Ungewissheit in Italien nach Referendum

Das düsterste Szenario für die Regierung in Rom ist in der Nacht zum 05.12.2016 Wirklichkeit geworden: Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi hat eine herbe Niederlage beim Referendum über eine Verfassungsreform kassiert und umgehend die Konsequenzen gezogen. Am Nachmittag des 05.12.2016 wolle er seinen Rücktritt bei Staatspräsident Sergio Mattarella einreichen, kündigte Renzi kurz nach Mitternacht an. Dann ist es an Mattarella zu entscheiden, wie es im hoch verschuldeten Italien weitergeht.

Übergangsregierung am wahrscheinlichsten

Am wahrscheinlichsten ist, dass der Präsident eine Übergangsregierung einsetzt. Denn umgehend Neuwahlen ansetzen kann er nicht: Es gibt kein anwendbares Wahlgesetz. Renzi hatte das Wahlrecht im Rahmen seiner zur Abstimmung stehenden Reformpläne geändert, es bezieht sich aktuell nur auf eine von zwei Kammern, das Abgeordnetenhaus. Die zweite Kammer, den Senat, wollte Renzi entmachten und nicht mehr direkt vom Volk wählen lassen, was aber am "Nein" beim Referendum nun gescheitert ist. Mattarella könnte theoretisch auch Renzis Rücktrittsgesuch verweigern, dieses Szenario gilt aber als unwahrscheinlich.

Finanzmärkte relativ unbeeindruckt

"Jetzt gibt es kein Wahlrecht für den Senat, vielleicht nicht mal eines für die Abgeordnetenkammer, es gibt keine Regierung. Der perfekte Gewittersturm, auf den alle gewartet haben, ist angekommen", fasste die Zeitung "L'Espresso" die Hinterlassenschaft Renzis zusammen. Die Reaktion an den Finanzmärkten fiel jedoch deutlich verhaltener aus als zum Beispiel bei der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im November 2016 oder dem Brexit-Votum in Großbritannien im Juni 2016. Das italienische "No" jagte den Märkten nur einen kurzen Schrecken ein. Auch die Verluste des Euro hielten sich in Grenzen. Der Ausgang des Referendums und die Folgen könnten aber die italienischen Krisenbanken weiter ins Wanken bringen.

EU unter Druck

In der Europäischen Union war befürchtet worden, dass eine Niederlage Renzis den Populisten neuen Aufwind geben könnte. Die eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung, die für ein "Nein" geworben hatte, sieht in dem Ergebnis bereits Rückenwind für die eigenen Ziele und forderte Neuwahlen. Die durch das Votum der Briten zum Ausstieg geschwächte EU gerät durch den Rückzug des europafreundlichen Regierungschefs Renzi noch stärker unter Druck.

Klares Ergebnis bei hoher Wahlbeteiligung

Das Verfassungsreferendum ging überraschend klar zugunsten der Reform-Gegner aus: 59% der Stimmberechtigten sprachen sich gegen die Pläne Renzis aus, den Senat zusammenzustutzen und weitgehend zu entmachten. Nur 41% stimmten mit "Ja", wie aus dem amtlichen Endergebnis des Innenministeriums hervorgeht. Der Wahlkampf im Vorfeld hatte die verschiedenen Lager polarisiert, entsprechend hoch war die Beteiligung: gut 65% der insgesamt knapp 51 Millionen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab.

Mehrere Nachfolger für Europa-Freund Renzi im Gespräch

Der 41-jährige Renzi war im Februar 2014 als jüngster Regierungschef in der Geschichte des Landes angetreten und gilt als Europa-Freund. Auch die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) pflegte eine gute Beziehung zu dem Chef des Partito Democratico (PD). Im Gespräch für seine Nachfolge sind unter anderem der amtierende Finanzminister Pier Carlo Padoan, der eine für den 05.12.2016 geplante Reise zu Beratungen der Euro-Finanzminister in Brüssel kurzfristig absagte, und der Präsident des italienischen Senats, Pietro Grasso. Außerdem wird der Minister für Infrastruktur und Verkehr, Graziano Delrio, genannt.

Redaktion beck-aktuell, 5. Dezember 2016 (dpa).

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