Kritik: Aushebelung der demokratischen Grundprinzipien
Die verbleibenden Oppositionsparteien im Parlament – die Mitte-Links Partei CHP und die pro-kurdische HDP – kritisierten, dass sich Erdogans AKP mit der Änderung des Wahlgesetzes Vorteile verschaffe und demokratische Grundprinzipien aushebele. Während der hitzigen Debatte im Parlament gerieten Abgeordnete der CHP und MHP aneinander. Die CHP kündigte zudem an, vor das Verfassungsgericht zu ziehen.
Umstrittenster Punkt: Wahlbündnisse bei Wahl 2019
Der umstrittenste Punkt der Gesetzesänderung zielt auf die Parlamentswahl im November 2019 ab und erlaubt Wahlbündnisse. Wenn die gültigen Stimmen der Parteien eines Bündnisses zusammen 10% erreichen, so haben auch die einzelnen Parteien die 10%-Hürde überwunden. Die AKP hatte bereits angekündigt, eine Allianz mit der MHP einzugehen, und würde dem kleineren Partner damit beim Einzug ins Parlament helfen.
Mit Wahlen Einführung des Präsidialsystems abgeschlossen
Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sollen 2019 zeitgleich stattfinden. Mit ihnen wird die schrittweise Einführung eines Präsidialsystems abgeschlossen, für das im April 2017 eine knappe Mehrheit der Türken per Verfassungsreferendum gestimmt hatte. Erdogan, der sich 2019 als Staatspräsident wiederwählen lassen will, würde dann deutlich mehr Macht erhalten.
Bündnis soll absolute Mehrheit im Parlament sichern
Eingeschränkt würde seine Macht, sollte seine AKP 2019 die absolute Mehrheit im Parlament verlieren. Der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrikulu hält die Gesetzesänderung daher für ein Mittel, Erdogans Macht zu sichern. Antriebskraft hinter der Gesetzesänderung sei die "Angst Erdogans", sagte Tanrikulu gegenüber der Presse. Erdogan sichere sich die MHP schon im Vorfeld als Partner, der seine Präsidentschaftskandidatur unterstützen werde. Die MHP könnte bei der Parlamentswahl Umfragen zufolge an der 10%-Hürde scheitern.
Auch MHP profitiert von Wahlbündnis
MHP-Chef Devlet Bahceli hatte Erdogan schon beim Verfassungsreferendum unterstützt. Die ehemalige MHP-Abgeordnete Meral Aksener, eine Gegnerin Bahcelis, gründete daraufhin mit abtrünnigen Abgeordneten eine neue Partei ("Iyi Parti“ – "Gute Partei“). Die MHP, die bei den Parlamentswahlen im November 2015 rund 11,9% der Stimmen erreichte, ist damit geschwächt und müsste ohne Wahlbündnis 2019 um einen Einzug ins Parlament fürchten.
HDP sieht Volkswillen missachtet
Die Ko-Chefin der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP, Pervin Buldan, erklärte, mit der Gesetzesänderung und mit möglichen Bündnissen werde der Volkswille missachtet. Erdogan und MHP-Chef Bahceli wollten damit lediglich "ihren eigenen Sitz schützen“. Die HDP-Abgeordnete Meral Danis Bestas sprach von einer "dunklen Allianz“. Die HDP selbst hatte bei den Parlamentswahlen im November 2015 nur knapp die 10%-Hürde überwunden.
Vorerst kein Bündnis zwischen CHP und HDP
CHP und HDP wollen nach eigenen Angaben vorerst kein Bündnis bilden. Vor allem die CHP würde eine Allianz mit der HDP in die Bredouille bringen. Erdogan sieht in der HDP den politischen Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die HDP weist das zurück. Geht die CHP jedoch eine Allianz mit ihr ein, könnte die Mitte-Links Partei leichter als Terroristenunterstützerin gebrandmarkt werden und vor allem unter Nationalisten Stimmen verlieren.
AKP wertet Gesetzesänderung als Erfolg
Die AKP dagegen sieht die Gesetzesänderung als Erfolg. Erdogan sagte, damit würden unter anderem Stimmenverluste minimiert. Nach Ansicht von Regierungssprecher Bekir Bozdag kommt die AKP damit der Opposition entgegen, die eine Senkung der 10%-Hürde fordert. Parteien, die einem Bündnis beitreten, könnten diese nun mit "Leichtigkeit“ überwinden.