VerfGH Baden-Württemberg, AfD-Abweichler durch Fraktionsmaßnahmen in freiem Mandat verletzt

Die AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag hat den Abweichler Heinrich Fiechtner in seinen Rechten aus dem freien Mandat verletzt, indem es gegen ihn ein Redeverbot verhängte und seinen Abzug aus zwei Ausschüssen beschloss. Dies hat der baden-württembergische Verfassungsgerichtshof mit Urteil vom 27.10.2017 entschieden und einer Organklage Fiechtner stattgegeben. Die Fraktion habe diesem kein rechtliches Gehör gewährt. Zudem dürfe die Fraktion kein Redeverbot verhängen (Az.:1 GR 35/17).

Fraktion belegte dissentierenden Antragsteller mit Redeverbot und erwirkte Abzug aus Ausschüssen

Fiechtner hatte den VerfGH im Organstreitverfahren angerufen, weil er sich in seinen Abgeordnetenrechten aus Art. 27 Abs. 3 der baden-württembergischen Landesverfassung (LV) verletzt sah. Zuvor gab es diverse Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und der Fraktion. So sprach sich der Arzt Fiechtner im Rahmen seiner Landtagsrede am 14.12.2016 dafür aus, eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge einzuführen, obwohl diese Position nicht von einer Mehrheit der Mitglieder der Antragsgegnerin geteilt wurde. In der Fraktionssitzung vom 20.12.2016 beschloss die Fraktion in Abwesenheit des Antragstellers, ihm das Rederecht unbefristet zu entziehen, und verlangte zudem, sich von seinem Mitarbeiter zu trennen. Außerdem wurde am 20.12.2016 die Abberufung Antragsteller aus dem Untersuchungsausschuss "Rechtsterrorismus/NSU BW II" und am 31.01.2017, ebenfalls in dessen Abwesenheit, Fiechtners Abberufng aus dem Innenausschuss beschlossen, was vom Landtag nach entsprechendem Vorschlag auch so umgesetzt wurde.

VerfGH: Abzug aus Ausschüssen ohne vorherige Anhörung war rechtswidrig

Der VerfGH hat der Organklage Fiechtners stattgegeben. Die angegriffenen Fraktionsmaßnahmen verletzten das freie Mandat des Antragstellers aus Art. 27 Abs. 3 LV. Der Abzug aus den Ausschüssen hätte nicht beschlossen werden dürfen, ohne dem Antragsteller rechtliches Gehör zu gewähren. Die Gewährung rechtlichen Gehörs setzt dabei laut VerfGH voraus, dass ein entsprechender Antrag dem betreffenden Abgeordneten mit Begründung vorab unter Beachtung einer angemessenen Frist schriftlich zu übermitteln sei. Der Abgeordnete müsse sich zu dem Antrag äußern können und seine Äußerung müsse den Fraktionskollegen vor der Entscheidung bekannt gemacht werden, so dass sie diese berücksichtigen können. Eine erst nachträglich gegebene Rügemöglichkeit genüge jedenfalls nicht.

Redeverbot ebenfalls rechtswidrig

Auch das beschlossene "unbefristete Redeverbot für die Fraktion im Plenum" verletze den Antragsteller in seinem freien Mandat, so der VerfGH. Zwar sei es im Hinblick auf das freie Mandat nach Art. 27 Abs. 3 LV grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Fraktionsversammlung der Antragsgegnerin, wie in § 6 Nr. 5 und § 9 Nr. 4 Satz 2 ihrer Satzung geregelt, über die Benennung der Redner im Plenum von Fall zu Fall auf Vorschlag des zuständigen Fraktionsarbeitskreises, der die inhaltliche Position des vorgeschlagenen Mitglieds kennen dürfte, entscheide. Darüber hinaus sei dem Antragsteller durch die angegriffene Maßnahme nicht grundsätzlich die Möglichkeit genommen worden, im Plenum als Abgeordneter das Wort zu ergreifen. Der Präsident des Landtags könne ihm in einer Debatte auch neben einem Redner der Antragsgegnerin das Wort erteilen.

Fraktion darf kein Redeverbot erteilen - Auch kein rechtliches Gehör gewährt

Laut VerfGH hat die Antragsgegnerin aber keine Möglichkeit, ein "Redeverbot" zu verhängen. Ein solches Verbot könnte von einer Fraktion gegenüber einem Mitglied schon deshalb nicht ausgesprochen werden, weil dies der Gleichrangigkeit der Abgeordneten widerspräche. Indessen beeinträchtige auch der pauschale und unbefristete Ausschluss als Redner für die Fraktion die im freien Mandat angelegte Mitwirkungsmöglichkeit, als Mitglied einer Fraktion von dieser als Redner in Betracht gezogen zu werden. Ungeachtet der Frage, ob ein solche Maßnahme überhaupt zulässig sein könne, habe sie jedenfalls - wie die Ausschussabberufung - verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen zu genügen. Hier sei aber dem Antragssteller schon kein rechtliches Gehör gewährt worden.

VerfGH BW, Urteil vom 27.10.2017 - 1 GR 35/17

Redaktion beck-aktuell, 30. Oktober 2017.

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