragene Gestaltungsformen. Dazu gehöre unter anderem die Mehrheitswahl eigener Bewerber in einer Höchstzahl an Stimmkreisen mit der Möglichkeit von Überhang- und Ausgleichsmandaten. Durch dieses mehrheitswahlrechtliche Element werde der Grundcharakter der Verhältniswahl nicht infrage gestellt. Denn zum einen würden bei der Mandatsverteilung zur Zahl der direkt gewonnenen Sitze nur so viele Listenmandate hinzukommen, bis die Gesamtzahl der auf den Wahlvorschlag entfallenden Sitze erreicht sei. Zum anderen würden etwa auftretende Überhangmandate ausgeglichen.
Überhangmandate dank Ausgleichsmandaten zulässig
Das Bundesverfassungsgericht habe bereits mehrfach entschieden, dass das Anfallen von Überhangmandaten im System der mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl seinem Grundsatz nach verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Die Zulassung des Stimmensplittings, also die Vergabe der Erst- und Zweitstimme an Kandidaten unterschiedlicher Listen rechtfertige sich durch den im Demokratieprinzip wurzelnden Repräsentationsgedanken. Entgegen der Auffassung der Antragsteller habe das BVerfG die Anzahl der zulässigen Überhangmandate nicht etwa generell gedeckelt, sondern nur das ausgleichslose Anfallen solcher Mandate bei Überschreiten einer bestimmten Grenze als verfassungswidrig erachtet. Dem trage die Bayerische Verfassung Rechnung, indem sie Ausgleichsmandate ausdrücklich zulasse.
Proporzabweichung verfassungsrechtlich hinnehmbar
Die Antragsteller hätten zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die bei der Landtagswahl 2018 angefallenen 10 Überhang- und 15 Ausgleichsmandate sehr unterschiedlich auf die einzelnen Wahlkreise verteilen. Das führe dazu, dass die Anzahl der für die jeweiligen Wahlkreise tatsächlich vergebenen Sitze den Proporz der Regierungsbezirke nicht mehr in gleicher Weise widerspiegelt, wie dies bei einer regulären Verteilung der Abgeordnetenmandate auf die Wahlkreise der Fall sei. Diese Proporzabweichung sei jedoch verfassungsrechtlich hinnehmbar. Sie ergebe sich als Konsequenz des "verbesserten Verhältniswahlrechts", wobei die Wahl in den gesonderte Wahlkreise bildenden sieben Regierungsbezirken vorzunehmen sei und die Möglichkeit von Überhang- und Ausgleichsmandaten in der Verfassung selbst als grundsätzlich systemgerecht erachtet werde.
Beschränkung des Wahlvorschlagsrechts auf politische Parteien rechtens
Der VerfGH sah auch in der Beschränkung des Wahlvorschlagsrechts auf politische Parteien und sonstige organisierte Wählergruppen (Art. 23 LWG) keinen Rechtsverstoß. Die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl würden auch für das Wahlvorschlagsrecht gelten, das ein Kernstück des Bürgerrechts auf aktive Teilnahme an der Wahl darstelle. Die Parteien würden zwar bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, sie hätten aber kein Monopol, die Willensbildung des Volkes vorzuformen und zu beeinflussen. Dies bedeute jedoch nicht zwingend, dass jedem einzelnen Wahlberechtigten ein solches Vorschlagsrecht eingeräumt werden müsse. Durch das nach bayerischem Recht erforderliche Zusammenwirken mit weiteren Wahlberechtigten werde die Bewerbung von Kandidaten vermieden, die über keine ernsthafte Unterstützung verfügen. Hierbei handele es sich um ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, das dem Schutz der Wähler und der Verhinderung übermäßiger Stimmenzersplitterung dient. Auf Bundesebene werde diesem Zweck im Übrigen dadurch Rechnung getragen, dass Wahlvorschläge, die nicht von politischen Parteien eingereicht werden, ein Unterschriftenquorum von mindestens 200 Wahlberechtigten erfüllen müssen.
Keine unzulässige Parteienwahl
Der VerfGH konnte auch bei der Vergabe der Zweitstimmen keine Rechtsverletzung feststellen. Mit der Zweitstimme würden Abgeordnete aus den Wahlkreislisten der einzelnen Wahlkreisvorschläge gewählt. Die Zweitstimme werde sogar – anders als bei den Bundestagswahlen – grundsätzlich nicht an eine der Wahlkreislisten als solche, sondern an eine bestimmte Person aus den dort aufgeführten Wahlkreisbewerbern vergeben. Nur wenn lediglich eine bestimmte Partei oder Wählergruppe angekreuzt werde oder mehrere Bewerber innerhalb einer Liste angekreuzt würden, werde die Stimme der betreffenden Wahlkreisliste zugerechnet. Auch hierin liege keine unzulässige Parteienwahl, da die Stimme jeweils einer bestimmten Liste und damit letztlich einem bestimmbaren Kandidaten zugutekomme.