Unabhängigkeit polnischer Gerichte trotz Duda-Vetos in Gefahr

Aus Sicht vieler Polen hat das Veto von Präsident Andrzej Duda gegen weite Teile einer umstrittenen Justizreform die unmittelbare Gefahr für den Rechtsstaat vorerst gebannt. Dabei geriet ein Aspekt der Reform, den Duda gebilligt hat, in den Hintergrund: Mitten in der Parlamentspause tritt nun am 12.08.2017 das international kritisierte Gesetz zu den allgemeinen Gerichten in Kraft, das dem Justizminister unter anderem die Befugnis verleiht, leitende Richter zu entlassen und deren Posten neu besetzen.

Kein Duda-Veto gegen Gesetz über Reform der allgemeinen Gerichtsbarkeit

Duda, der aus dem Regierungslager stammt, hatte Ende Juli 2017 nach Protesten von bis zu Zehntausenden Polen und Sanktionsdrohungen der EU-Kommission sein Veto gegen die Gesetze zur Reform des Obersten Gerichts und des Landesrichterrats eingelegt. Das Gesetz über die Reform der allgemeinen Gerichtsbarkeit unterzeichnete er indes.

Justizminister kann leitende Richter entlassen und Posten neu besetzen

Konkret sieht das Gesetz vor, dass der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro künftig alle leitenden Richter an den gewöhnlichen Gerichten einschließlich der Berufungsgerichte entlassen und ihre Posten neu besetzen kann. Das bereitet auch Rechtsexperten der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte in Warschau Sorgen. Auf Richter könne Druck ausgeübt werden, wenn die Entscheidungen über den Fortgang ihrer Karrieren allein von einem Politiker getroffen werden können. 

Reformierte Gerichte könnten über Gültigkeit von Regionalwahlen entscheiden

Im Extremfall könnten reformierte - und möglicherweise befangene - Gerichte sogar über die Gültigkeit von Regionalwahlen entscheiden, kritisierten die Experten. 2018 stehen in Polen Gemeindewahlen an. "Da darf es nicht den geringsten Zweifel geben, dass Richter unter Druck gesetzt wurden", sagt Barbara Grabowska-Moroz von der Helsinki-Stiftung der Zeitung "Gazeta Wyborcza".

Justizminister kann Richter in den Ruhestand schicken 

Kritiker besorgt auch, dass Ziobro künftig Richter in den Ruhestand schicken kann. "Solche Befugnisse über die Justizverwaltung darf der Justizminister laut Verfassung nicht haben", warnt der Helsinki-Verein in einem Gutachten zur Reform, die auch schon bei der EU-Kommission die Alarmglocken schrillen ließ. Brüssel leitete bereits ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Die Kommissare stören sich insbesondere daran, dass das Gesetz verschiedene Pensionsalter für Männer (65 Jahre) und Frauen (60 Jahre) vorsieht. Das widerspreche der EU-Richtlinie zur Gleichstellung der Geschlechter in der Arbeitswelt. Der Gesetzesartikel tritt erst im Oktober 2017 in Kraft. 

Polnische Regierung von Verfahren in Brüssel unbeeindruckt

Schon seit der Reform des Verfassungsgerichts 2015 führt Brüssel ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen, durch das dem Land in letzter Instanz der Entzug der Stimmrechte droht. Warschau beeindruckte das bislang nicht. Die Regierenden halten an ihren Vorhaben einer umfangreichen Umgestaltung der Justiz fest, PiS-Vertreter bezeichneten Richter immer wieder als arrogant und korrupt. "Wir werden unser demokratisches Mandat nutzen und Druck und Drohungen nicht nachgeben", kündigte Ziobro an.

PiS-Gegner: Hetzkampagne gegen Justiz statt sachgemäße Reform

Die PiS-Gegner sehen darin eine allgemeine Hetzkampagne gegen die Justiz. Auf konkrete Schwachstellen und die Frage, wie diese zu beheben seien, gingen die Nationalkonservativen kaum ein, bemängeln sie. Dabei sind auch hochrangige und PiS-kritische Experten wie der Ex-Verfassungsgerichtschef Andrzej Zoll der Meinung, das polnische Gerichtswesen bedürfe einer Reform. In einer Analyse des Deutschen Polen-Instituts heißt es, Richter würden bei ihren Urteilen gesellschaftliche oder ökonomische Umstände eines Tatbestands oft nicht berücksichtigen, zudem seien ihre Kenntnisse des EU-Rechts in vielen Fällen mangelhaft. Doch die von den Regierenden angestrebten Änderungen hätten vor allem einen Kaderwechsel zum Ziel, befand die Helsinki-Stiftung.

Redaktion beck-aktuell, Natalie Skrzypczak, 11. August 2017 (dpa).

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