Tatbestandsausschließendes Einverständnis bei Freiheitsberaubung

Eine Freiheitsberaubung ist auch dann gegeben, wenn sich das Opfer dieser Tat gar nicht bewusst ist. Dies hat der Bundesgerichtshof im Fall einer Berlinerin entschieden, die in dem Glauben, sie fliege mit ihrer Familie nach Polen, in Georgien landete (wo sie freiwillig nicht hingereist wäre). Sie sollte dort mit einem "strengen" Muslim verheiratet werden. Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis käme laut BGH nur dann in Betracht, wenn die Frau dem Flug im vollen Bewusstsein über das Ziel zugestimmt hätte.

Mit einer List nach Georgien gelockt

Eine junge Berlinerin mit russischer Staatsangehörigkeit und tschetschenischer Abstammung, flüchtete aus ihrer gewalttätigen, nach islamischem Recht geschlossenen Ehe und zeigte ihren Mann an. Sowohl ihre eigene als auch die Familie des Mannes betrachteten dieses Verhalten als Bruch tschetschenischer Wert- und Rollenvorstellungen und bedrohten sie so schwer, dass sie zeitweilig Polizeischutz in Anspruch nehmen musste. Ihre eigene Mutter, ihr Bruder, ein Onkel und ein weiterer Beteiligter änderten dann ihre Taktik, um der Frau "Benimm" beizubringen: Sie spiegelten ihr vor, sie müsse in Polen einen russischen Pass beantragen. Alle setzten sich in den Wagen zum Flughafen und von dort aus in einen Flieger. Erst nach der Landung erkannte die junge Frau, dass sie getäuscht worden war und sich nun in Georgien befand. Zunächst ergab sie sich in ihr Schicksal, kündigte aber bereits am nächsten Tag an, zurück nach Berlin reisen zu wollen. Daraufhin wurde sie geschlagen und "Hausarrest" gegen sie verhängt. Geplant war, sie mit einem "strengen" Muslim zu verheiraten, damit sie in Zukunft die Traditionen einhält. Das Landgericht Berlin bestrafte die vier Täter wegen Freiheitsberaubung zu Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr, die es zur Bewährung aussetzte. Ihre Revisionen vor dem BGH scheiterten.

Mit Täuschung tatbestandsauschließendes Einverständnis erwirkt?

Die Familie meinte, sie habe die Geschädigte auf der Reise nicht der Freiheit beraubt (§ 239 Abs. 1 StGB), weil die junge Frau freiwillig mitgekommen sei. Der BGH ließ diesen Einwand nicht gelten: Das durch List und Täuschung erschlichene Einverständnis könne hier nicht tatbestandsausschließend sein. Die Karlsruher Richter knüpften dabei an das zu schützende Rechtsgut – den potentiellen Fortbewegungswillen – an. Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis könne nur dann vorliegen, wenn sich Täter und Opfer hinsichtlich Ausmaß und Dauer der Freiheitsentziehung einig seien. Um einverstanden zu sein, hätte der Berlinerin bewusst sein müssen, dass sie nach Georgien fliegt. Das durch die Täuschung erwirkte Einverständnis wertete der BGH lediglich als ein Instrument zur leichteren Verwirklichung der Freiheitsberaubung.

BGH, Urteil vom 08.06.2022 - 5 StR 406/21

Redaktion beck-aktuell, 13. Juli 2022.