Tipps vom Prüfer: So klappt’s mit dem mündlichen Examen
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Was geht eigentlich im Kopf der Prüferin vor, wenn der Kandidat im mündlichen Examen ins Stottern gerät? Und wie reagiert die Kommission, wenn eine Kandidatin im neongrünen Kleid zur Prüfung erscheint? Jannina Schäffer hat nachgefragt und sich Tipps für die mündliche Examensprüfung direkt von Prüferinnen und Prüfern geholt.

Auf die Klausuren im ersten Staatsexamen bereiten sich Jurastudierende oft über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr vor – und das akribisch. Meist besucht man ein Repetitorium, schreibt zahlreiche fünfstündige Übungsklausuren und paukt die wichtigsten Fallkonstellationen. Doch sind die schriftlichen Prüfungen erst einmal geschafft, ist die Erleichterung oft nicht von langer Dauer. Denn eine letzte Hürde ist noch zu meistern: die mündliche Prüfung – und die fließt je nach Bundesland mit bis zu 30% in die Gesamtnote ein.

Welche Bedeutung hat die Prüfungskommission?

Mit der Ladung zum mündlichen Examen wird den Studierenden nicht nur das Datum der Prüfung bekanntgegeben, sondern auch die Zusammensetzung der Prüfungskommission. Und die spielt bei der Vorbereitung eine größere Rolle, als viele Prüflinge zunächst meinen. Die Namen der Prüferinnen und Prüfer sind der Schlüssel zu einem ungeahnten Wissensschatz: den Aufzeichnungen vergangener Generationen von Prüflingen – den Protokollen.

Protokolle werden meist von den Fachschaften gesammelt und enthalten Zusammenfassungen der Themen, die in den letzten Prüfungen durch die entsprechende Prüfperson abgefragt wurden. Meistens haben die Prüflinge in den Protokollen darüber hinaus noch hilfreiche Hinweise zum Charakter der Prüferinnen und Prüfer sowie zu deren Eigenheiten vermerkt.

Beispiel 1: „Prüfer Schmidt beginnt die Prüfung immer mit einem Thema, das er am Prüfungstag in der ZEIT gelesen hat. Er ist streng, aber fair.“

Beispiel 2: „Prüferin Mayer interessiert sich für Rechtsgeschichte. Unbedingt das Datum der Mündlichen im Auge behalten und nachschlagen, ob an diesem Tag in der Vergangenheit ein wichtiges Ereignis stattgefunden hat.“

Darüber hinaus verrät die Bekanntgabe der Prüfungskommission auch, welchem Beruf die Prüferinnen und Prüfer nachgehen. Manche sind Anwältinnen, Hochschullehrer oder Richterinnen – ab und zu ist auch ein Oberregierungsrat dabei. Und das kann eine ganz entscheidende Weichenstellung für die mündliche Prüfung sein, denn oft fragen Prüferinnen und Prüfer das ab, was ihnen täglich im Job begegnet. Eine Strafrichterin am Amtsgericht kann dazu neigen, die Voraussetzungen eines Strafbefehls abzufragen. Ein Verwaltungsbeamter, der in den letzten 20 Jahren nur noch Baurecht gemacht hat, fragt vermutlich auch Bauvorschriften in der Mündlichen ab.

Natürlich gibt es keine Garantie, dass die Prüfperson "protokollfest" ist. Jedenfalls helfen die Protokolle aber dabei, die Nerven zu beruhigen und sich gut vorbereitet zu fühlen. Und das ist in der Mündlichen schon die halbe Miete.

Wie entscheiden die Prüfer, welchen Prüfungsstoff sie abfragen?

Entgegen einem verbreiteten Vorurteil geht es in der mündlichen Prüfung nicht darum, ein aktuelles Urteil möglichst perfekt abzuspulen. Vielmehr wollen die Prüferinnen und Prüfer sehen, dass die Prüflinge die Grundkenntnisse des Rechtsgebiets beherrschen, ordentlich subsumieren können und bestenfalls auch noch Systemverständnis mitbringen. Bei der Auswahl des Prüfungsstoffs müssen die Prüferinnen und Prüfer außerdem darauf achten, einen Sachverhalt zu wählen, der nicht zu komplex ist und deswegen zügig dargestellt werden kann. Am besten enthält der Fall mehrere kleine Probleme, sodass die Falllösung von Kandidat zu Kandidatin "weitergegeben" werden kann und jeder Prüfling einen Aspekt des Falles lösen muss.

"Ich prüfe regelmäßig kleine Fälle, anhand derer ich grundlegende Zusammenhänge und Verständnis für das 'Große Ganze' des Privatrechts thematisieren möchte. Die Fälle kommen meist aus meiner eigenen Forschung des vergangenen halben Jahrs vor der Prüfung", erzählt Prof. Sebastian Martens (Universität Passau).

Trotzdem knüpfen die Prüferinnen und Prüfer natürlich gerne an aktuelles Tagesgeschehen oder eine brandheiße Entscheidung des BGH an – das gilt für alle Rechtsgebiete.

