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Senator gegen "Corona-Leugner und Reichsbürger"
"Ich bin nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird." So hatte sich der Politiker noch am Mittwoch geäußert. Am heutigen Donnerstag betonte er im rbb-Inforadio, es seien verschiedene Grundrechte abgewogen worden - die Versammlungsfreiheit gegen den Schutz des Lebens. Dabei sei es unerheblich, welche Positionen auf der Demo vertreten würden, so Geisel, er persönlich lehne diese Inhalte aber ab. Ausschlaggebend seien die Erfahrungen der ersten Protest-Demo gegen die Corona-Maßnahmen am 1. August gewesen: Hier sei "ganz bewusst gegen den Infektionsschutz verstoßen worden (...), das ist das Ziel dieser Demonstration", so der Innensenator. Deshalb sei der Schutz des Lebens nun höher eingestuft worden.
Schutz der Gesundheit
Letztes Mal habe man es mit Auflagen versucht - diese hätten die Anmelder der Demo anfangs auch akzeptiert. Doch dann seien diese gezielt missachtet worden, weshalb die Demonstration aufgelöst wurde, so der Innensenator. Bei dem Protest am Wochenende handele es sich um denselben Anmelder. Und der eigentliche Sinn der Veranstaltung sei es, die Corona-Maßnahmen zu unterlaufen. Hier gehe es auch um das gesundheitliche Gefahrenpotenzial für Berlinerinnen und Berliner, für die Demonstrierenden untereinander, aber auch für die Einsatzkräfte der Polizei, sagte der SPD-Politiker. Er wehrte sich gegen Vorwürfe, dass seine persönliche Haltung gegenüber den Inhalten zu einem Verbot geführt habe: "Vor Gericht zählt nur die Verbotsverfügung, nicht meine politische Haltung." Die Polizei stehe mit mehreren Tausend Beamten bereit, um am Wochenende das Demonstrationsverbot oder harte Auflagen durchzusetzen.
"Meinungsfreiheit auch für Verschwörungstheoretiker"
Im Internet hat sich bereits eine rege Diskussion entfacht. Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte im Kurznachrichtendienst Twitter: "Statt diese Demo pauschal zu verbieten, sollte sie unter strikten Auflagen genehmigt werden. Die Einhaltung muss dann konsequent gewährleistet sein. Das heißt bei Verstößen: im Zweifel auflösen. Auch Unsinn gehört zur Meinungsfreiheit." Ihr Parteifreund und Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle meinte dort: "Egal ob AfD-Mitglied, Corona-Leugner oder Verschwörungstheoretiker - auch wenn es hier manchen nicht gefällt: Diese Leute können sich genauso auf
Artikel 8 GG berufen wie Black Lives Matter oder Fridays for Future. Versammlungsverbote sind aus guten Gründen extrem schwierig." Der stellvertretende Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stefan Müller, sprach von einem "verqueren Politikverständnis".
"Eingriff ist verhältnismäßig"
Anders der frühere Vorsitzende
BGH-Richter Thomas Fischer. Das Versammlungsrecht gelte zwar in jedem Fall, sagte er im "Morning Briefing Podcast" von Media Pioneer. Allerdings stehe in
Art. 5 Abs. 2 GG, dass dieses Recht bei Versammlungen unter freiem Himmel und bei Aufzügen durch das Bundesgesetz beschränkt werden könne. "Das heißt, schon im Grundgesetz selbst sind die Schranken dieses eigentlich schrankenlosen Grundrechts angedeutet", so Fischer. Eindeutig befürwortet er das Verbot: "Meine Abwägung ist eindeutig auf der Seite der Innenbehörde. Ich glaube, dass dieser Eingriff richtig und auch verhältnismäßig ist." Man dürfe zwar auch durch die Straßen ziehen und fordern: "Wir wollen unseren Kaiser wiederhaben." Aber: "Wenn man sich dabei vermummt oder mit Vorderladern durch die Straßen zieht, wird es verboten. Das ist kein anti-monarchistischer Impetus, den der Staat da anwendet, sondern er möchte, dass die Regeln eingehalten werden."
Was wird die Justiz sagen?
Rechtsanwalt Fiete Kalscheuer schrieb auf Twitter: "Geisels amtliche Aussage ,Ich erwarte eine klare Abgrenzung aller Demokratinnen und Demokraten gegenüber denjenigen, die unter dem Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit unser System verächtlich machen', ist rechtswidrig." Jedenfalls sei der Senator zu dieser Äußerung nicht befugt. Auch verwies er auf eine Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts, die dem Düsseldorfer Oberbürgermeister bescheinigt hatte, er habe gegen das Neutralitätsgebot verstoßen, als er zum Zeichen gegen Rassismus das Licht im Rathaus hatte löschen lassen. Sein Anwaltskollege Niko Härting befand: "Das Verbot ist schlecht begründet. Warum keine Auflage einer Maximalzahl und warum keine ,Hygieneauflagen'?" Rechtsanwalt Christian Conrad äußerte in dem sozialen Medium: "Rechtlich aber spannend: Verwaltungsakt wird neutral begründet, die begleitende Pressemitteilung lässt aber unzulässige Motive erkennen. Kann/Darf/Muss das Verwaltungsgericht diese berücksichtigen? (Ich meine: Ja)." Eine Frage, so ein weiterer Hinweis auf Twitter, die sich auch gestellt habe, als der
EuGH über die deutsche Pkw-Maut entschied.
Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 27. August 2020.