Verdi durfte auf Betriebsparkplatz von Amazon zum Streik aufrufen
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Das Bundesverfassungsgericht hat am 09.07.2020 bestätigt, dass die Gewerkschaft Verdi Beschäftigte von Amazon auf dem Betriebsparkplatz direkt vor dem Haupteingang zum Betrieb ansprechen durfte, um diese zum Streik zu mobilisieren. Amazon sei dadurch nicht in seinen Grundrechten auf Eigentum und unternehmerische Handlungsfreiheit verletzt, da die Gewerkschaft ihre Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG überhaupt wahrnehmen können muss.

Amazon berief sich auf sein Hausrecht

Seit 2014/2015 kommt bei den beiden Beschwerdeführerinnen zu gewerkschaftlich initiierten Streiks. Es handelt sich um Logistikzentren  Amazons, die nicht tarifgebundenen sind. Die Gewerkschaft zielt auf Anerkennungstarifverträge für die einschlägigen Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels. An einzelnen Streiktagen versammelten sich daher Vertreter der Gewerkschaft mit den streikenden Beschäftigten kurz vor Schichtbeginn auf dem jeweiligen Betriebsparkplatz. Dieser ist sehr groß und durch Schilder als Privatgrundstück gekennzeichnet. Er befindet sich direkt vor dem Haupteingang des Betriebs, der nur über den Parkplatz erreicht werden kann, und wird aufgrund der außerörtlichen Lage auch von fast allen Beschäftigten genutzt. Die Beschwerdeführerinnen haben sich gegen diese Streikmaßnahmen auf ihr Hausrecht auf dem Parkplatz berufen. Das Bundesarbeitsgericht entschied nach Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen, dass die Streikmaßnahmen dort hinzunehmen seien.

BVerfG: Eigentumsrecht und unternehmerische Handlungsfreiheit nicht verletzt

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Die angegriffenen Entscheidungen verletzten die Beschwerdeführerinnen nicht in ihren Grundrechten aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG. Sie wendeten sich letztlich gegen das Ergebnis der fachgerichtlichen Grundrechtsabwägung. Das BAG habe die grundrechtlichen Wertungen hier jedoch nicht verkannt. Das BAG habe mit Blick auf das Hausrecht der Beschwerdeführerinnen zutreffend die Wertungen der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG sowie der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Handlungsfreiheit zugrunde gelegt.

Negative Koalitionsfreiheit nicht betroffen

Demgegenüber habe es zu Recht nicht auch auf die negative Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführerinnen aus Art. 9 Abs. 3 GG abgestellt. Diese umfasse das Recht, sich nicht zu Koalitionen zusammenzuschließen, bestehenden Koalitionen fernzubleiben sowie aus diesen auszutreten. Hier hätten die gewerkschaftlichen Aktionen nicht darauf abgezielt, die Unternehmen zu einem Verbandseintritt zu bewegen. Vielmehr sollte ein Haustarifvertrag erkämpft werden, der keine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband erfordert. Es sei nicht Bestandteil der negativen Koalitionsfreiheit, von jeglichen Betätigungen der Koalitionen gänzlich verschont zu bleiben. Das BAG habe daneben zutreffend Art. 9 Abs. 3 GG zugunsten der Gewerkschaft Rechnung getragen. Das Recht aus Art. 9 Abs. 3 GG umfasse mit der Tarifautonomie insbesondere auch den Abschluss von Tarifverträgen und Arbeitskampfmaßnahmen einschließlich des Streiks.

Abwägung nicht zu beanstanden - Bestehen von Alternativen vom BAG geprüft

Schließlich habe das BAG das Spannungsverhältnis zwischen Eigentum sowie Handlungsfreiheit der Unternehmen als Arbeitgeber und Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft nachvollziehbar aufgelöst. Dies sei in erster Linie Sache der Fachgerichte. Der ihnen zustehende Spielraum sei nicht überschritten, denn die Abwägung der betroffenen Rechtspositionen genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die dagegen gerichteten verfassungsrechtlichen Einwände überzeugten das BVerfG nicht. Das BAG stelle zentral darauf ab, dass die Gewerkschaft ihre Rechte überhaupt wahrnehmen können muss. Zum Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG gehöre daher auch die persönliche Ansprache der Arbeitswilligen vor Antritt der Arbeit, um sie zum Streik mobilisieren zu können. Die Beschwerdeführerinnen müssten eine damit verbundene Einschränkung ihrer Rechte hinnehmen. Das BAG habe insoweit geprüft, ob andere Möglichkeiten bestanden, den Streik durchzuführen.

Grundrechte der Gewerkschaft nicht einseitig privilegiert

Wenn das Gericht hier unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände zu der Überzeugung gelange, dass die konkret auf eine Arbeitskampfmaßnahme bezogene Ansprache Arbeitswilliger nur auf dem Betriebsparkplatz möglich sei, sei das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Damit würden die Grundrechte der Gewerkschaft nicht einseitig privilegiert. Insbesondere müsse das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerinnen nicht vollständig zurücktreten. Das BAG habe vielmehr darauf abgestellt, dass die Aktivitäten der Gewerkschaft in engem zeitlichen Zusammenhang zur Ansprache der arbeitswilligen Beschäftigten stehen müssten.

Streikgasse nicht erforderlich - Parkplätze groß genug

Dabei habe das BAG der Gewerkschaft auch nicht vorwerfen müssen, keine Streikgasse gebildet zu haben. Der Platzbedarf von den in einem Verfahren genannten 65 Personen könne im Verhältnis zu einer ebenfalls genannten Parkplatzfläche von nahezu 30.000 Quadratmetern keine Beeinträchtigung erzeugen, die den Beschwerdeführerinnen ihre Grundrechte insbesondere aus Art. 14 Abs. 1 GG nehmen würde. Vielmehr hätten Arbeitswillige auf dem Betriebsparkplatz weiter ihr Fahrzeug abstellen und an ihren Arbeitsplatz gelangen können.

BVerfG, Beschluss vom 09.07.2020 - 1 BvR 719/19

Redaktion beck-aktuell, 5. August 2020.