Erfolg liegt im Auge des Betrachters. An sich könnte RWE mit dem am Mittwoch verkündeten Urteil des OLG Hamm zufrieden sein. Das Gericht wies die Berufung des peruanischen Landwirts Saúl Luciano Lliuya im Verfahren gegen den Energieversorger in vollem Umfang zurück. Am 24. November 2015 hatte der Kleinbauer mit Unterstützung von Germanwatch Klage gegen RWE eingereicht. Begründung: RWE sei als großer Emittent anteilig schuld am Abschmelzen eines Gletschers und der drohenden Überflutung seines Hauses in der peruanischen Heimat. Knapp zehn Jahre später ist die Klage nun auch in der Berufung gescheitert.
Trotzdem feiern die Klimaschützer das Urteil als "historischen Sieg". Denn in der Zwischenzeit ist viel passiert: Das OLG Hamm äußerte sich als erstes Gericht eindeutig positiv zu Haftungsgrundsätzen aufgrund von CO2-Emissionen. Einzig wegen fehlender nachgewiesener Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts wies das Gericht die Ansprüche letztlich zurück. Grundsätzlich folgten die Richter aber der Argumentation des Klägers und bestätigten: Private Unternehmen können für Klimarisiken haftbar gemacht werden. Diese Aussage des OLG Hamm dürfte die NGOs ermutigen, weitere und vielleicht besser geeignete Klimafälle vor Gericht zu bringen. Große Emittenten wie RWE können also trotz des Siegs im Einzelfall perspektivisch kaum aufatmen.
Das von Germanwatch als "The Climate Case" vermarktete Verfahren zeigt anschaulich, dass Klimaschutz auch vor Gerichten erstritten wird. Allerdings sind die Hürden hoch.
0,47% der Kosten soll RWE tragen
Die Argumentation des Klägers ist im Prinzip simpel: RWE verursacht Emissionen; zum Zeitpunkt der Klage waren das 0,47% aller globalen Emissionen. Dadurch wandelt sich das Klima. In Peru schmelzen deshalb Gletscher, ein Gletschersee in den Anden droht überzulaufen. Haus und Hof des Klägers liegen unterhalb des Gletschersees und seien – so die Klägerseite – dadurch gefährdet. Zum Schutz des Grundstücks des Klägers sei es deshalb notwendig, einen Staudamm und ein Entwässerungssystem zu errichten.
An den dafür entstehenden Kosten müsse sich RWE im Verhältnis der Verursachung, also zu 0,47%, beteiligen. Dasselbe gelte für die Kosten von weiteren Schutzmaßnahmen am Haus des Klägers. In Erwartung von Flutwellen oder Schlammlawinen hatte der Bauer die Mauern seines Gebäudes verstärkt und ein zweites Stockwerk aufgesetzt.
Die Klage war allerdings bereits in erster Instanz gescheitert. Das LG Essen begründete die Abweisung damit, dass eine mögliche Gefahr für das Grundstück des Klägers nicht klar einem Emittenten zugerechnet werden könne. Anfang 2017 ging das Verfahren in die zweite Instanz.
OLG: Klimaschäden können Unternehmenshaftungen begründen
Bemerkenswert war und bleibt an dem Verfahren, dass das OLG Hamm dem Konzept einer grundsätzlich denkbaren zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen für Klimaschäden folgt. Die Richter stellten sich auch in der Urteilsbegründung klar auf den Standpunkt, dass Klimaschäden grundsätzlich eine Unternehmenshaftung begründen können. Als rechtliche Grundlage für diesen Ersatzanspruch wird § 1004 BGB herangezogen, also eine Anspruchsgrundlage aus dem deutschen Nachbarrecht, das bereits vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Jahr 1900 existierte.
RWE argumentierte hiergegen mit der Abwegigkeit von Klagen "jeder gegen jeden". Dieses Argument ließ das Berufungsgericht nicht gelten. Dass bei Bestehen eines generellen Ersatzanspruchs alle Bürger und Bürgerinnen mit Klimaklagen zu rechnen hätten, sei nicht absehbar, da normale Personen nur verschwindend geringe Emissionen verursachen. Es fehle also an der Erheblichkeitsschwelle.
RWE argumentierte außerdem, das Unternehmen habe in Deutschland einen Versorgungsauftrag. Das Berufungsgericht ließ auch dieses Argument nicht gelten, um eine Beeinträchtigung des Eigentums des Klägers zu rechtfertigen. Diese klare Zurückweisung der Argumentation von RWE gibt den Klimaschützern Hoffnung. Für dieses, aber auch für kommende Verfahren.
