Der argentinische Präsident Javier Milei wollte zur "Kettensäge" greifen, der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck schlug den Einsatz der "Abrissbirne" vor. Beide sehen die Notwendigkeit drastischer Deregulierung. Da nimmt sich die Ankündigung von Elon Musk, designierter Chef des neuen Departements of Government Efficiency (Doge), bis zum 250. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung der USA am 4. Juli 2026 durch eine drastische Deregulierung zig Milliarden Dollar zu sparen, vergleichsweise harmlos aus, zumindest rhetorisch.
Unter all diesem Getöse sind die Bemerkungen von Petra Hielkema, der Chefin der europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA, fast überhört worden. Dabei sind ihre Äußerungen bemerkenswert: Hielkema hat vor einer Überforderung namentlich kleinerer Versicherungsunternehmen durch überbordende Berichts-, Informations,- Dokumentations- und Beratungspflichten gewarnt. Immerhin liegen die jährlichen Bürokratiekosten für die Umsetzung nur einer Vorschrift laut dem Gesamtverband der Versicherer bei rund 14 Millionen Euro (einmalig und wiederkehrend, Stand 2022) und das unter anderem für eine Nachhaltigkeitsberichterstattung, von der unklar ist, wer das alles lesen und auswerten soll. Weder die Aufsichtsbehörden noch die die Ratingagenturen haben dafür das Personal.
In der gerade geplatzten Ampelregierung hat sich diese Erkenntnis offenbar noch nicht durchgesetzt. Dabei sprach der Nationale Normenkontrollrat (NKR) in seinem Anfang Oktober vorgestellten Jahresgutachten 2024 unter dem Titel "Gute Gesetze. Digitale Verwaltung. Weniger Bürokratie. Momentum nutzen, Wirkung steigern" der Bundesregierung sogar ein "verhaltenes Lob" aus: Der "Aufwuchs beim Erfüllungsaufwand“ verlangsame sich. Die Kosten sinken also nicht, sondern sie steigen nur nicht mehr so schnell – immerhin. Doch schon bei den "guten Gesetzen" stutzt der im Dickicht unzähliger Informations-, Beratungs-, Dokumentations- und Berichtspflichten nach Orientierung suchende Rechtsanwender. Ein Blick in den Referentenentwurf zum pAV-Reformgesetz zeigt, dass alles noch komplizierter würde, wenn die Änderungen kommen sollten, die unter der amtierenden Bundesregierung geplant wurden.
Was kommen soll(te)
Das Gesetz zur Reform der privaten Altersvorsorge (pAV-Reformgesetz) hat es bisher über das Stadium des Referentenentwurfs aus dem Bundesfinanzministerium vom 30. September nicht hinausgeschafft und ist laut Finanzminister Jörg Kukies (SPD) in dieser Legislatur wohl nicht mehr zu realisieren. Es unterliegt damit nicht dem Diskontinuitätsgrundsatz und könnte als Wiedergänger ab 2025 wieder auf den Tischen des Gesetzgebers landen. Die noch amtierende Bundesregierung wollte damit die staatliche Förderung der privaten Altersversorgung grundlegend modernisieren und dabei weitere und erhebliche Informationspflichten normieren.
Das Gesetz zur Zertifizierung von Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen (AltZertG), dessen Produkte im Volksmund Riesterrente genannt werden, soll ab dem 1. Januar 2026 grundlegend neu geregelt werden. Diese Änderung wird kommen müssen, zur privaten Altersvorsorge mit Steuervorteilen gibt es praktisch keine Alternative.
Zu hoffen bleibt aber, dass eine neue Bundesregierung, die sich ab 2025 erneut mit der Materie beschäftigen könnte, zumindest weitere geplante Änderungen am Versicherungsvertragsgesetz (VVG), das gerade erst durch die EU-Vertriebsrichtlinie erheblich geändert wurde, noch einmal überdenken wird. Der Referentenentwurf aus dem BMF will die grundlegenden Vorschriften des VVG, die den Abschluss aller Versicherungsprodukte regeln, zusätzlich mit weiteren Informations- und Beratungspflichten aufblähen.
Riesterrente 2.0: Die Reform des AltZertG
2002 wurden die Riesterverträge eingeführt, um einen privaten Ausgleich der reduzierten gesetzlichen Rentenleistungen zu ermöglichen. Der Staat förderte den Abschluss solcher Verträge durch allerlei Zulagen und Steuervorteile. Ende 2022 gab es rund 15,9 Millionen sog. Riester-Verträge.
Aber eine nachlassende Dynamik bei gleichzeitiger Reduktion der gesetzlichen Rente machte eine Reform aus Sicht des Gesetzgebers unumgänglich. Ziel war und bleibt ein effizientes Angebot, das den Lebensstandard nach Renteneintritt sichert. Das bedeutet steuerliche Entlastung (durch Sonderausgabenabzug sowie Steuerbefreiung der Erträge in der Ansparphase) und zusätzliche staatliche Förderung. Gleichzeitig sollen die Gebühren für die Zertifizierung der "Riesterverträge" erhöht werden, die seit 2002 nicht angepasst worden sind, sodass die Behörden unter einer deutlichen "Kosten-Unterdeckung" litten.
