Twitter muss bei Ehrverletzungen auch kerngleiche Äußerungen entfernen
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Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragter kann im Streit um Falschaussagen auf Twitter vor dem Landgericht Frankfurt am Main einen überwiegenden Erfolg verzeichnen. Das US-Unternehmen hätte die Verbreitung diverser Kommentare unverzüglich unterlassen müssen. Auch sinngemäße Kommentare mit identischem Äußerungskern müsse Twitter entfernen, sobald es von der konkreten Persönlichkeitsrechtsverletzung Kenntnis erlangt, so das Gericht am Mittwoch.

Wahrheitswidrig Nähe zur Pädophilie behauptet

Im September 2022 erschienen auf Twitter diverse Kommentare, in denen wahrheitswidrig behauptet wurde, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg habe "eine Nähe zur Pädophilie" und er habe "einen Seitensprung gemacht". Außerdem wurde über ihn verbreitet, er sei in "antisemitische Skandale" verstrickt und "Teil eines antisemitischen Packs".

Ehrenrührige, unwahre Behauptungen

Die zuständige Pressekammer des LG Frankfurt am Main stellte in dem Eilverfahren fest, dass diese ehrenrührigen Behauptungen unwahr sind. Die Bezeichnung als Antisemit sei zwar zunächst eine Meinungsäußerung. Sie sei aber jedenfalls in dem gewählten Kontext rechtswidrig. Denn sie trage nicht zur öffentlichen Meinungsbildung bei und ziele erkennbar darauf ab, in emotionalisierender Form Stimmung gegen den Antisemitismusbeauftragten zu machen.

Auch gleichwertige Äußerungen zu entfernen

Nachdem der Antisemitismusbeauftragte die Entfernung dieser Kommentare verlangt hatte, hätte Twitter ihre Verbreitung unverzüglich unterlassen und einstellen müssen. Darüber hinaus entschied die Kammer: "Das Unterlassungsgebot greift nicht nur dann, wenn eine Äußerung wortgleich wiederholt wird, sondern auch, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß erneut veröffentlicht werden." Unter weiter: "Die Äußerungen werden nicht in jeglichem Kontext untersagt. Betroffen sind nur solche Kommentare, die als gleichwertig anzusehen sind und die trotz gewisser Abweichungen einen identischen Äußerungskern aufweisen."

Prüfpflicht nur hinsichtlich konkreter Persönlichkeitsrechtsverletzung

Twitter werde damit auch keine allgemeine Monitoring-Pflicht im Hinblick auf seine rund 237 Millionen Nutzer auferlegt. Eine Prüfpflicht bestehe nämlich nur hinsichtlich der konkret beanstandeten Persönlichkeitsrechtsverletzung. "Das deutsche Recht mutet jedem Verpflichteten eines Unterlassungsgebots zu, selbst festzustellen, ob in einer Abwandlung das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt und damit kerngleich ist. Twitter befindet sich damit in keiner anderen Situation, als wenn eine bestimmte Rechtsverletzung gemeldet wird. Auch in diesem Fall muss Twitter prüfen, ob diese Rechtsverletzung eine Löschung bedingt oder nicht", so die Vorsitzende in der Urteilsbegründung.

Meldung zu Aufnahme in Liste der größten Antisemiten zu dulden

Als zulässig erachtete das LG indes die Äußerung eines Nutzers, wonach der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg in die jährlich vom Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles veröffentlichte Liste der größten Antisemiten weltweit aufgenommen worden ist. Unabhängig davon, ob die Aufnahme in diese Liste gerechtfertigt sei, dürfe darüber informiert werden. Dagegen müsse sich der Antisemitismusbeauftragte im öffentlichen Meinungskampf zur Wehr setzen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

LG Frankfurt a. M., Urteil vom 23.12.2022

Redaktion beck-aktuell, 14. Dezember 2022.