"Viele Prüfer nehmen gerne ein aktuelles Thema als Aufhänger und prüfen anhand dessen allgemeine juristische Fragen ab. Das hat gegenüber sogenannten Standardfällen den Vorteil, dass nicht ein Kandidat zufällig in gerade diesem Fall Experte ist, während der Fall für einen anderen Kandidaten noch unbekannt ist. Teilweise gibt es allerdings auch bestimmte Klassiker, die immer wieder gerne abgeprüft werden, als das, was Prüfer als juristische Allgemeinbildung bezeichnen würden", verrät Dr. Christoph Werkmeister (Mitautor des Werkes "Basiswissen Jura für die mündliche Prüfung").

Es kann also nicht schaden, allgemeinpolitische Fragestellungen (z.B. zu Gesetzesvorhaben) in den überregionalen Tageszeitungen im Blick zu haben und gleichzeitig in den Wochen vor der mündlichen Prüfung wichtige juristische Entscheidungen auf beck-aktuell oder lto.de zu studieren.

Welche Rolle spielen die Mitprüflinge?

Wer mit wem in der mündlichen Prüfung sitzt, interessiert viele Jurastudierende in fast schon fanatischem Ausmaß. Teilweise wird sogar versucht, über social Media oder die Fachschaften Kontakt zu den (bisher unbekannten) Mitprüflingen herzustellen. Ist das sinnvoll? Nicht wirklich: ob man am Ende eine gute Note bekommt, hängt von der individuellen Leistung ab.

Prüflinge sollten deswegen insbesondere keine Angst vor einer "starken Gruppe" haben. Selbst wenn das Niveau der anderen Kandidatinnen und Kandidaten (vermeintlich) höher liegt, ist das nicht automatisch ein Nachteil. Viele Prüflinge werden vielmehr "mitgerissen" und mausern sich dann selbst zu Überfliegern. Landet man als hervorragender Kandidat umgekehrt in einer (vermeintlich) schwachen Gruppe, ist das aber auch kein Weltuntergang. Denn dann kann man bei den schwereren Fragen selbst glänzen oder auch mal bei den anderen Prüflingen "aushelfen". So oder so bemühen sich die Prüfungsämter zudem darum, Prüflinge mit ähnlichen Vornoten gemeinsam abzufragen. Der Kontakt zu den anderen Gruppenmitgliedern kann deswegen ein netter Bonus sein – auch um die Nerven zu beruhigen – ist aber nicht zwingend vonnöten und sollte vor allem in seiner Bedeutung nicht überschätzt werden.

Müssen die Kandidaten Anzug oder Kostüm tragen?

Dass man sich für die mündliche Prüfung sauber und ordentlich kleidet, ist eine Selbstverständlichkeit. Dass der Kleidungsstil das Prüfungsergebnis nicht negativ beeinflussen darf, ist jedoch ebenfalls spätestens seit 2020 gerichtlich geklärt. In diesem Jahr hatte das Verwaltungsgericht Berlin (Az. VG 12 K 529.18) einer Prüferin eine Schlappe erteilt, die einer Kandidatin für deren "Alltagsoutfit" bestehend aus einer schwarzen Jeans und einem gepunkteten Shirt Notenpunkte abgezogen hatte. Der Punktabzug für die in der Prüfung getragene Kleidung sei bewertungsfehlerhaft, so das Gericht.

Die Kandidatin hätte "auf eine weiße Leinenhose und Black Shirt mit Ethnokette oder einem lieblichen oder auch strengen Blouson zurückgreifen oder auch ein Top mit elegantem Kurzjackett" tragen können, hatte die Prüferin in dem Fall vorgeschlagen. Auf die Outfit-Tipps der Prüferin musste sich die Kandidatin aber nicht verweisen lassen.

Unabhängig davon ist man mit einem "Business-Look" als Prüfling aber auf jeden Fall gut bedient. Ob das Kleid nun blau, grau oder grün ist, spielt keine entscheidende Rolle. Ebenso wenig, ob der Kandidat eine Krawatte trägt oder nicht. Oft fühlen sich die Kandidatinnen und Kandidaten aber selbst wohler, wenn sie optisch nicht "aus der Reihe" tanzen und ähnlich gekleidet sind, wie alle anderen Personen im Raum. "Wenn ein Prüfling das Gefühl hat, 'underdressed' zu sein, ist das sicherlich nicht hilfreich", betont Werkmeister.

Viel wichtiger als die Kleidungsfrage ist im Ergebnis aber ein sympathisches und selbstbewusstes Auftreten. Ein absolutes No-Go ist es, der Prüfungskommission oder den Mitprüfligen ins Wort zu fallen oder ihnen Fragen "wegzuschnappen". Die Kandidatinnen und Kandidaten sollten zudem nicht mit ihrem Wissen, vergangenen Leistungen oder Familienbeziehungen "prahlen". Eigeninitiative ist also nur bei den Fragen angezeigt, die von der Prüfungskommission für die ganze Gruppe freigegeben wurden.