Wahrscheinlich ist die Reform des AltZertG unumgänglich. Aber der kommende Gesetzgeber wird gut beraten sein, genau zu überlegen, ob er auch den Beratungs- und Informationsaufwand nach dem VVG weiter erhöhen will. Denn die dort geregelte vorvertragliche Information des Verbrauchers kennt schon jetzt keine Grenzen.
Da muss man lange lesen: Die vorvertraglichen Informationspflichten
Zunächst einmal ist zu beklagen, dass die Halbwertzeit von Gesetzen drastisch abnimmt. Waren die Vorschriften der §§ 6 ff. VVG gerade erst durch die Vertriebs- Richtlinie modernisiert worden, ist der neue § 7d VVG, der die Restschuldversicherung durch Gruppenversicherungsverträge regelte, weitgehend schon wieder Geschichte.
§ 6 VVG regelt in dürren Worten, dass der Versicherungsnehmer nach gewissen Parametern vor Abgabe seiner Vertragserklärung über den abzuschließenden Vertrag beraten werden muss. § 6a VVG nennt dann die Formalitäten der Übermittlung dieser Beratung: Von Papier ist dort die Rede und von anderen dauerhaften Datenträgern, von angemessenen Medien, von Webseiten und Internetzugang. Damit kann man fertig werden.
Beispielhaft soll hier aber auf § 7 VVG eingegangen werden, dessen Abs. 1 in noch recht einfachen Worten die Informationspflichten beschreibt, die vor Vertragsabschluss zu erfüllen sind. Aber dann: § 7 Abs. 2 S. 1 VVG beinhaltet eine Ermächtigung für den Erlass der VVG-InfoV, die wiederum gemäß § 7 Abs. 2 S. 2 VVG zwingend Angaben nach der DirektV–RL, der Dritten Schadensversicherungs-RL, der Fernabsatz-RL und der Änderungen der RL 90/619/EWG, der Änderung der RL 97/7/EG und der Änderungen der RL 98/27/EG enthalten muss. Da muss man erst einmal durch.
Damit aber ist noch lange nicht Schluss: § 7 Abs. 2 S. 3 VVG fordert nämlich wörtlich ferner die "Beachtung von technischen Durchführungsstandards, die die EIOPA nach der Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb (Neufassung) (ABl. L 26 vom 2.2.2016, S. 19; L 222 vom 17.8.2016, S. 114) erarbeitet und die von der Kommission der Europäischen Union nach Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/79/EG der Kommission (ABl. L 331 vom 15.12.2010, S. 48), die zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 258/2014 (ABl. L 105 vom 8.4.2014, S. 1) geändert worden" sind.
Da muss der Rechtsanwender lange lesen, bis er das durchdrungen hat. Zumal zusätzlich die delegierten Rechtsakte zu beachten sind, die die Kommission nach Art. 29 Abs. 4b und Art. 30 Abs. 6 der Richtlinie (EU) 2016/97, jeweils in Verbindung mit Art. 38 der Richtlinie (EU) 2016/97, erlassen hat.
Kafkaeske Züge und kein Ende in Sicht
Doch es soll noch schlimmer werden. Wenn dann ab 2026 auch noch ein neuer § 7b Abs. 3 VVG zusätzliche Informationen über Kosten und Gebühren verlangen würde, wäre das Maß voll. Betreffen soll das die Kosten von Beratungen nach § 7 AltZertG, der die individuelle Produktinformation regelt, und nach § 7a AltZertG, wo jährliche Informationen vorgeschrieben werden. Überlaufen würde das Fass, wenn ein neuer § 7c Abs. 6 VVG die meisten der Informationen über "komplexe Finanzinstrumente" im Sinne der RL 2014/65/EU, also beispielsweise über die fondsgebundene Lebensversicherung, ab 2026 auch für die Riesterrente verlangen würde, wie es im aktuellen Entwurf vorgesehen ist.
Die ohnehin unterschiedlichsten Informations-, Beratungs- und Dokumentationspflichten für Versicherer weichen schon bei der Übermittlungsform stark voneinander ab (Papierform, Schriftform, Textform, dauerhafter Datenträger, Webseite). Zusätzlich stellen die zahlreichen geplanten Vorschriften auf unterschiedliche Zeitpunkte ab: vor Abgabe der Vertragserklärung, vor Abschluss des Versicherungsvertrags oder auch unverzüglich danach. Statt das zu vereinheitlichen oder zumindest an einer Stelle zentral zu regeln, wird das Ganze gewürzt durch Rückverweise, Ausnahmen und Rück-Ausnahmen.
Das Konglomerat dieser Normen, ihre Fülle, ihre komplexen Verschlingungen und die vielen abstrakten Hinweise auf EU-Vorschriften tragen kafkaeske Züge. Man kann die Tragik des Landvermessers K. plötzlich ohne weiteres nachvollziehen. Und das alles demnächst auch für das AltZertG. Der NKR hat hier wahrscheinlich nicht so genau hingeschaut. Sonst wäre sein Lob sicher noch verhaltener ausgefallen. Es bleibt die Hoffnung, dass eine neue Bundesregierung nur die zwingend notwendigen Reformen des AltZertG verwirklicht, ohne die Komplexität der vorvertraglichen Verbraucherinformation noch weiter anzureichern.
Prof. Dr. Theo Langheid ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und seit 2020 Honorarprofessor an der Universität Salzburg.