Berlin: Und wenn es doch ein Löwe war?
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Bei der Frage, ob die Löwin, die in der vergangenen Woche vermeintlich durch das südliche Berliner Umland streifte, am Ende nur ein Wildschwein war, sind sich nicht alle Experten einig. Gewissheit soll nun eine Analyse der Spuren bringen. Bis dahin bleibt ein mulmiges Gefühl. Das private Halten von Wildtieren ist in Deutschland nämlich nicht verboten.

Hund, Katze, Maus - oder vielleicht doch lieber ein Tigerbaby als neues Haustier? Was nach einem schlechten Scherz oder allenfalls einer seichten Feierabend-Unterhaltung auf Netflix (Tiger King!) klingt, ist hierzulande rechtlich möglich. Vielerorts ist es erlaubt, privat exotische Wildtiere zu halten.

Nach Angaben der Tierschutzorganisation Pro Wildlife werden in Deutschland jährlich hunderttausende Wildtiere als exotische "Haustiere" zum Verkauf angeboten. Damit gehöre Deutschland zu einem der größten Absatzmärkte für exotische Heimtiere weltweit – darunter auch bedrohte, artgeschützte und gefährliche Tiere, wie Löwen, Pumas oder Schneeleoparden.

Wie viele solcher Wildtiere in Deutschland privat gehalten werden, sei völlig unklar, so Pro Wildlife. Viele Menschen erwerben die Tiere illegal auf dem Schwarzmarkt. Nur 2.000 Euro müsse man für einen Löwen aus einer Zucht aus Osteuropa blechen - im Vergleich zu so mancher Hunderasse ein Schnäppchen. Ein weiterer Grund, wieso es keine verlässlichen und seriösen Zahlen darüber gibt, wie viele Wildtiere und welche Arten in deutschen Privathaltungen leben, dürfte in der fehlenden bundeseinheitlichen Regelung liegen: In manchen Bundesländern muss die Haltung von Wildtieren nicht einmal behördlich gemeldet werden.

"Washingtoner Artenschutzabkommen" regelt Handel mit gefährdeten, frei lebenden Tieren

Grundsätzlich verboten ist in Deutschland lediglich die Haltung von sogenannten invasiven Tierarten. Rechtsgrundlage ist die seit 2014 geltende Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten. Ziel der Verordnung ist der Schutz der heimischen Flora und Fauna. Laut dem NABU sind derzeit insgesamt 88 invasive Tier- und Pflanzenarten gelistet. Zu den "Animalia non gratae" zählen beispielsweise Rotwangen-Schmuckschildkröten, Feuerameisen und das amerikanische Grauhörnchen. Einige Arten, wie der Waschbär oder die Chinesische Wollhandkrabbe, haben es trotzdem schon nach Deutschland geschafft.

Ansonsten dürfen Wildtiere in Deutschland weitestgehend privat gehalten werden. Nur bei artgeschützten Tieren greift das "Washingtoner Artenschutzabkommen" von 1973 (CITES). Das Abkommen regelt den internationalen Handel mit gefährdeten, frei lebenden Tieren. Es umfasst derzeit etwa 5.950 Tier- und 32.800 Pflanzenarten. Grundsätzlich gilt: Je gefährdeter die Art, desto strenger die Handelsbeschränkungen. Der Handel mit vom Aussterben bedrohten Arten wie Menschenaffen, Elefanten, Nashörnern oder Tigern ist grundsätzlich verboten. Doch auch hier ist eine private Haltung möglich, wenn das Tier aus einer Nachzucht stammt, also Abkömmling eines bereits in einer Zucht gehaltenen Tieres ist.

Der größte Teil der vom Übereinkommen erfassten Arten ist noch nicht vom Aussterben bedroht, aber potenziell vom Handel gefährdet.  Zu den betroffenen Arten zählen etwa Landschildkröten, Krokodile und Löwen. Hier ist auch ein Handel mit Wildfängen erlaubt – jedenfalls, soweit er "nachhaltig" ist, wie das Bundesumweltministerium auf seiner Internetseite schreibt. Der Exportstaat dürfe die Ausfuhr nur bewilligen, wenn sie der Erhaltung der Art nicht abträglich ist.