Was hilft gegen Prüfungsangst und was tun bei einem Blackout?

Ein Schleier legt sich über die Gedanken, der Kopf ist leer. Nur die Frage hallt noch in den Ohren des Prüflings nach. Viele Studierende leiden unter Prüfungsangst – besonders groß ist die Sorge vor einem kompletten Blackout. Was dagegen hilft? "Gute Vorbereitung und Übung", so Martens. "Man sollte die außergewöhnliche Anspannung der Prüfungssituation positiv so umsetzen können, dass man auch außergewöhnlich gute Leistungen erbringen kann. Das können manche durch Übung in kleineren Gruppen schaffen. Andere sollten sich vor der Prüfung professionelle Hilfe holen. Es gibt genug Psychologen, die genau auf so etwas spezialisiert sind."

Eine gesunde Portion Aufregung ist völlig normal und kann uns sogar dabei helfen, Bestleistungen abzurufen. Meistens legt sich die Nervosität in dem Moment, in dem man die erste Frage beantworten kann, ganz automatisch. Auch die Prüferinnen und Prüfer wissen, dass die mündliche Prüfung eine große Belastung darstellt. Studierende sollten sich deswegen unbedingt vor der Prüfung nochmals vor Augen führen, dass niemand ihnen etwas Böses will. Fast alle Horrorstorys, die man über die Mündlich hört, sind genau das: Geschichten! Wer es bis zur mündlichen Prüfung geschafft hat, wird diese auch meistern.

Jurastudierende, die wissen, dass sie zu Prüfungsangst und Lampenfieber neigen, können aber zwei Dinge tun, um ihre Aufregung zu reduzieren. Alle Universitäten bieten Probeläufe und/oder Zuschauerplätze für die mündliche Prüfung an. Dabei gibt es entweder die Möglichkeit, bei einer "echten" Prüfung als Zaungast dabei zu sein oder es wird sogar eine Prüfungssimulation angeboten. Es lohnt sich, diese Angebote wahrzunehmen. So kann man sich bereits vorab mit den Abläufen vertraut machen und den Ernstfall üben. Auch das gegenseitige Abfragen und Einstudieren des Prüfungsablaufs innerhalb einer Lerngruppe kann helfen. "Gute Vorbereitung und Proben für den Ernstfall", empfiehlt Werkmeister.

Doch was tun, wenn einen trotz bester Vorbereitung ein Blackout ereilt? Der beste Tipp an dieser Stelle ist folgender: "laut Denken!". Damit ist gemeint, dass der Prüfling zwar nicht sofort die Antwort parat hat, sich aber zumindest langsam an das Thema herantastet. Und seine Gedanken der Prüfungskommission auch mitteilt. Erzählt der Prüfling, was ihm durch den Kopf geht, kann die Prüferin Hilfestellung leisten oder Tipps geben. Selbst wenn die Kandidatin die "richtige" Lösung dann nicht findet, erhält sie zumindest Punkte für Teile des Lösungsweges. Schweigt der Kandidat hingegen, gibt es für diese Frage keine Punkte und sie wird an die nächste Person weitergegeben.

Wie legen die Prüfer die Note fest?

Die Notenvergabe ist für viele Studierende eine "Blackbox". Denn sie findet hinter verschlossenen Türen statt. Den Prüflingen werden am Ende zwar die Teilnoten der einzelnen Rechtsgebiete und die Gesamtnote der mündlichen Prüfung mitgeteilt – wie diese Noten zustande gekommen sind, ist vielen jedoch überhaupt nicht klar.

Martens: "Bei der Prüfung orientiere ich mich im Ausgangspunkt für den Schwierigkeitsgrad an den Vornoten der Gruppe. Ich passe das dann aber auch während der Prüfung an. Während der Prüfung mache ich mir dann Notizen zu den Antworten. Hinterher bestimme ich zunächst den oder die Beste(n) und den oder die Schlechteste(n). Für beide lege ich jeweils die Noten nach der Notenskala fest. Dann habe ich den Korridor und innerhalb dieses Korridors überlege ich mir dann die Abstände zu den übrigen Prüflingen. So komme ich zu Notenvorschlägen, die ich mit den anderen Prüfern abstimme."

Das Beruhigende: Dass sich die Prüfungskommission bei der Benotung komplett uneinig ist, kommt laut Martens selten vor. Im Ergebnis braucht deswegen niemand Angst vor seiner mündlichen Prüfung zu haben. Das Schlimmste ist an dieser Stelle bereits überstanden. Jetzt geht es nur noch ums Sahnehäubchen.

Die Autorin Jannina Schäffer ist Gründerin und Chefredakteurin des Online Magazins "JURios – kuriose Rechtsnachrichten". Die Volljuristin hat berufsbegleitend an der Deutschen Hochschule der Polizei promoviert.

Redaktion beck-aktuell, Jannina Schäffer, 5. August 2024.