Umfassende Reform des Anwaltsrechts auf dem Weg
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Die Reform des anwaltlichen Berufs- und Gesellschaftsrechts ist auf dem Weg: Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat einen dicken Gesetzentwurf an die Verbände verschickt. Er geht weiter, als manche erwartet haben. Und soll noch im kommenden Jahr im Bundesgesetzblatt landen.

Alle Rechtsformen werden erlaubt

Die Kernpunkte: Den Berufsausübungsgesellschaften sollen praktisch alle europäischen Rechtsformen offen stehen, die es gibt, sie werden aber auch selbst Träger von Berufspflichten und müssen zugelassen werden. Sie werden in die Verzeichnisse der Kammern eingetragen und erhalten ein eigenes "beA". Bestimmte Mehrheitserfordernisse entfallen, reine Kapitalbeteiligungen außenstehender Investoren bleiben aber verboten. Gemeinsame Sozietäten mit Freiberuflern aller Branchen werden erlaubt, nur für Anwaltsnotare bleibt alles beim Alten. Berufsgerichtliche Verhandlungen werden öffentlich; große Regionalkammern erhalten in der Hauptversammlung der BRAK mehr Stimmen. Und all das soll weitgehend auch für Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer eingeführt werden.

Bisheriges Recht "unvollständig und inkohärent"

Ressortchefin Lambrecht hat sich Großes vorgenommen. Im Bereich des anwaltlichen Gesellschaftsrechts bestehe Handlungsbedarf, da das Bundesverfassungsgericht die Regelungen zum zulässigen Gesellschafterkreis und den Mehrheitserfordernissen in interprofessionellen Berufsausübungsgesellschaften unter Beteiligung von Rechtsanwälten teilweise für verfassungswidrig erklärt habe, schreiben ihre Beamten unter Hinweis auf zwei Karlsruher Beschlüsse. Da sich teilweise parallele Bestimmungen auch in der Patentanwaltsordnung (PAO) und im Steuerberatungsgesetz (StBerG) fänden, erstrecke sich der gesetzgeberische Handlungsbedarf auch hierauf. Zudem sei das geltende Berufsrecht der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften "unvollständig und inkohärent". Den veränderten Organisationsformen der anwaltlichen Arbeit werde bisher ebenfalls nicht Rechnung getragen: "Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Patentanwältinnen und Patenanwälte sowie Steuerberaterinnen und Steuerberater üben heute ihren Beruf zu einem großen Teil in Berufsausübungsgesellschaften aus, ohne dass dies hinreichend durch das Berufsrecht erfasst würde." Ferner hätten sich die Berufsrechte der Anwalts- und Steuerberaterbranche auseinanderentwickelt, ohne dass dies durch Unterschiede im Berufsbild gerechtfertigt wäre. Darüber hinaus seien zahlreiche Einzelpunkte im Bereich des Berufsrechts reformbedürftig.

Neue Regeln für drei Branchen

Das hehre Ziel in den Worten aus der Mohrenstraße in Berlin (wie trotz des Namensstreits noch immer die Adresse des ministerialen Amtssitzes lautet): "Eine umfassende Neuregelung des Rechts der Berufsausübungsgesellschaften" für Anwälte, Steuerberater und Patentanwälte. Diesen Branchen solle gesellschaftsrechtliche Organisationsfreiheit gewährt werden. Geschaffen werden sollten weitgehend einheitliche und rechtsformneutrale Vorschriften für alle Berufsausübungsgesellschaften. Auch die interprofessionelle Zusammenarbeit solle erleichtert werden. "Außerdem wird die Berufsausübungsgesellschaft als zentrale Organisationsform anwaltlichen, patentanwaltlichen und steuerberatenden Handelns anerkannt." In Zukunft solle daher Anknüpfungspunkt der berufsrechtlichen Regulierung nicht mehr ausschließlich der einzelne Berufsträger sein, sondern zugleich die jeweilige "Entität": "Anwaltliche Berufsausübungsgesellschaften sollen zukünftig postulationsfähig sein und die Möglichkeit haben, ein Gesellschaftspostfach zu beantragen."

Anwaltsforscher sieht "Tretmine"

Als "Tretmine" im Entwurf wurde in ersten Einschätzungen die detailliertere Regelung des Verbots widerstreitender Interessenvertretung (§ 43a Abs. 4 BRAO) identifiziert. Es soll künftig schon dann greifen, wenn der Anwalt "eine für die Rechtssache bedeutsame vertrauliche Information erhalten hat". Das verwische die Grenzen zwischen Parteiverrat und Verschwiegenheitspflicht in problematischer Weise und könne zu Anwendungsproblemen führen ("bedeutsame Information" vs. "nicht bedeutsame Information"), schrieb dazu der Kölner Berufsrechtler Matthias Kilian auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Schutz erlangten "Sensiblen Wissens"

Das für die anwaltliche Berufsausübung zentrale Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen werde bisher allein in der Berufsordnung geregelt, heißt es dazu in der Begründung des Gesetzentwurfs. Künftig geschehe dies unmittelbar in der BRAO und der PAO. "Namentlich die grundsätzliche Erstreckung des Verbots auf Fälle einer Vorbefassung durch dritte Personen, die durch das BVerfG gebilligt worden ist (...), soll als wesentliche Ausgestaltung der Berufspflicht nicht durch richterliche Rechtsfortbildung oder durch Satzung, sondern im Gesetz selbst erfolgen." Für eine gesetzliche Regelung spreche überdies die tatsächliche Entwicklung des Anwaltsmarkts, auf dem Verbünde immer größer und komplexer würden. "Zusätzlich soll das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen erweitert werden und auf Fälle erstreckt werden, in denen eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt beziehungsweise eine Patentanwältin oder ein Patentanwalt aus einem Mandat sensibles Wissen erlangt hat, das für die neue Partei in einer anderen Rechtsache vorteilhaft sein könnte."

Erfolg für Anwaltslobby

Wenn all das tatsächlich noch in dieser Legislaturperiode kommt, dürfte der DAV jubeln, der für sich in Anspruch nimmt, maßgebliche Vorarbeiten für den Entwurf geleistet zu haben. Aber auch die BRAK dürfte damit gut leben können, insbesondere weil das Fremdbesitzverbot unangetastet bleibt. Gespannt darf man sein, was aus der außerdem bereits angekündigten Reform des Personengesellschaftsrechts wird - und womöglich aus Überlegungen, Anwälten im Wettstreit mit Legal-Tech-Unternehmen mit Inkassolizenz weitergehend Erfolgshonorare zu erlauben.

Der Weg ins Bundesgesetzblatt

35 Organisationen wie der DAV und die BRAK, aber auch etwa die Bundesarchitektenkammer sowie Anwaltsforscher in Köln und Hannover hat das Ministerium ausdrücklich dazu aufgerufen, Stellungnahmen abzugeben. Dazu haben sie bis zum 07.12.2020 Zeit. Auf dieser Grundlage könnte Lambrecht Korrekturen vornehmen, bevor sie dann den Entwurf den anderen Bundesministerien vorlegt und das Bundeskabinett einen Regierungsentwurf beschließt. Nach den üblichen Anhörungen könnte anschließend das Paragraphenpaket noch in dieser Legislaturperiode vom Bundestag verabschiedet und dem Bundesrat gebilligt werden. Erfahrungsgemäß kommt es im parlamentarischen Verfahren aber durchaus noch zu Änderungen - die Rechtspolitiker unter den Abgeordneten und die Fraktionen der Großen Koalition wollen schließlich eigene "Duftmarken" setzen.

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung., 4. November 2020.