Als 1939 der Diktator 50 Jahr alt wurde, brachte ihm die "deutsche Wissenschaft" eine Festschrift dar, in der sie dem "Führer und Reichskanzler" "Rechenschaft" abgab. Rechtswissenschaftler wie Claudius von Schwerin, Gustav Adolf Walz, Heinrich Lange oder Fritz Berber feierten die "nationalsozialistische Rechtserneuerung", das "nationalsozialistische Rechtsideal" oder sahen das Recht als "ein Mittel zur Wahrung und Gestaltung der völkischen Ordnung". Waren dies vereinzelte Stimmen aus den rechtswissenschaftlichen Fakultäten oder sprach hier der braune Mainstream der juristischen Wissenschaft?
Der Berliner Historiker Michael Grüttner legt in seinem im vergangenen Jahr erschienenen Buch "Talar und Hakenkreuz. Die Universitäten im Dritten Reich" eine umfassende Erzählung über die Universitäten während der nationalsozialistischen Diktatur vor. In sechs Kapiteln sowie einem Schlussteil von zusammen über 500 Seiten schreitet Grüttner durch das weite Feld von Wissenschaft, Forschung und Lehre zwischen 1933 und 1945.
Im ersten Kapitel und im Epilog beschreibt er die Vor- und Nachgeschichte der nationalsozialistischen Wissenschaftsgeschichte. Zwar gab es aufgrund der restriktiven Beamtenrechtsetzung in Sachen politischer Extremismus in der Weimarer Republik sehr wenig Lehrende und Forschende mit NS-Parteibuch. Die Schnittmengen (Antisemitismus, Imperialismus, Autoritarismus) waren aber auch in den nationalkonservativen Eliten groß. Die Wirtschaftskrise um 1930 zeitigte horrende Sparmaßnahmen, die die staatlichen Zuwendungen um bis zu 40% reduzierten. Viele Nachwuchswissenschaftler sahen daher kaum eine Chance, einen Lehrstuhl zu erhalten.
Nazis bauten den Lehrkörper völlig um
In diese krisenhafte Situation brachte das Jahr 1933 einen völligen Umbau der rechtlichen Rahmenbedingungen und der personellen Zusammensetzung des Lehrkörpers. Durch die Einführung des "Führerprinzips" wurde der Rektor, der dem 1934 gegründeten Reichserziehungsministerium (REM) direkt unterstellt war, entmachtet und zahlreiche Mitspieler auf das Feld der Wissenschaftspolitik geholt, die in den Verordnungen des REM nicht vorgesehen waren. Die Hochschulkommission der NSDAP, der NS-Dozentenbund, der NSDStB sowie manche Gauleiter und der Stab Heß mischten bei Neuberufungen kräftig mit. Daneben hatten auch Alfred Rosenberg und Heinrich Himmler etwas zu sagen.
Von den über 6.100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wurden im Jahre 1933 20% vertrieben. Davon waren 80% aus antisemitischen Motiven betroffen. Des Weiteren wurden 35% der Forscherinnen und weiblichen Lehrkräfte entlassen. Eine Anordnung von Martin Bormann versperrte Frauen Lehraufträge an den juristischen Fakultäten. Die Zeit von 1933 bis 1938 war eine Zeit der Schrumpfung, zum einen durch die entlassenen Dozentinnen und Dozenten, zum anderen durch einen Rückgang von 60% bei den Studierenden durch demographische Entwicklungen und die Tendenz, außerakademische Berufe zu ergreifen. Durch die Expansion des Dritten Reiches kamen ab 1938 die Hochschulen Wien, Graz, Innsbruck, Prag sowie die beiden einzigen Neugründungen Posen und Straßburg dazu. Nicht verwunderlich ist, dass die Professorinnen und Professoren Mitglieder der neuen Staatspartei wurden. Traten im Sommer 1933 schon 20% ein, so steigerte sich die Anzahl der Parteigenossinnen und -genossen auf 60% am Ende der NS-Herrschaft.
