Vatikan schafft "päpstliches Geheimnis" bei Missbrauch ab

Unzählige Akten über Missbrauchsfälle schlummern in den Archiven der Kirche. Weil sie einem Schweigecode unterlagen, hatte kaum einer Einblick. Nun schafft der Papst diese umstrittene Regelung ab. Und die Bischöfe vor Ort müssen neue Transparenz vorleben. Opfer und Kirchenrechtler sprachen am 17.12.2019 von einer "überfälligen" Entscheidung und dem bedeutendsten Schritt seit dem Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan.

Staatliche Ermittler können auf Akten zugreifen

Künftig könnten Akten zu Missbrauchsfällen, die in Vatikan-Einrichtungen oder diözesanen Archiven aufbewahrt werden, Ermittlungsrichtern der Länder, die sie anfordern, übermittelt werden. Für die Öffentlichkeit werden sie allerdings nicht einsehbar sein. Zudem veröffentlichte der Vatikan eine Änderung beim Alter von Kindern, die Opfer pornografischer Darstellungen werden: Bisher wurden Besitz und Verbreitung solcher Bilder als schwerste Straftaten gezählt, wenn die Kinder bis zu 14 Jahre alt waren. Nun wurde diese Altersgrenze auf 18 Jahre hochgesetzt.

Epochale Entscheidung des Papstes

Der Vatikan nannte die neuen Regelungen bahnbrechend. "Meiner Meinung nach ist diese Entscheidung des Papstes epochal und kommt genau zum richtigen Zeitpunkt", sagte der Erzbischof von Malta, Charles Scicluna, einer der engsten Berater des Papstes beim Thema Missbrauch. Immer wieder habe es große Hindernisse bei der Aufklärung gegeben. "Das Opfer hatte keine Gelegenheit zu wissen, was genau aus seiner Anzeige wurde, weil es ein «päpstliches Geheimnis» gab." 

Positive Resonanz auf Papstvorstoß

Der Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Universität Münster sprach von einem "substanziell positiven" Schritt, der die Beweisaufnahme nun sehr erleichtere. Die Frage sei nun, wie es vor Ort umgesetzt wird. Bischöfe könnten sich aber nicht mehr so leicht hinter dem päpstlichen Geheimnis verstecken und versuchen, Aufklärung zu verhindern. Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, nannte es einen richtigen Schritt im "langen Prozess der Kirche, der von vielen Seiten als notwendig angesehen wurde".

Franziskus unter Druck

Franziskus stand bei dem Thema stark unter Zugzwang. Auf dem Anti-Missbrauchsgipfels im Vatikan im Februar 2019 war mehr Transparenz eines der Hauptanliegen der Opfer gewesen. Auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hatte damals darauf hingewiesen. Er ließ das Argument nicht gelten, dass ohne das Geheimnis der gute Ruf eines Priesters in Gefahr sei, der irrtümlich beschuldigt werde. Unmittelbar nach dem Gipfeltreffen aller Bischöfe der Welt war die Kritik allerdings groß, dass der Vatikan mit Reformen immer noch zögerte. Die Kirche kam trotz der Null-Toleranz-Versprechen von Franziskus, und bereits von seinem Vorgänger Benedikt XVI., nicht aus der Krise. Schließlich wurde der massenhafte Missbrauch von Kindern über Jahrzehnte vertuscht und unter den Teppich gekehrt.

Opfervertreter: Weitere Schritte zu Transparenz nötig

Ist das nun der Durchbruch auf dem langen Leidensweg der Missbrauchsopfer? "Lange haben Betroffenenvertreter aus aller Welt gefordert, das päpstliche Geheimnis in Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch durch Priester aufzuheben", sagte Matthias Katsch von der Opfervereinigung Eckiger Tisch. "Die Entscheidung des Vatikan ist also ein überfälliger Schritt." Es sei nun wichtig, dass weitere Schritte zur Transparenz gemacht würden – "auch im Hinblick auf die tausenden von Missbrauchsakten, die in vatikanischen Kammern und Palästen lagern". Die Akten müssten nun einer unabhängigen Aufarbeitung zugänglich gemacht werden.

Redaktion beck-aktuell, Annette Reuther, 18. Dezember 2019 (dpa).