Türkei: Erdogans Ziel eines Präsidialsystems rückt näher

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan ist seinem Ziel der Einführung eines Präsidialsystems einen wichtigen Schritt näher gekommen. Das Parlament in Ankara stimmte in der Nacht zum 10.01.2017 für eine Annahme der Debatte über die dazu notwendige Verfassungsreform, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Demnach sprachen sich 338 von anwesenden 480 Abgeordneten dafür aus. Mindestens 330 Ja-Stimmen waren für die Eröffnung der Diskussion nötig.

Erdogan will gleichzeitig Staats- und Regierungschef sein

Auf Betreiben von Staatschef Recep Tayyip Erdogan will die türkische Regierungspartei AKP ein Präsidialsystem in der Türkei einführen. Zunächst muss das Parlament in Ankara über die geplanten Verfassungsänderungen abstimmen, die den Präsidenten deutlich stärken und das Parlament schwächen würden. Mit den geplanten Änderungen wird der Präsident nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef, sodass das Amt des Ministerpräsidenten entfällt. Darüber hinaus soll der Präsident künftig einer Partei angehören dürfen und wird nicht mehr vom Parlamentspräsidenten, sondern von einer vom Präsidenten zu bestimmenden Zahl an Vizepräsidenten vertreten. Der Präsident soll ferner für die Ernennung und Absetzung seiner Stellvertreter und der Minister zuständig sein.

Präsident soll per Dekret regieren können

Außerdem soll der Präsident Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen können, die mit Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft treten. Eine nachträgliche Zustimmung durch das Parlament (wie im derzeit geltenden Ausnahmezustand) ist im Entwurf nicht vorgesehen. Die Dekrete enden erst bei Verabschiedung eines entsprechenden Parlamentsgesetzes. Künftig soll der Präsident per Dekret auch Ministerien errichten, abschaffen oder umorganisieren können. Parlament und Präsident werden künftig am selben Tag für die Dauer von fünf Jahren vom Volk gewählt, und zwar erstmals am 03.11.2019. Die zeitgleiche Wahl erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der jeweilige Präsident über eine Mehrheit im Parlament verfügt. Die Amtsperioden des Präsidenten bleiben auf zwei beschränkt.

Staatsoberhaupt hat künftig noch mehr Einfluss auf Justiz

Die Zahl der Abgeordneten steigt von 550 auf 600. Parlamentarische Anfragen gibt es nur noch schriftlich an die Vizepräsidenten und Minister. Neuwahlen können sowohl das Parlament als auch der Präsident auslösen, im Parlament ist dafür eine Dreifünftel-Mehrheit notwendig. In beiden Fällen werden sowohl das Parlament als auch der Präsident zum gleichen Zeitpunkt neu gewählt - unabhängig davon, welche der beiden Seiten die Neuwahl ausgelöst hat.  Der Präsident bekommt auch mehr Einfluss auf die Justiz: Im Rat der Richter und Staatsanwälte kann der Präsident künftig vier der 13 Mitglieder bestimmen, das Parlament drei weitere. Bislang bestimmen Richter und Staatsanwälte selber die Mehrheit der (derzeit noch 22) Mitglieder des Rates. Das Gremium ist unter anderem für die Ernennung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten zuständig.

Redaktion beck-aktuell, 10. Januar 2017 (dpa).

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