Die türkische Justiz hat den Beginn eines Strafverfahrens gegen den "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel trotz dessen Ausreise aus der Türkei bestätigt. Als ersten Tag der Verhandlung im zentralen Justizgebäude im Istanbuler Stadtteil Caglayan sei der 28.06.2018 angesetzt, teilte das 32. Strafgericht am 19.02.2018 auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Der deutsch-türkische Journalist war am 16.02.2018 – mehr als ein Jahr nach seiner Festnahme – überraschend aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Er war noch am selben Tag aus der Türkei ausgereist.
Anklage lautet auf Terrorpropaganda und Volksverhetzung
Das Gericht hatte Yücels Freilassung angeordnet. Zugleich hatte es nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft angenommen. Darin wird Yücel Terrorpropaganda und Volksverhetzung vorgeworfen. Anadolu hatte gemeldet, Yücel drohten bis zu 18 Jahre Haft.
Anklageschrift nur drei Seiten lang
Yücel und die Bundesregierung hatten wegen der langen Untersuchungshaft mit zunehmender Vehemenz die Vorlage einer Anklageschrift gefordert. Die Anklageschrift, die der dpa vorliegt, entspricht in weiten Teilen dem richterlichen Beschluss zur Untersuchungshaft vom 27.02.2017. Sie trägt das Datum vom 13.02.2018 und ist mit nur drei Seiten Umfang ungewöhnlich kurz. Zum Vergleich: Die Anklageschrift gegen den inhaftierten früheren Chef der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP, Selahattin Demirtas, umfasst mehr als 600 Seiten.
Acht Artikel als Beweis vorgelegt
Als Beweise gegen Yücel führt die Staatsanwaltschaft nach rund einjährigen Ermittlungen im Wesentlichen acht Artikel des Korrespondenten an. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte im April 2017 gesagt, Yücel sei "ein richtiger Agent und Terrorist" gewesen. Dazu liege "Bildmaterial und das alles vor".
Redaktion beck-aktuell, 19. Februar 2018 (dpa).
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