Anfang 1930 war es zum ersten Mal soweit: Ein NS-Putschist saß auf dem Ministerstuhl – Thüringen hatte gewählt und erstmalig wurde mit Wilhelm Frick ein NSDAP-Politiker Landesminister. Die neue Regierung "Baum-Frick" bestand aus der Deutschen Volkspartei, der Deutschnationalen Volkspartei, dem Thüringer Landbund, der Reichspartei des deutschen Mittelstandes sowie der NSDAP. Diese Koalition war eine verhängnisvolle Prämie – die erste Regierungsbeteiligung der NSDAP – knapp zehn Jahre und sieben Jahre nach dem Münchener Putschversuch. Mit Wilhelm Frick bekleidete nun einer der Hochverräter des November 1923 Amt und Würden eines Ministers.
Diesem Erfolg war kein grandioses Ergebnis der Landtagswahl im Dezember 1929 vorausgegangen. Die Nationalsozialisten erhielten sechs der 56 Sitze und lagen damit hinter den Sozialdemokraten (18 Sitze), dem Landbund (9 Sitzen) und gleichauf mit Wirtschaftspartei und Kommunisten. Der Hochverräter Frick traf als Ministerkandidat insbesondere auf Widerstand der Deutschen Volkspartei auf Reichsebene. "Es tut mir in der Seele weh, daß ich euch in der Gesellschaft seh", rief der Parteiführer Siegfried von Kardorff auf dem Mannheimer Parteitag der Thüringer Landesgruppe zu. Dagegen charakterisierte Hitler Frick in einem Brief vom Februar 1930 als einen "energische[n], kühne[n] und verantwortungsfreudige[n] Beamte[n] von außerordentlich großem Können und fanatische[n] Nationalsozialist[en]!"
Hitler: "Mit rücksichtsloser Entschlossenheit eine Nationalisierung einleiten"
Hitler hatte die bürgerlichen Koalitionspartner mit einem Drei-Tages-Ultimatum unter Druck gesetzt: entweder Regierungsbeteiligung oder Neuwahlen. Es ging ihm darum, mit dem Innen- und Bildungsressort endlich zentrale Machtpositionen innerhalb der Exekutive zu besetzen: "Wer diese beiden Ministerien besitzt, und rücksichtslos und beharrlich seine Macht in ihnen ausnützt, kann Außerordentliches wirken" schrieb Hitler. Frick solle eine "langsame Säuberung des Verwaltungs- und Beamtenkörpers von den roten Revolutionserscheinungen" vornehmen und "mit rücksichtsloser Entschlossenheit eine Nationalisierung einleiten, die den anderen bürgerlichen Regierungen zeigen kann, was wir Nationalsozialisten unter diesem Worte verstehen".
Die Polizeigewalt sowie der Kultusbereich ermöglichten den Ländern noch die Ausübung staatlicher Hoheitsrechte in eigener Zuständigkeit. Mit den beiden Ministerien, die Hitler forderte, beherrschten die Nazis nahezu alles, was die Weimarer Verfassung an originärer Landesexekutive ermöglichte. Wilhelm Frick übernahm am 23. Januar 1930 die beiden Ministerien.
Nazis im öffentlichen Dienst?
Am 18. März 1930 brachte Frick im Landtag den Entwurf eines Ermächtigungsgesetzes ein, das die neue Landesregierung für sechs Monate von der parlamentarischen Kontrolle freimachen sollte. Das Gesetz wurde mit einfacher Mehrheit (28 gegen 25 Stimmen) im Landtag angenommen. Mit 17 Verordnungen sorgte Frick vor allem für die Zentralisierung der Verwaltung. Als Reformbestrebungen und Entbürokratisierung getarnt, wurden republiktreue, insbesondere sozialdemokratische Beamte entlassen und durch Nazis ersetzt. Aus der dezentralen kommunalen Polizei machte er eine (staatliche) Landespolizei. Die Entwicklung wurde in Preußen und im Reich mit großer Skepsis gesehen. Ein Hebel, dieser Skepsis Ausdruck zu verleihen, waren die Reichszuschüsse für Polizeiarbeit, die ausgesetzt wurden. Die "Grundsätze für die Gewährung eines Reichszuschusses für polizeiliche Zwecke" aus dem April 1928 sahen vor, dass "die Länderminister geeignete Maßnahmen dahin zu treffen [haben], dass der unpolitische Charakter der Schutzpolizei als Ganzes, wie auch das unpolitische Verhalten des einzelnen Beamten im Dienst unbedingt gewährleistet ist." Gegen die Sperrung der Gelder legte Ministerpräsident Baum "feierlich Verwahrung" ein.
