beck-aktuell: Frau Nehne, wer steckt hinter der Studentenzeitschrift Die kleine Advokatin und was macht sie aus?
Nehne: Wir sind ein Team aus Studierenden der juristischen Fakultät Leipzig. Aktuell haben wir etwa 15 aktive Mitglieder. Unser Ziel ist es, eine Plattform zu bieten, die zum Denken und zur Diskussion über juristische Inhalte anregt. In erster Linie sind wir dabei eine lokale, studentische Zeitschrift. Zweimal jährlich – idealerweise zumindest – veröffentlichen wir eine kostenfreie Printausgabe für unseren Leserinnen und Lesern. Wir achten stets darauf, auch Themen auszuwählen, die Orts- oder Fakultätsbezug haben und für die Leipziger Studierenden besonders interessant sind. Allerdings widmen sich unsere Autorinnen und Autoren auch den größeren Fragen. Hier wollen wir zur Diskussion anregen. Sei es in Online-Artikeln auf unserer Website oder in Form von Postings auf Social Media. Wir befragen auch regelmäßig unsere Abonnentinnen und Abonnenten und veranstalten Quizze. Kurz gesagt: wir machen Zeitung.
beck-aktuell: Aber der Schwerpunkt der Zeitschrift liegt schon auf juristischen Inhalten, oder?
Nehne: Ja, definitiv. Dabei sind die Themen aber nicht zwingend auf neue Gesetze und deren Wirkmechanismen fokussiert. Jedes noch so alltäglich erscheinende Thema lässt sich ohne Kunstgriffe aus einer juristischen Perspektive betrachten. Eine neue Baustelle in Leipzig? Wir beschäftigen uns mit dem zutreffenden Bebauungsplan. Die beliebteste Szenekneipe des Viertels muss ausziehen? Wir betrachten die mietrechtlichen Hintergründe.
beck-aktuell: Die kleine Advokatin gibt es schon seit 1995. Irgendwann wurde der Gründungsnamen "Der Kleine Advokat" abgelegt. Wie kam es dazu? Hat die Entscheidung etwas mit dem Streit um den Namen "Juristenfakultät" an der Uni Leipzig zu tun?
Nehne: Unmittelbar haben die beiden Namensänderungen nichts miteinander zu tun. "Der kleine Advokat" ist der Vorgänger Der kleinen Advokatin und wurde aufgrund von Nachwuchsproblemen seinerzeit eingestellt. Als sich ein neues engagiertes Team fand, das die Zeitschrift wieder zurück ins Leben rief, bot sich ein neuer Name gut an. Dass dabei die weibliche Form das vorherige Maskulinum ablöste, lag dann wohl aber in den Händen desselben Zeitgeists, der auch die Debatte um die "Juristenfakultät" im Griff hatte. Diese Auseinandersetzung ist nun passé, die Umbenennung der Fakultät steht fest. Der Zeitgeist hat gleich doppelt gesiegt.
beck-aktuell: Was unterscheidet Die kleine Advokatin von anderen studentischen Ausbildungszeitschriften? Was ist ihr Alleinstellungsmerkmal?
Nehne: Soweit ich weiß, sind wir die einzige unabhängige, studentische Zeitschrift einer juristischen Fakultät in ganz Deutschland, die sich primär dem Journalismus widmet und eben keine Fachzeitschrift ist. Juristische Fachzeitschriften gibt es ja genügend. Mit dem Leipzig Law Journal unter anderem auch in Leipzig. Unser Verhältnis? Liebevolle Konkurrenz.
beck-aktuell: Wie wählen Sie die Inhalte für die Zeitschrift aus? Wer und was entscheidet darüber, ob ein Thema es in Die kleine Advokatin schafft?
Nehne: Grundsätzlich herrscht bei der Themenwahl ziemlich Anarchie. Jede Autorin und jeder Autor darf sich nach Belieben einem Thema widmen. Oft entscheidet das persönliche Interesse. Seit ich Mitglied Der kleinen Advokatin bin, habe ich noch nicht ein einziges Mal erlebt, dass ein Themenwunsch abgelehnt wurde. Vielmehr bekommt die präsentierte Idee über den Zuspruch der Redaktion hinaus oft noch weitere Unterstützung beim Ausfeilen des Textes. In einigen Fällen resultiert aus der Ideenentwicklung sogar eine gemeinsame Recherche oder ein gemeinsam verfasster Artikel. Die Themenwahl bei der Printausgabe wird dadurch beschränkt, dass die Inhalte zu einem zuvor gewählten Oberthema passen sollten, um eine in sich stimmige Ausgabe zu gestalten. Allerdings haben die Verfasserinnen und Verfasser auch hier viele Freiheiten. Zum Glück schreiben wir unsere Spielregeln selbst.
beck-aktuell: Die Printausgabe Der kleinen Advokatin mit einer Auflage von rund 400 Exemplaren ist kostenfrei. Wie finanzieren die Zeitschrift sich und wie stellen Sie die Qualität der Artikel sicher?
Nehne: Wir finanzieren uns hauptsächlich über Spenden und Anzeigen in den Print-Ausgaben. Kleinere Groschen kommen auch durch die Mitgliederbeiträge zusammen. Allerdings halten wir diese bewusst niedrig, damit sich unsere Mitgliedschaft nicht erkauft werden muss. Die Qualitätskontrolle wird also nicht von außen gesteuert, sondern ist ehrliche und harte Handarbeit unserer Mitglieder. Die einzelnen Autorinnen und Autoren entscheiden, worüber geschrieben wird; das Redaktionsteam entscheidet über die Veröffentlichung.
beck-aktuell: Die kleine Advokatin hat auch einen Instagram-Account. Welche Rolle spielen die Sozialen Netzwerke bei der Kommunikation mit den Studierenden?