Gewinner der neuen braunen Wissenschaftspolitik war der akademische Nachwuchs, der nun vermehrt die Chance auf eine Berufung hatte. Das Regime versuchte in seiner Berufungspolitik, zwischen den Anforderungen der politischen Zuverlässigkeit und fachlichen Eignung zu balancieren. Es gab Unterstützung und Förderung für Fächer oder Themenfelder, die aufgrund ihrer Ideologiekonformität dem Regime besonders wichtig waren: Dazu gehörte der wissenschaftlich verbrämte Rassismus in der "Rassenhygiene" und Eugenik oder dessen sozialwissenschaftliche Legitimation beispielsweise durch die Vor- und Frühgeschichte, Volkskunde und "Ost- oder Westforschung".
"Hört nicht beim Juden"
An den rechtswissenschaftlichen Fakultäten herrschte ein stiller Antisemitismus schon in der Weimarer Republik. Die Berufung Hans Kelsens mit Hilfe von Konrad Adenauer galt der Kölnischen Volkszeitung als "Berufungsskandal": Ob Adenauer denn nicht wisse, dass die Fakultät zu Köln nicht schon mit "Dozenten jüdischen Bekenntnisses überbesetzt" sei. Als im Sommersemester 1933 die Boykottaktionen der NS-Studentinnen und -studenten einsetzten ("Hört nicht beim Juden") wurde in Berlin auch der Zivilrechtler Martin Wolff aufgrund seiner jüdischen Abstammung massiv gestört. Wolff macht – auch dank der Intervention von Rektor und Strafrechtler Eduard Kohlrausch – weiter. Dies bedeutete, dass sein Seminar erst nach einem Spießrutenlauf durch SA-Spaliere, Pfui-Rufen sowie "Jude verrecke"- Beschimpfung beginnen konnte. Im Rahmen der Bücherverbrennung empfand Rektor Kohlrausch auch einige Passagen des antisemitischen Plakates "Wider den undeutschen Geist" als "Entgleisungen" und legte sich mit dem NSDStB an. Es kam zu einem veritablen Machtkampf. Das Plakat wurde nicht wieder aufgehängt, aber Kohlrausch schied im Mai 1933 aus dem Rektorat aus. Noch einen Monat zuvor hatte er auf einer Rektorenkonferenz die Entlassungen jüdischer und politisch missliebiger Professoren aufgrund des sog. Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums begrüßt. Gegen die Bedenken des Hamburger Rektors und Zivilrechtlers, Leo Raape, konterte Kohlrausch: "Die Verjudung ist gekommen, weil man sich nicht entgegenstellt hat".
Die Rechtswissenschaften hatten einen hohen Anteil "jüdischer" Wissenschaftler, so dass ihr Aderlass mit 26,2% überdurchschnittlich hoch war. Träger der nationalsozialistischen Rechtserneuerung waren insbesondere die frisch berufenen Ordinarien. Daneben wirkten etablierte Professoren wie Carl Schmitt, dem Grüttner im Kapitel "Gescheiterte Vordenker" eine eigene Analyse widmet. Schmitt ist für den auch von Michael Grüttner beschrieben pseudowissenschaftlichen antisemitischen Tiefpunkt in der Rechtswissenschaft verantwortlich. 1936 organsierte er die Tagung "Das Judentum in der Rechtswissenschaft". Am Ende der Tagung leisteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Gelöbnis, in dem sie u.a. versprachen, bei wissenschaftlichen Arbeiten jüdische Autorinnen und Autoren nur zu zitieren, soweit dies zur Vermeidung eines Plagiats notwendig sei und nur mit der ausdrücklichen Erwähnung, dass sie jüdisch seien, und dasselbe auch von den Studierenden zu verlangen.
"Stoßtruppfakultäten"
Die Nationalsozialisten wählten den Weg der lokalen Clusterbildung von NS-Juristen zur Nazifizierung der Rechtswissenschaften. Dazu wurden drei "Stoßtruppfakultäten" gegründet, die in Kiel, Breslau und Königsberg lagen. Insbesondere in Kiel konzentrierten sich die Vordenker der nationalsozialistischen Rechtserneuerung. Hier lehrten Karl Larenz (Zivilrecht und Rechtsphilosophie), Ernst Rudolf Huber (Staatsrecht), Georg Dahm (Strafrecht), Karl Michaelis (Zivilrecht), Franz Wieacker (Zivilrecht), Friedrich Schaffstein (Strafrecht), Paul Ritterbusch (Verfassungs-, Verwaltungs- und Völkerrecht) und Wolfgang Siebert (Zivilrecht und Arbeitsrecht). Im "Kitzberger Lager" wurde die NS-Rechtswissenschaft zunächst in Vorträgen, dann in Sammelbänden ("Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft") und Zeitschriften ("Deutsche Rechtswissenschaft") ausbuchstabiert. Grüttner betont zu Recht, dass die selbst gesteckte Aufgabe in der regimekonformen Umdeutung des bestehenden Rechts bestand sowie in der Ausarbeitung eines neuen kodifizierten NS-Rechts.