Zudem verlangt CITES, dass die Halter einen Herkunftsnachweis vorlegen und jeden Kauf und Verkauf der Naturschutzbehörde melden. Ein verlässlicher Austausch zwischen den Landesbehörden erfolgt jedoch nicht, weshalb der tatsächliche Bestand an Wildtieren in deutschen Privathaushalten auch nicht bekannt ist.*

Pro Wildlife: Sieben Bundesländer sind rechtsfreier Raum

Zudem gibt es keine bundeseinheitliche Regelung zur artgerechten Haltung der Tiere. Die Mindestanforderungen für die Haltung von Tieren sind auf nationaler Ebene durch die Bundesartenschutzverordnung und das Tierschutzgesetz geregelt. Wie diese Mindestanforderungen umgesetzt und kontrolliert werden, ist allerdings Ländersache und wird von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabt. So haben einige Bundesländer die Haltung von Tieren, die aufgrund ihrer Größe, Kraft oder ihres Gifts für Menschen gefährlich sind, per Verordnung geregelt. Die Haltung ist dort entweder verboten, oder die Halter müssen belegen, dass sie wissen, wie mit den Tieren umzugehen ist. Außerdem müssen sie nachweisen, dass sie die Exoten artgerecht halten können. In Bayern beispielsweise ist das Halten gefährlicher Tiere in Art. 37 LStVG geregelt. Die Vorschrift stellt ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt dar - die Haltung ist also grundsätzlich verboten und eine Erlaubnis wird nur dann erteilt, wenn die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für eine Erlaubnis erfüllt sind. Der Antragsteller muss ein berechtigtes Interesse nachweisen und gegen seine Zuverlässigkeit dürfen keine Bedenken bestehen.

Auch die Einordnung, welche Arten als gefährlich eingestuft werden, unterscheidet sich je nach Bundesland. Außerdem ist beispielsweise in Nordrhein-Westfalen zwar seit dem 01.01.2021 die Haltung von Gifttieren geregelt. Ungiftige, aber dennoch gefährliche Tiere, wie Löwen, Krokodile oder manche Riesenschlangen, können hier aber weiterhin ohne Einschränkungen gehalten werden.

Weder eine Gefahr- noch eine Gifttierverordnung gibt es derzeit nach Angaben von Pro Wildlife in sieben Bundesländern. Dort müssen Wildtiere nicht einmal behördlich gemeldet werden. Hier könnte allenfalls eine nicht tierschutzgerechte Unterbringung auf dem Grundstück des Halters zu einem Haltungsverbot führen. Besonders leichtes Spiel haben Raubtier-Fanatiker demnach in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt - und eben in Brandenburg.

Dass also gerade rund um Berlin eine Sau mit einer Löwin verwechselt worden sein dürfte, könnte mithin nicht nur an den Savanne-artigen Temperaturen liegen - sondern auch an der Tatsache, dass es eben durchaus möglich gewesen wäre. Wer dort im Garten des Nachbarn einen Alligator, einen Schimpansen oder ein Känguru sieht, hat nicht unbedingt einen Sonnenstich.

Özedmir plant bundeseinheitliche Regelung zur Haltung von Wildtieren

Die Bundesregierung überarbeitet gerade das bestehende Tierschutzgesetz. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) fordert schon lange ein Verbot für die Haltung von exotischen Wildtieren. Eine Liste soll erstellt werden, die einheitlich den Besitz von Wildtieren in privaten Haushalten einschränkt. Rückendeckung kommt aus der Bevölkerung. Eine jüngst durch Pro Wildlife durchgeführte repräsentative Studie besagt, dass 81% der Deutschen sich ein vollständiges Verbot der privaten Wildtierhaltung wünschen.

*Anmerkung der Redaktion: Die Details zum Washingtoner Artenschutzabkommen wurden nach Rücksprache mit der Projektleiterin Exotische Haustiere von Pro Wildlife, Katharina Lameter, präzisiert.

Redaktion beck-aktuell, Miriam Montag, 25. Juli 2023.

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