Nehne: Social Media hat in letzter Zeit bei uns stark an Bedeutung gewonnen. Das liegt nicht nur am Trend, sondern auch an den Möglichkeiten, welche die Plattformen selbst bieten. Brandaktuelle Themen sind selten fünf Monate lang brandaktuell, sodass wir mit unserem Print-Turnus kaum eine Möglichkeit haben, uns zu schnelllebigen Themen spontan zu äußern. Deswegen haben wir vor knapp zwei Jahren unsere wöchentliche Kolumne "WoDkA" ins Leben gerufen, die ausschließlich online erscheint. Abgesehen von diesem Format findet ein Großteil des Austausches mit unseren Leserinnen und Lesern sowie anderen Vereinen via Instagram statt. Auch unsere Reichweite hat sich deswegen stark erhöht. All diese Aspekte sind nicht mehr hinwegzudenken.
beck-aktuell: Wird es irgendwann überhaupt keine Print-Zeitschriften mehr geben?
Nehne: Trotz der Möglichkeiten, die Social Media bietet, hängen wir an unserem Printmagazin. Es ist ein wunderbares Gefühl, eine selbst produzierte Zeitschrift in den Händen zu halten. Unsere Leserinnen und Leser sehen das wohl ähnlich. Die Zeitschriften sind jedes Mal schnell vergriffen. Auch wenn die Printausgabe unser größtes finanzielles Sorgenkind ist, planen wir deswegen nicht, sie abzusetzen. Die Nostalgie ist eben stärker.
beck-aktuell: Die 5. Ausgabe im Sommersemester 2022 trug den Titel "Mittelfinger ans Patriarchat". Sieht sich Die kleine Advokatin als feministische Zeitschrift? Wie wichtig ist Ihnen Gesellschaftskritik?
Nehne: Selbstverständlich begreifen wir uns als feministisch! Definiert man Feminismus als Menschenrecht, welches das Ziel verfolgt, die Gleichberechtigung aller Geschlechter voranzutreiben und bestehende Diskriminierungen abzubauen, ist anderes wohl auch schwer vertretbar. Solange dies und andere Werte, die wir als Team gemeinsam vertreten, nicht den Grundkonsens der Gesellschaft darstellen, ist es für uns natürlich wichtig, diesen Zustand zu kritisieren. Gerade aus der rechtlichen Perspektive heraus. Insofern ist uns Rechtskritik vielleicht noch wichtiger als Gesellschaftskritik, weil das Recht die Stellschrauben für den gesellschaftlichen Umgang setzt. Kritische Gedanken zu äußern, empfinden wir als eine unserer primären Aufgaben, sie sind unser Kraftstoff.
beck-aktuell: Wieso sollten sich Jurastudierende bei einer studentischen Ausbildungszeitschrift engagieren?
Nehne: Die juristische Ausbildung ist enorm technisch. Dazu kommt, dass die Studierenden einem hohen Lernanteil ausgesetzt sind – gespickt von absurd ausdifferenzierten Meinungsstreitigkeiten. Beides sind denkbar ungünstige Voraussetzungen, um sich eine eigene starke Meinung zu bilden. Der Studienaufbau scheint konzipiert, um gute Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender zu produzieren und enthält kaum Platz für kritisches Denken und eigene Ideen. Das ist jedoch wichtig: Die abgeschlossene juristische Ausbildung bringt oftmals Macht mit sich, und diese will vernünftig eingesetzt werden. Wer also das Bedürfnis hat, über den Tellerrand der juristischen Methodik hinauszuschauen und einen Perspektivwechsel einzulegen, ist bei einer Zeitschrift gut aufgehoben. Abgesehen davon lernt man unglaublich viel, auch im zwischenmenschlichen Bereich. Nicht zuletzt bietet die Arbeit eine willkommene Abwechslung im oft eintönigen Lernalltag.
beck-aktuell: Wer kann bei Ihnen mitmachen? Welche Eigenschaften sollte man mitbringen, um Redakteurin oder Redakteur bei Der kleinen Advokatin zu werden?
Nehne: Grundsätzlich sind bei uns all jene Menschen herzlich eingeladen, die Diskurs schätzen und Lust an Teamarbeit in einem neuen Umfeld haben. Journalistisches Interesse, eigenständiges Denken, ein gewisses Selbstbewusstsein und Kritikfähigkeit sind für die Arbeit an einer Zeitschrift von Vorteil. Allerdings sind wir über unser Online- und Printmedium hinaus auch ein ortsansässiger Verein, der regelmäßig an Fakultätsfeierlichkeiten und anderen Veranstaltungen teilnimmt. Ein solches Projekt braucht Unterstützung in allen Bereichen, weit über die Redaktionsarbeit hinaus. Wir freuen uns daher sprichwörtlich über jedes neue Gesicht!
beck-aktuell: Wie viel Zeit sollte man mitbringen, um sich neben dem Jurastudium bei Der kleinen Advokatin einzubringen?
Nehne: Wie viel Zeit das einzelne Mitglied in Die kleine Advokatin steckt, kann individuell stark schwanken. Aufgrund des Studienverlaufs verschwinden manchmal Personen für ein paar Monate von der Bildfläche und kommen dann später doch wieder zurück. Unsere Devise ist diesbezüglich klar: alles kann, nichts muss.
beck-aktuell: Vielen Dank für den interessanten Einblick.
Antonia Nehne ist ehemalige Vorständin des Vereins "Die kleine Advokatin -–Studierende der Juristenfakultät Leipzig e.V."
Die Fragen stellte Dr. Jannina Schäffer