Die 1936 präsentierten und u.a. von Kielern Professoren konzipierten "Leitsätze über Stellung und Aufgaben des Richters" hoben im Rahmen der "unbegrenzten Auslegung" (vgl. Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, Mohr Siebeck) das NSDAP-Parteiprogramm und Führerbefehle in den Status von Rechtsquellen; Führerbefehle konnten nicht richterlich überprüft werden und vor-nationalsozialistisches Recht müsse im Sinne des "gesunden Volksempfinden" ausgelegt werden. Die NS-Strafrechtler Georg Dahm und Friedrich Schaffstein, die bei ihrer Berufung noch keine 30 Jahre alt waren, propagierten ein illiberales, autoritäres Täterstrafrecht, in der jede Tat bestraft werden musste und das auch ohne Gesetz. Im Staats- und Verfassungsrecht geht Grüttner den Versuchen Gustav Adolf Walz‘ (Breslau) sowie Ernst Rudolf Hubers (Kiel) nach, die Willkürherrschaft noch mit staatsrechtlichen Theorien zu legitimieren. Während einige Autoren wie Eduard Kern das Wuchern des "Maßnahmestaates" vorsichtig kritisieren, begrüßten Ulrich Scheuner oder Theodor Maunz den Polizeistaat: Normen galten nicht mehr als Begrenzung staatlicher Macht, sondern als unverbindliche Regeln, die sich der politischen Zweckmäßigkeit im Polizei- und SS-Staat unterordnen zu hatten.
Studienordnung 1935: "Rasse und Sippe"
Nicht nur die Forschung, auch die Lehre wurde ideologisch gefärbt. Der Rechtshistoriker und Ministerialbeamte im REM Karl August Eckhardt legte 1935 "Richtlinien für das Studium der Rechtswissenschaft" vor. Der Studienplan brach mit der Rechtssystematik und ordnete die Fächer nach Lebensbereichen und Bevölkerungsgruppen, also "Familie" statt Familienrecht. Damit sollten die "lebensfernen Abstraktionen" zugunsten von "konkreten Ordnungen" (Carl Schmitt) ersetzt werden. Außerdem sollte das Fachstudium erst ab dem dritten Semester beginnen; davor sollten Studierende in einem nationalsozialistischen studium generale Veranstaltungen über "Rasse und Sippe", Volkskunde und Vorgeschichte besuchen. Aufgrund des Prestigeverlustes des Jurastudiums und der Einberufungen in die Wehrmacht nahm die Quote der Jurastudentinnen und Studenten unter allen Eingeschriebenen von knapp 20% (1932) auf 5% (1943/44) ab. Ein Ausgleich durch Jurastudentinnen war nicht möglich, da Hitler angeordnet hatte, dass Frauen nicht im Justizdienst oder in der Anwaltschaft arbeiten durften.
Michael Grüttner zeigt in vielen Facetten, faktenreich und quellengesättigt, wie der selbst gestellte Anspruch der Universitäten "Hüterinnen von Wahrheit und Gerechtigkeit" zu sein, auch und gerade in den juristischen Fakultäten durch das Ideal einer "kämpferischen Wissenschaft" ersetzt wurde, die im Namen von Ideologie und Macht forschte und lehrte.
Michael Grüttner, Talar und Hakenkreuz. Die Universitäten im Dritten Reich, München 2024, C. H. Beck, 704 Seiten Gebundene Ausgabe, ISBN 978-3-406-81342, 44 €.
Der Autor Dr. Sebastian Felz ist Mitglied des Vorstandes des "Forum Justizgeschichte".