Tarifverträge dürfen unterschiedlich hohe Nachtzuschläge vorsehen
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Eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt und dieser aus dem Tarifvertrag erkennbar ist. Dies hat das Bundesarbeitsgericht am Mittwoch klargestellt. Ein solcher Grund könne auch die schlechtere Planbarkeit gelegentlicher Nachtarbeit sein.

Unterscheidung zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Getränkeindustrie. Die Klägerin leistete dort im Streitzeitraum Nachtarbeit im Rahmen eines Wechselschichtmodells. Im Arbeitsverhältnis der Parteien gilt der Manteltarifvertrag zwischen dem Verband der Erfrischungsgetränke-Industrie Berlin und Region Ost e.V. und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Hauptverwaltung vom 24.03.1998 (MTV). Der MTV regelt, dass der Zuschlag zum Stundenentgelt für regelmäßige Nachtarbeit 20% und für unregelmäßige Nachtarbeit 50% beträgt. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die Dauernachtarbeit leisten oder in einem Drei-Schicht-Wechsel eingesetzt werden, haben daneben für je 20 geleistete Nachtschichten Anspruch auf einen Tag Schichtfreizeit.

Unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge gleichheitswidrig?

Die Klägerin erhielt für die von ihr geleistete regelmäßige Nachtschichtarbeit den Zuschlag in Höhe von 20%. Sie ist der Auffassung, die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung bestehe unter dem Aspekt des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, auf den es allein ankomme, nicht. Der Anspruch auf Schichtfreizeit beseitige die Ungleichbehandlung nicht, da damit nicht die spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit ausgeglichen würden. Mit ihrer Klage verlangt sie weitere Nachtarbeitszuschläge in Höhe der Differenz zwischen dem Zuschlag für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit.

BAG befragte zunächst EuGH

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht änderte auf die Berufung der Klägerin das Urteil des ArbG ab und gab der Klage teilweise statt. Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Zehnten Senats des BAG (BeckRS 2020, 36955) entschied der Gerichtshof der Europäischen Union, dass die Regelung von Nachtarbeitszuschlägen in Tarifverträgen keine Durchführung von Unionsrecht ist (NZA 2022, 971).

Sachlicher Grund für Ungleichbehandlung erkennbar

Nachgehend zu dieser Entscheidung hatte die Revision der Beklagten vor dem Zehnten Senat des BAG jetzt Erfolg. Die Regelung im MTV zu unterschiedlich hohen Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit verstößt nach Ansicht des Senats nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Arbeitnehmer, die regelmäßige beziehungsweise unregelmäßige Nachtarbeit im Tarifsinn leisten, seien zwar miteinander vergleichbar. Auch würden sie ungleich behandelt, indem für unregelmäßige Nachtarbeit ein höherer Zuschlag gezahlt wird als für regelmäßige. Für diese Ungleichbehandlung sei vorliegend aber ein aus dem Tarifvertrag erkennbarer sachlicher Grund gegeben.

Ausgleich für schlechtere Planbarkeit

Der MTV beinhalte zunächst einen angemessenen Ausgleich für die gesundheitlichen Belastungen sowohl durch regelmäßige als auch durch unregelmäßige Nachtarbeit und habe damit Vorrang vor dem gesetzlichen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG. Daneben bezwecke der MTV aber auch, Belastungen für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, wegen der schlechteren Planbarkeit dieser Art der Arbeitseinsätze auszugleichen.

Zuschlag darf neben Gesundheitsschutz anderen Zwecken dienen

Den Tarifvertragsparteien sei es im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie nicht verwehrt, mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen. Dieser weitere Zweck ergebe sich aus dem Inhalt der Bestimmungen des MTV. Eine Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Höhe der Differenz der Zuschläge erfolge nicht. Es liege im Ermessen der Tarifvertragsparteien, wie sie den Aspekt der schlechteren Planbarkeit für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, finanziell bewerten und ausgleichen.

BAG entschied noch in weiteren Verfahren

Das BAG hat am Mittwoch über weitere Verfahren mit vergleichbaren tariflichen Regelungen zum Manteltarifvertrag für die Milch-, Käse- und Schmelzkäseindustrie vom 16.03.1989, zum Manteltarifvertrag für die milchbe- und verarbeitenden Molkereibetriebe Niedersachsen/Bremen vom 22.01.1997 sowie zum Bundesmanteltarifvertrag für die Süßwarenindustrie vom 14.05.2007 entschieden. In diesen Verfahren hatten die Vorinstanzen die Klagen jeweils abgewiesen. Die Revisionen der Kläger hatten vor dem Zehnten Senat keinen Erfolg. Auch die Auslegung dieser Tarifverträge ergebe, dass mit den höheren Zuschlägen bei unregelmäßig auftretender Nachtarbeit neben dem spezifischen Ausgleich für die Nachtarbeit die zusätzlichen Belastungen durch die fehlende Planbarkeit solcher Arbeitseinsätze ausgeglichen werden sollen.

BAG, Urteil vom 22.02.2023 - 10 AZR 332/20

Redaktion beck-aktuell, 22. Februar 2023.