Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat am Dienstag gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, in der Bundespressekonferenz in Berlin den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 vorgestellt. Im Mittelpunkt standen dabei "hybride Bedrohungen" wie Cyberangriffe und Spionage, insbesondere durch Russland, sowie die extremistischen Bedrohungen durch Islamismus, Rechts- und Linksextremismus.
Für das Jahr 2023 wurden insgesamt 39.433 Straftaten mit extremistischem Hintergrund ausgewiesen, dies ist ein neuer Höchststand – 2022 waren es noch 35.452. Bei 2.761 Delikten handelte es sich Gewalttaten.
Personenpotenzial der Extremisten wächst, "Ende Gelände" jetzt Verdachtsfall
Im Bereich des Rechtsextremismus führt der Verfassungsschutz ein Personenpotenzial von 40.600 Menschen. Im Vorjahr wurden noch 38.800 Bürgerinnen und Bürger dem Milieu zugeordnet. Auch der Anteil der gewaltorientierten Rechtsextremen sei um 500 auf 14.500 gestiegen. Der Verfassungsschutz nimmt eine zunehmende Vernetzung von Akteuren im Bereich der "Neuen Rechten" an und sieht auch innerhalb der "Reichsbürger"- und "Selbstverwalter"-Szene einen um 2.000 Menschen erhöhten Personenkreis von nun 25.000 Anhängern und Anhängerinnen, worunter rund 2.500 gewaltorientiert seien (2022: 2.300). Die Waffenaffinität vieler Szeneangehöriger gilt weiter als Gefährdungsfaktor: Im Jahr 2023 seien mindestens 360 "Reichsbürgerinnen" und "Reichsbürgern" sowie "Selbstverwalterinnen" und "Selbstverwaltern" waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen oder durch sie freiwillig zurückgegeben worden.
Das BMI spricht auch von einer Steigerung im linksextremistischen Personenkreis. So sei die Zahl der Szene-Angehörigen um 500 auf insgesamt 37.000 gestiegen. Mehr als 25% seien als gewaltorientiert einzuschätzen, so der Verfassungsschutz. Für das BfV sei "besonders der Zuwachs an Gewalttaten beunruhigend (um 20,8 Prozent auf 727 Delikte). Insbesondere Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte nahm deutlich zu, darunter ein nach derzeitigem Ermittlungsstand versuchter Mord." Die linksextreme Szene versuche, die Klimaprotestbewegung mit dem Ziel einer Radikalisierung der Aktionsformen bis hin zur Sabotage von Infrastruktur zu beeinflussen. Aus diesem Grund sei das Bündnis "Ende Gelände" nunmehr als linksextremistischer Verdachtsfall einzustufen.
Im Bereich Islamismus/islamistischer Terrorismus zeige sich ein annähernd gleichbleibendes Personenpotenzial von 27.200 Personen (2022: 27.480). Europa, und damit auch Deutschland, stünden weiterhin und verstärkt im Fokus terroristisch-jihadistischer Organisationen, vor allem des ISPK (Islamischer Staat – Provinz Khorasan), so das BMI. Seit dem 7. Oktober 2024 habe sich die Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland weiter erhöht.
Sonderkapitel zum Nahostkonflikt, Cyberangriffe und Spionage steigen
Die Ereignisse um den Terrorangriff der Hamas und den Gaza-Krieg haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland, führt das BMI aus. So enthält der Bericht erstmals ein "phänomenübergreifendes Sonderkapitel". Diese Auswirkungen zeigten sich darin, dass unterschiedliche extremistische Akteure den Konflikt nutzen würden, um zu Hass und Gewalt gegen Jüdinnen und Juden aufzurufen oder das Existenzrecht Israels zu leugnen, so der Bericht.
Daneben standen im Mittelpunkt des Berichtes "hybride Bedrohungen", wie etwa Cyberangriffe, Spionage oder Desinformationskampagnen. Auch deren Zahl sei gestiegen. Als Hauptakteure macht das BfV vor allem die Russische Föderation, die Volksrepublik China und die Islamische Republik Iran aus. So habe vor allem die Propaganda und illegitime Einflussnahme durch Russland zugenommen. Auch das "strategisch gesteuerte Vorgehen Chinas forderte die Cyber- und Spionageabwehr in besonderem Maße.".
Das Personenpotenzial im auslandsbezogenen Extremismus sei im Vergleich zum Vorjahr mit 30.650 Personen (2022: 29.750) leicht angestiegen. Die zahlenmäßig bedeutsamste Organisation in Deutschland ist für das BMI weiterhin die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) mit 15.000 Anhängern.
Behörden sollen intensiver vorgehen
Bundesinnenministerin Faeser sprach bei der Vorstellung des Berichts von einer angespannten Sicherheitslage. "Der brutale russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt weiterhin die europäische Friedensordnung in Frage. Und die furchtbaren Eskalationen im Nahen Osten nach dem Terror der Hamas gegen Israel wirken sich auch bei uns aus." Die Bedrohung der Demokratie habe eine "neue Dimension" erreicht – es brauche nun in allen Bereichen höchste Sensibilität, vor allem innerhalb der kritischen Infrastruktur. Deshalb werde man den Kampf gegen islamistischen Terror weiter verstärken. Faeser führte aus: "Außerdem wollen wir islamistische Gewalttäter und Gefährder wieder nach Afghanistan und Syrien abschieben – und arbeiten intensiv daran, hierfür Wege zu finden. Das Sicherheitsinteresse Deutschlands hat hier ganz klar die Priorität."
Auch BfV-Präsident Haldenwang sieht ein "aktuell sehr hohes Niveau von Bedrohungen". Die verschärfte Gefährdungslage Deutschlands stelle auch den Verfassungsschutz vor große Herausforderungen. Neben der erhöhten Anschlagsgefahr durch radikale Gruppen bestehe auch eine Bedrohung durch radikalisierte Einzeltäter ohne erkennbare Zugehörigkeit zu einer Terrorgruppe. Haldenwang spricht davon, dass der Nahostkonflikt wie ein Brandbeschleuniger für Antisemitismus wirke, der ein Brückennarrativ für "sehr unterschiedliche Extremismusfelder" sei.