Die Idee, dass die Parteien von Zivilprozessen den Verfahrensstoff in einem gemeinsamen Dokument digital strukturieren, wird schon seit Jahren kontrovers diskutiert. Die Universität Regensburg hat das sogenannte digitale Basisdokument ein Jahr lang im Reallabor getestet und das Projekt evaluiert. Nun gibt es einen Abschlussbericht, der die Initiatoren positiv stimmt, aber auch zeigt, wie breit das Meinungsspektrum beim Thema strukturierter Parteivortrag ist.
Vier Gerichte (Hannover, Landshut, Osnabrück und Regensburg) haben das elektronische Vorverfahren zwischen Frühjahr 2023 und Juni 2024 getestet. Auf freiwilliger Basis konnten Richterinnen und Richter sowie Anwältinnen und Anwälte hier ein digitales Vorverfahren durchführen, dessen Kernstück ein strukturiertes Basisdokument ist, das beide Parteien gemeinsam führen.
Das Dokument ersetzt dabei Schriftsätze und bündelt den Prozessstoff. Eine Hinweisfunktion für Richterinnen und Richter gibt es auch. Ziel des Reallabors war es, das digitale Basisdokument auf Praxistauglichkeit zu testen und mithilfe qualitativer Interviews neue Erkenntnisse zu gewinnen. Einen knapp 400-seitigen Abschlussbericht haben die Professoren Christoph Althammer und Christian Wolff am Montag den beteiligten Justizministerien Bayern und Niedersachsen übergeben.
Vorsichtiger Zuspruch für das digitale Vorverfahren
Die Forscherinnen und Forscher haben einen minimalinvasiven Ansatz verfolgt. Der Prozessstoff wird zwar im Basisdokument geordnet, aber nicht eingeschränkt. Schriftsätze konnten von den Parteien frei eingegeben werden und die Teilnahme war freiwillig. Die Initiatoren haben das Projekt zudem durch 50 qualitative Interviews mit Richtern und Anwältinnen evaluiert.
Dabei ergab sich ein überwiegend positives Feedback. Die Teilnehmenden gaben an, durch das Dokument einen leichteren Zugang zum Prozessstoff gefunden zu haben, Redundanzen hätten vermieden werden können, außerdem erleichtere das Dokument richterliche Hinweise. Viele sahen Potenzial für die Zukunft: Man könne zukünftig etwa KI-Funktionen integrieren und eine Schnittstelle zur E-Akte schaffen. Gerade Richterinnen und Richter erhofften sich effizientere und kürzere Verfahren sowie eine Arbeitserleichterung.
Besonders häufig waren während der Erprobungsphase Verfahren aus dem Baurecht, dem Kaufrecht, dem Mietrecht und dem Verkehrsrecht für das Reallabor ausgewählt worden. Dabei suchten die Richterinnen und Richter ganz überwiegend einfach gelagerte Verfahren aus. Das Basisdokument kam immer dann zum Einsatz, wenn beide Parteien zugestimmt hatten und die Richterin oder der Richter es für geeignet hielt.
Viele Anwälte wollten nicht mitmachen
Kritik äußerten besonders die Anwältinnen und Anwälte. Sie lehnten vielfach die Teilnahme an dem Projekt ab, weil sie befürchteten, durch das Basisdokument in ihrer Anwaltstätigkeit eingeschränkt zu werden. Sie gaben an, ihre Prozesstaktik nicht "auf dem Silbertablett präsentieren" zu wollen oder befürchteten, die Kommunikation mit den Mandanten werde leiden. Viele gaben zudem an, das Basisdokument nütze in erster Linie dem Gericht, nicht aber der Anwaltschaft.
Diejenigen, die an dem Projekt teilnahmen, äußerten sich hingegen positiv: Mit dem Basisdokument könne man leichter Bezug auf Äußerungen der Gegenseite nehmen und besser auf richterliche Hinweise eingehen. Außerdem lobten sie die Gestaltungsfreiheit des Dokuments, das es ihnen erlaube, Schriftsätze wie gewohnt einzubringen.
Justizminister pochen auf Modernisierung des Zivilprozesses
Die Justizministerien Bayern und Niedersachsen hatten das Projekt unterstützt und nahmen am Montag den Abschlussbericht entgegen. Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann zeigte sich zufrieden: "Das Reallabor zum digitalen Parteivortrag im Basisdokument ist ein Musterbeispiel dafür, wie Richterschaft und Anwaltschaft gemeinsam an der Vision eines Zivilprozesses der Zukunft arbeiten können." Bemerkenswert sei, wie die Projektgruppe es geschafft habe, reale digitale Innovationen innerhalb des aktuell noch geltenden Rechtsrahmens im Echtbetrieb einzusetzen.
Bayerns Staatsminister der Justiz Georg Eisenreich betonte den Reformbedarf bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen. "Das bundesweit erste Reallabor zum Zivilprozess ist erfolgreich abgeschlossen und kann ein wichtiger Baustein für den Zivilprozess der Zukunft sein". Den bestehenden gesetzliche Rahmen kritisierte er als "viel zu oft ein Hemmschuh", dieser müsse durch den Bund an vielen Stellen modernisiert werden.
BMJ-ZPO-Reformkommission will das Projekt behandeln
Die Initiatoren des Projekts sehen den Abschluss des Reallabors als Startschuss. "Das Thema ist für uns nicht beendet. Wir werden weiter forschen, insbesondere dazu, wie in Zukunft KI integriert werden könnte, sagte Christian Wolff von der Universität Regensburg auf beck-aktuell-Anfrage.
Er kündigte an, dass die neu eingesetzte Reformkommission "Zivilprozess der Zukunft" des BMJ sich mit dem Bericht befassen werde. Potenzial sieht er besonders in einem neuen Referentenentwurf zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit. "Wir halten es für sinnvoll, wenn im Rahmen der Umsetzung dieses Gesetzes das Basisdokument mitgedacht wird."
Nähere Informationen zum Reallabor finden Sie unter www.parteivortrag.de. Den Abschlussbericht können Sie hier abrufen.