Staatsgerichtshof stoppte Ideologisierung der Polizei
Der neue Reichsinnenminister Joseph Wirth (Zentrumspartei) suchte die Verständigung mit Thüringen und gab im April die Gelder wieder frei. Aus Weimar verlautbarte zwar, dass keine Nazis in den Polizeidienst eingestellt würden, aber Frick hielt sich nicht an dieses Versprechen und ernannte die "Parteigenossen" Georg Hellwig zum Leiter der Polizeidirektion und Walter Ortlepp zu dessen Stellvertreter. Als Wirth deshalb im Juni 1930 erneut die Zuschüsse sperren ließ, stellte der Freistaat einen Antrag beim Staatsgerichtshof in Leipzig auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die "das Reich wegen der sonst für Thüringen entstehenden Notlage bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichts" zur weiteren Zahlung der Polizeizuschüsse zwingen sollte.
Diesen Antrag lehnte der Staatsgerichtshof ab (RGZ 129, Anhang 28). Er wog die finanziellen Nachteile Thüringens mit der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus Sicht des Reiches ab und entschied, dass eine Lösung die beiden Rechtspositionen in "einer beiden Interessen gerecht werdenden Regelung" nicht ersichtlich sei. Der Konflikt zwischen Thüringen und dem Reich wurde im Dezember 1930 mit einem Vergleich beigelegt. Thüringen verpflichtete sich, das "unpolitische Verhalten der einzelnen Beamten im Dienst unbedingt" zu gewährleisten; das Reich hob die Sperre der Polizeikostenzuschüsse auf.
Schulgebete gegen Juden
Die "zweite große Aufgabe" hatte Hitler "in der Nationalisierung des Schulwesens" gesehen. Der Volksbildungsminister Wilhelm Frick setzte auch hier die Absichten Hitlers rigoros um. Mit dem Erlass "Wider die Negerkultur - für deutsches Volkstum" aus dem April 1930 bekämpfte er "Jazzband- und Schlagzeug-Musik, Negertänze, Negergesänge und Negerstücke". "Undeutsche" Kunstwerke wurden aus den Sammlungen der Stadt entfernt und Dozenten aus der Schule des Bauhauses verjagt. Frick errichtete einen "Lehrstuhl für Sozialanthropologie" an der Universität Jena und berief gegen den Willen der universitären Gremien den "Rasseforscher" H. F. K. Günther.
Im Haushaltsausschuss des Thüringischen Landtags erklärte Frick, dass die von ihm verkündeten Schulgebete sich gegen "rassenfremde Elemente, nämlich die Juden", später auch Sozialdemokraten richten sollten. In dem Erlass heißt es u. a.: "Die heranwachsende christliche deutsche Jugend ist Trägerin und Gestalterin des deutschen Schicksals. Sie hat deshalb ein Recht darauf, auch in der Schule Gelegenheit zu bekommen, vom allmächtigen Vater im Himmel Hilfe und Kraft zu erbitten zur Befreiung ihres Volkes und Vaterlandes".
Regentschaft Fricks endete mit Misstrauensvotum
Das Reich klagte gegen diesen Erlass unter Berufung auf Art. 148 Abs. 2 WRV ("Beim Unterricht in öffentlichen Schulen ist Bedacht zu nehmen, daß die Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden.") und sein Aufsichtsrecht aus Art. 15 Abs. 1 WRV. Der Staatsgerichtshof gab dem Reich Recht. Nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte sei die "allgemeine Toleranz als Richtschnur für die Erteilung des Unterrichts in den öffentlichen Schulen festgelegt", so der Staatsgerichtshof. Die Gebete wendeten sich "gegen die politischen Anschauungen weiter Kreise des deutschen Volkes" und enthielten "ein Bekenntnis zum Antisemitismus". "Sozialdemokraten" und "Juden" wurden als "Volksbetrüger und Landesverräter gebrandmarkt". Es sei ein "Missbrauch des christlichen Gebetes", gegen seine Gegner Gott anzurufen und "bestimmte innerpolitische Anschauungen und gewisse Gruppen des Volkes zu brandmarken". Dies verstoße gegen Art. 148 Abs. 2 WRV (RGZ 129, Anhang 9). Die Judikative stoppte also zweimal die NS-Vorhaben in Thüringen.
Anfang April 1931 war der braune Spuk in Thüringen vorbei. Frick wurde durch ein Misstrauensvotum gestürzt und betrieb danach eiligst die Wiedereinstellung in den Dienst der von ihm verhassten bayerischen Regierung. Natürlich verlangte er die Anerkennung der Weimarer Regierungszeit für sein Besoldungsdienstalter. War auch die Generalprobe gescheitert, so gelang den Nazis mit Gewalt, Brutalität und Rankünen der Griff nach der Macht am 30. Januar 1933 – nun sollte kein Staatsgerichtshof sie aufhalten.
Der Autor Dr. Sebastian Felz ist Mitglied des Vorstandes des "Forum Justizgeschichte".