Über Menschenwürdigkeit von Haftbedingungen darf nicht im PKH-Verfahren entschieden werden
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Die Frage, ob eine Haftunterbringung im Einzelfall menschenwürdig ist, darf nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert, sondern muss im Hauptsacheverfahren entschieden werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschlüssen vom 17.02.2020 bekräftigt und zwei Verfassungsbeschwerden stattgegeben. Denn es fehle immer noch an einer höchstrichterlichen Klärung der Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung. Zwei Männer hatten nach erfolgloser erster Instanz einer Amtshaftungsklage PKH für die beabsichtigte Berufung begehrt, waren aber mangels Erfolgsaussichten gescheitert.

PKH für Berufung wegen menschenunwürdiger Haftunterbringung versagt

Beide Beschwerdeführer hatten vor dem Landgericht erfolglos eine Amtshaftungsklage gegen den Freistaat Bayern erhoben. Sie hatten geltend gemacht, sie seien in der Untersuchungshaft menschenunwürdig in zu kleinen Hafträumen mit einem Mithäftling untergebracht gewesen. Zudem sei die sanitäre Ausstattung der Hafträume mangelhaft gewesen. Das Oberlandesgericht wies in beiden Fällen den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung der Berufung zurück, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichenden Erfolgsaussichten habe. Die Grenze zur menschenunwürdigen Behandlung sei durch die Bedingungen der Haftunterbringung nicht überschritten gewesen. Die Flächen der Hafträume seien jeweils ausreichend bemessen. Ausgehend insbesondere von der Größe der Hafträume und ihrer Ausstattung könne eine menschenunwürdige Unterbringung nicht angenommen werden. Dagegen legten die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde ein.

BVerfG: Keine Vorverlagerung ungeklärter Rechts- und Tatfragen ins PKH-Verfahren

Das BVerfG hat den Verfassungsbeschwerden stattgegeben, die OLG-Entscheidungen aufgehoben und die Sachen zurückverwiesen. Die Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit. Zwar dürfe im PKH-Verfahren geprüft werden, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten solle jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische PKH-Verfahren zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürften nicht im PKH-Verfahren entschieden werden, sondern müssten auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung im Hauptsacheverfahren zugeführt werden können. Stehe die höchstrichterliche Klärung einer Rechtsfrage noch aus, sei es mit dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht zu vereinbaren, der unbemittelten Partei wegen fehlender Erfolgsaussichten ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Denn anderenfalls würde der unbemittelten Partei im Gegensatz zur bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen. 

Anforderungen an Menschenwürdigkeit der Haftunterbringung noch nicht abschließend geklärt

Gemessen an diesen Grundsätzen seien die ablehnenden PKH-Beschlüsse verfassungswidrig, so das BVerfG. Das OLG habe seine Einschätzung fehlender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung auf ein Verständnis der Menschenwürdegarantie in der Haftunterbringung gestützt, das in der bisherigen Rechtsprechung der Fachgerichte noch keine hinreichende Klärung gefunden habe. Im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung sei das OLG im Ansatz davon ausgegangen, dass die Frage nach der Menschenwürdigkeit der Unterbringung von Gefangenen von einer Gesamtschau der tatsächlichen Umstände der Haftsituation abhängt, wobei als Faktoren in erster Linie die Bodenfläche pro Gefangenem und die Situation der sanitären Anlagen, namentlich die Abtrennung und Belüftung der Toilette, zu beachten seien. Außerdem fänden Merkmale wie der Umfang der täglichen Einschlusszeiten und die Belegdichte des Haftraums Berücksichtigung. Die Frage, wie diese Faktoren zu bewerten seien, insbesondere, ob oder unter welchen Bedingungen auch eine anteilige Grundfläche unterhalb von sechs Quadratmeter pro Gefangenem den Anforderungen der Menschenwürdegarantie genügen könne, sei in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt.

Höchstrichterliche Entscheidungen stehen noch aus

Die Kammer habe in einigen Beschlüssen bereits im Jahr 2016 mit im Wesentlichen identischer Begründung die Ablehnung von Prozesskostenhilfeanträgen beanstandet. An Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs, die für die Einzelfallbeurteilung der Menschenwürdigkeit der Unterbringung gehärtete Parameter vorgäben und für die Betroffenen wie für die Justizvollzugsanstalten vorhersehbar die Anforderung an menschenwürdige Haftbedingungen näher bestimmten, fehle es jedoch nach wie vor, sodass auch den vorliegenden Verfassungsbeschwerden stattzugeben gewesen sei. Die damit verbundenen Fragestellungen hätten demnach nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert werden dürfen, sondern bedürften einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren, die es den Beschwerdeführern auch ermögliche, diese gegebenenfalls einer höchstrichterlichen Klärung zuzuführen.

BVerfG, Beschluss vom 17.02.2020 - 1 BvR 3182/15

Redaktion beck-aktuell, 3. Juni 2020.