Entscheidend: Wie wahrscheinlich ist der Schadenseintritt?
Das OLG Hamm stellte klar, dass im Ergebnis die Erheblichkeit des individuellen Risikos entscheidend sei, und es stieg in eine umfassende Beweisaufnahme ein. Im Rahmen der Beweisaufnahme flogen Gericht, Parteien und Sachverständige 2022 zu einem Ortstermin nach Peru und besuchten den Bauernhof des Klägers. Im nächsten Schritt wurde das gerichtliche Sachverständigengutachten erstellt. Der Sachverständige kam zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit einer echten Gefahr für den klägerischen Bauernhof durch klimabedingte Überschwemmungsschäden bei gerade einmal einem Prozent in den nächsten 30 Jahren liege. Die Klägerseite hatte die Klage außerdem teilweise für erledigt erklären müssen, weil der Anteil von RWE an den weltweiten CO2-Emissionen seit Beginn des Verfahrens von 0,47% auf 0,38% gesunken war.
Kurz vor der Zielgeraden kam es zu einer letzten Verschiebung im Verfahren, weil der Kläger einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen stellte (es gab eine Verbindung des Ingenieurbüros des Sachverständigen und RWE). Der Antrag wurde aber abgelehnt. Da der Kläger kein Rechtsmittel einlegte, liegt das Gutachten nun der Entscheidung des Gerichts zugrunde.
In der Urteilsbegründung stellte das OLG Hamm erneut klar, dass ein entsprechender Anspruch gegen CO2-Emittenten grundsätzlich bestehen könnte. Verursacher von CO2-Emissionen könnten verpflichtet sein, Maßnahmen zur Verhinderung von Schäden zu ergreifen. Andernfalls käme die Feststellung von Schadensersatzansprüchen eines potenziell Geschädigten bereits vor dem Entstehen des tatsächlichen Schadens in Betracht. Es sei im vorliegenden Verfahren auch kein Hinderungsgrund für den Anspruch gewesen, dass eine große räumliche Distanz zwischen Schädiger und Geschädigten liegt. Das deutsche Nachbarrecht endet nicht am Nachbargrundstück. Gescheitert ist die Klage vielmehr daran, dass die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts an dem klägerischen Hof zu gering sei.
Die vom Sachverständigen geschätzte Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts innerhalb der nächsten 30 Jahre von etwa einem Prozent reicht für eine Feststellung der Schadensersatzpflichtigkeit von RWE nicht aus. Neben der geringen Wahrscheinlichkeit betont das Gericht, dass der Schaden, sollte er denn eintreten, voraussichtlich marginal ausfallen würde. Der Sachverständige habe bei seiner Betrachtung außerdem ausschließlich für den Kläger vorteilhafte Annahmen zugrunde gelegt. So sei er etwa von geringeren talseitigen Barrieren und ungehinderter Ausbreitung von Flutwellen ausgegangen. Nach Einschätzung des Gerichts liegt die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts tatsächlich also noch unterhalb eines Prozents.
Anleitung für künftige Klimaklagen
Das Gericht hat die Entscheidung nicht zur Revision zugelassen, die Nichtzulassungsbeschwerde ist wegen der zu geringen Beschwer nicht möglich. Es wäre aber ohnehin fraglich gewesen, ob die Klimaschützer das Verfahren überhaupt vor den BGH hätten bringen wollen. Die dogmatischen Aussagen des Berufungsurteils sind ja durchaus vorteilhaft.
„The Climate Case“ hat wegweisende Grundsteine für den weiteren Kampf gegen den Klimawandel vor Gericht gelegt. Dass das Gericht den nachbarrechtlichen Anspruch grundsätzlich als gegeben sieht und den Anspruch „nur“ an der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts scheitern lässt, kann große Auswirkungen auf künftige Klimaklagen haben.
Es ist ein Signal, dass nur der richtige Kläger gefunden werden muss, um jeden großen CO2-Emittenten in Anspruch nehmen zu können. Im Kampf gegen den Klimawandel unterstützen Klimaschutzorganisationen gerne Verfahren, die nach dem Bild „David gegen Goliath“ sorgsam ausgewählt werden. Trotz vollständigem Unterliegen dürfte die Klägerseite das Verfahren deshalb als Teilerfolg verbuchen. Es bleibt spannend, wann ein ähnlich gelagerter Fall seinen Weg vor den BGH findet. Denn dass sich andere Obergerichte und der BGH der aufsehenerregenden Meinung des OLG Hamm anschließen, ist nicht gesagt.
Dr. Maike Huneke ist Rechtsanwältin und Partnerin, Isabelle Hörner ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler in Stuttgart.