Türkische Anwälte protestieren gegen Neuorganisation der Anwaltskammern

Den vierten Tag in Folge haben Anwälte vor dem Parlament in der türkischen Hauptstadt Ankara gegen ein umstrittenes Gesetzesvorhaben zur Neuorganisation von Anwaltskammern protestiert. Die Regierung wolle sich damit die Kontrolle über die Organisationen sichern, kritisierte der Chef der Istanbuler Kammer, Mehmet Durakoglu. Daher hätten am 05.07.2020 etwa 60 Vorsitzende von Anwaltskammern vor dem Parlamentsgebäude ausgeharrt.

Gesetz will Gründung mehrerer Anwaltskammern in den Provinzen ermöglichen

Er selbst sei seit dem 02.07.2020 vor Ort, so Durakoglu weiter. Gehe das Gesetz durchs Parlament, sei das ein weiterer schwerer Schlag gegen die Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei. Der von der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP und der ultranationalistischen MHP eingebrachte Entwurf sorgt seit Wochen für Aufregung. Mit ihm soll die Gründung mehrerer Anwaltskammern in den 81 Provinzen ermöglicht werden. Bislang gibt es nur eine Kammer pro Provinz. Die traditionell regierungskritischen Kammern vergeben Rechtsanwaltslizenzen und sprechen für die rund 128.000 Rechtsanwälte im Land. Der Istanbuler Verband hat mit 46.052 Registrierten die meisten Mitglieder.

Durakoglu: Gesetz soll regierungsnahe Anwaltskammern schaffen

Die AKP argumentiert, dass die große Anzahl Mitglieder in den Anwaltskammern zurzeit die Kommunikation erschwere. Durakoglu dagegen kritisierte am 05.07.2020, dass das eigentliche Ziel der AKP sei, ihre eigene, regierungsnahe Kammer zu schaffen, mit der sie dann zusammenarbeite. Die regierungskritischen Organisationen blieben dann außen vor. Das Vorhaben sei "unsinnig und verfassungswidrig".

Gesetz ist Reaktion auf Kritik der Anwaltskammer Ankara

Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte die Gesetzesänderung angekündigt, nachdem die Anwaltskammer von Ankara homophobe Äußerungen des Chefs der Religionsbehörde Diyanet, Ali Erbas, kritisiert hatte. Noch im Juli 2020 könnte das Gesetz im Parlament verabschiedet werden, in dem AKP und MHP eine Mehrheit haben.

Redaktion beck-aktuell, 6. Juli 2020 (dpa).

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