Verbände gegen "Vielklägergebühr" vor Sozialgerichten

Im Bundesrat wird heute über die Initiative Hessens zu einem Gesetz zur Einführung einer Verfahrensgebühr für sogenannte Vielkläger vor Sozialgerichten abgestimmt. Wer innerhalb von drei Jahren mehr als neun Klagen einreicht, soll künftig für jedes weitere Verfahren 30 Euro bezahlen. Der Deutsche Anwaltverein und weitere Verbände haben sich in einer gemeinsamen Stellungnahme gegen das Vorhaben ausgesprochen.

Vermutung des Rechtsmissbrauchs nicht belegt

Die Gesetzesinitiative wird damit begründet, dass sich angeblich Fälle häuften, in denen einzelne Kläger mit einer Vielzahl von Verfahren die Gerichte beschäftigten. Aus Sicht des Deutschen Anwaltvereins (DAV), des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) fehlt es der Gesetzesinitiative jedoch an belastbarem Zahlenmaterial, das den gewünschten Zusammenhang zwischen "Vielkläger" und "viele Klagen" belege. Der Gesetzesentwurf stütze sich lediglich auf nicht belegbare Behauptungen und Annahmen. Wissenschaftliche Untersuchungen sähen deutlich andere Zusammenhänge.

Verfassungsrechtliche Bedenken

Außerdem bestehen aus Sicht der Verbände erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Eine solche Gebühr wäre mit dem Grundrecht auf effektiven Rechts­schutz schwer vereinbar, argumentieren sie. Sie könnte außerdem Bürgerinnen und Bürger mit berechtigen Rechtsschutzinteressen abschrecken, den Klageweg überhaupt einzuschlagen.

DAV verweist auf bestehende Sanktionsmöglichkeiten

Nach Ansicht von DAV-Vizepräsident Martin Schafhausen gibt es einen sinnvolleren Weg, die Justiz zu entlasten: "Würde der Gesetzgeber handwerklich bessere Gesetze verfassen, könnten diese leichter angewendet werden. Es wären dann gar nicht erst so viele Gerichtsverfahren notwendig", so Schafhausen. Für die seltenen Fälle, in denen die Gerichte eindeutig missbraucht würden, habe die Justiz überdies genügend Instrumente, dagegen vorzugehen, etwa mit der Sankti­ons­mög­lichkeit des § 192 SGG. Die Einführung einer Vielklägergebühr in sozialrechtlichen Verfahren sei gerade in Zeiten einer Pandemie, die bei vielen Bürgerinnen und Bürgern zu existenziellen Notlagen führe, das falsche Signal. Eine solche von den Betroffenen und der Öffentlichkeit als weiterer Abbau des Sozialstaates empfundene Regelung könnte die bereits bestehenden gesellschaftlichen Spannungen verschärfen.

Recht bekommen "darf keine Frage des Geldbeutels sein"

DGB-Bundesvorstandsmitglied Anja Piel fordert, dass sich Versicherte auf Augenhöhe mit Sozialleistungsträgern über ihre Anliegen auseinander setzen können müssen. "Menschen durch zusätzliche Kosten davon abzuhalten, ihre Rechte vor Gericht einzuklagen, ist in unserem Sozialstaat unwürdig", so Piel. SoVD-Präsident Adolf Bauer betont: "Recht zu bekommen darf keine Frage des Geldbeutels sein - schon gar nicht vor Sozialgerichten."

Redaktion beck-aktuell, 5. März 2021.