US-Vizepräsidentin kritisiert Supreme Court für Abtreibungsurteil

US-Vizepräsidentin Kamala Harris hat den Obersten Gerichtshof des Landes wegen der jüngsten Entscheidung zum Abtreibungsrecht scharf kritisiert. "Ich denke, es ist ein aktivistisches Gericht", sagte Harris in einem Interview mit dem Fernsehsender NBC, das am Sonntag ausgestrahlt wurde. "Wir hatten fast ein halbes Jahrhundert lang ein festes Recht, nämlich das Recht der Frauen, über ihren eigenen Körper zu entscheiden." Das Gericht habe dieses verfassungsmäßige Recht weggenommen.

Restriktive Abtreibungsgesetze in einigen Bundesstaaten

"Und wir leiden als Nation darunter", so Harris weiter. Sie mache sich "große Sorgen um die Integrität des Gerichts insgesamt". Ende Juni hatte der Oberste Gerichtshof der USA ein Grundsatzurteil gekippt, welches bis dahin fast 50 Jahre lang das Recht auf Abtreibung in der US-Verfassung sicherte. Da dieses Recht nun nicht mehr per Bundesgesetz geschützt ist, können die Bundesstaaten weitreichende Einschränkungen und Verbote erlassen. Vor allem republikanisch regierte Bundesstaaten haben bereits restriktive Abtreibungsgesetze in Kraft gesetzt. Die Folge des Urteils des Supreme Court ist auch ein Flickenteppich an Regelungen. Die Entscheidung des obersten US-Gerichts löste unter Befürwortern des Rechts auf Abtreibung einen Aufschrei aus.

Vorsitzender Richter des Supreme Court wehrt sich gegen Kritik

Der Vorsitzende Richter des Supreme Courts, John Roberts, reagierte bereits am Freitagabend nach der Vorab-Ausstrahlung einiger Passagen in einer eher raren Wortmeldung auf die breite Kritik an dem Gericht. Bei einer Veranstaltung im Bundesstaat Colorado sagte er: "Nur weil Menschen mit einer Entscheidung nicht einverstanden sind, ist das kein Grund, die Legitimität des Gerichts in Frage zu stellen."

Harris besorgt um Demokratie

Harris erklärte in dem Interview weiter, sie sei besorgt über das Image der Vereinigten Staaten als Vorzeige-Demokratie. Derzeit bemühten sich elf Personen in US-Bundesstaaten jeweils um das dortige Amt des obersten Wahlaufsehers, die gleichzeitig die Legitimität der jüngsten Präsidentschaftswahl in Frage stellten. Außerdem gebe es in einigen der höchsten gewählten Ämter des Landes Personen, die sich weigerten, den Sturm auf das Kapitol vom Januar 2021 zu verurteilen. Das bringe Menschen dazu, sich zu fragen, ob die USA in Sachen Demokratie eigentlich zu dem stünden, was sie selbst sagten. "Wir hatten in der Vergangenheit die Ehre und das Privileg, unser Haupt als Verteidiger und als Beispiel einer großen Demokratie hochzuhalten", sagte sie. "Das gibt uns die Legitimität und das Ansehen, über die Bedeutung der demokratischen Prinzipien, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte zu sprechen." Die USA sähen sich hier als Vorbild, und so werde international beobachtet, "was wir tun, um zu sehen, ob es dem entspricht, was wir sagen".

Trump behauptet weiterhin Wahlbetrug

Anhänger des damals gerade abgewählten Präsidenten Donald Trump hatten am 06.01.2021 den Parlamentssitz in Washington gestürmt. Dort war der Kongress zusammengekommen, um den Wahlsieg von Trumps demokratischem Herausforderer Joe Biden bei der vorausgehenden Präsidentschaftswahl formal zu bestätigen. Die gewalttätige Menge wollte das verhindern. Durch die Krawalle kamen fünf Menschen ums Leben, darunter ein Polizist. Trump hatte seine Anhänger kurz zuvor bei einer Kundgebung damit aufgewiegelt, dass ihm der Wahlsieg gestohlen worden sei. Trump behauptet bis heute ohne jeden Beleg, er sei durch groß angelegten Wahlbetrug um den Sieg gebracht worden.

Redaktion beck-aktuell, 12. September 2022 (dpa).