Schiedsgericht sprach Investoren Investitions-Entschädigung von 180 Millionen Euro zu
Im Jahr 1998 erließen die rumänischen Behörden eine Dringlichkeitsverordnung, mit der Investoren in benachteiligten Gebieten während eines Zeitraums von zehn Jahren bestimmte Investitionsanreize gewährt wurden. Im Rahmen des Prozesses der Vorbereitung des Beitritts zur Union beendete Rumänien diese Anreize im Jahr 2005, also drei Jahre früher als in der Verordnung vorgesehen. Ioan und Viorel Micula, schwedische Investoren mit Wohnsitz in Rumänien, sind Mehrheitsaktionäre der Gesellschaft European Food and Drinks Group, der diese Anreize gewährt wurden. Gemäß einem im Jahr 2002 zwischen Schweden und Rumänien geschlossenen bilateralen Investitionsschutzabkommen zur Förderung und zum gegenseitigen Schutz von Investitionen (BIT) beantragten Ioan und Viorel Micula sowie weitere Kläger die Einsetzung eines Schiedsgerichts, um Ersatz für die Schäden zu erhalten, die ihnen durch die Aufhebung der in der Dringlichkeitsverordnung vorgesehenen Anreize entstanden waren. Im Jahr 2013 stellte das Schiedsgericht fest, dass Rumänien keine faire und gleiche Behandlung der Investitionen sichergestellt habe, und sprach den Klägern Schadensersatz in Höhe von etwa 180 Mio. Euro zu.
Kommission wertete Entschädigungszahlung als staatliche Beihilfe
Im Jahr 2015 erließ die Kommission einen Beschluss, in dem sie die Auffassung vertrat, dass die Zahlung der Entschädigung eine staatliche Beihilfe darstelle, und Rumänien aufgab, die bereits gezahlten Beträge zurückzufordern und jede weitere Zahlung zu unterlassen.
EuG: Kommission durfte Entschädigung nicht beihilferechtlich überprüfen
Das Gericht der Europäischen Union erklärte den Beschluss der Kommission im Jahr 2019 für nichtig (BeckRS 2019, 11603). Die Kommission sei nicht dafür zuständig, die Entschädigung anhand des Beihilferechts zu prüfen. Denn die Entschädigung solle einen Schaden ausgleichen, der durch die vorzeitige, vor dem Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union erfolgte Rücknahme von Anreizen entstanden sei. Außerdem stelle diese Entschädigung auch keine staatliche Beihilfe dar. Die Europäische Kommission legte daraufhin ein Rechtsmittel zum Europäischen Gerichtshof ein, mit dem sie beantragte, das EuG-Urteil aufzuheben.
Generalanwalt: Kein Verstoß gegen Autonomie des Unionsrechts
In seinen Schlussanträgen weist Generalanwalt Maciej Szpunar zunächst das Vorbringen zurück, wonach das in Rede stehende Schiedsverfahren und der anschließende Schiedsspruch in Anbetracht der vom Gerichtshof mit Urteil vom 06.03.2018 ("Achmea", BeckRS 2018, 2315) aufgestellten Grundsätze gegen den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens und die Autonomie des Unionsrechts verstießen. Gemäß diesem Urteil stehe das Unionsrecht (Art. 267 und 344 AEUV) einem Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten entgegen, der in einem zwischen zwei Mitgliedstaaten geschlossenen Investitionsschutzabkommen vereinbart sei und vorsehe, dass ein Schiedsgericht, das außerhalb des Rechtssystems der Union stehe und nicht der Kontrolle durch ein Gericht eines Mitgliedstaats unterliege, das Unionsrecht auslegen oder anwenden könne.
Achmea-Grundsätze auf vor EU-Beitritt eingeleitetes Schiedsverfahren nicht anwendbar
Die Rechtsprechung, die auf das Achmea-Urteil zurückgehe, gelte zwar ab dem Tag des Beitritts in Rumänien. Die Anwendung des Unionsrechts könne die besonderen Merkmale eines Schiedsverfahrens, das vor dem Beitritt Rumäniens zur Union eingeleitet worden und zum Zeitpunkt dieses Beitritts noch anhängig gewesen sei, jedoch nicht beseitigen. Somit sei ein Schiedsverfahren, das auf der Grundlage eines Investitionsschutzabkommens eingeleitet worden sei, das ein Mitgliedstaat und ein am Schiedsverfahren beteiligter Drittstaat vor dessen Beitritt zur Union geschlossen hätten, auch nach diesem Beitritt nicht geeignet, die Autonomie des Unionsrechts zu beeinträchtigen, sodass kein Verstoß gegen die Art. 267 und 344 AEUV festgestellt werden könne und sich folglich die Grundsätze, die sich aus dem Achmea-Urteil ergäben, nicht auf ein solches Schiedsverfahren anwenden ließen.
Zeitpunkt der Gewährung einer staatlichen Beihilfe
Der Generalanwalt prüft sodann die Frage, zu welchem Zeitpunkt die staatliche Beihilfe als vom Mitgliedstaat gewährt anzusehen sei, um feststellen zu können, ob das Beihilferecht zu diesem Zeitpunkt anwendbar und die Kommission für den Erlass dieses Beschlusses zuständig gewesen sei. Er weist darauf hin, dass der Zeitpunkt der Gewährung einer Beihilfemaßnahme nicht mit dem Zeitpunkt der tatsächlichen Auszahlung der Beihilfe durcheinandergebracht werden. Das entscheidende Kriterium für die Bestimmung des Zeitpunkts der Gewährung einer mutmaßlichen Beihilfe sei der Erwerb eines sicheren Rechtsanspruchs des Begünstigten und die daraus folgende entsprechende Verpflichtung des Staates zur Gewährung der Maßnahme.
Kommission war für beihilferechtliche Prüfung der Entschädigung zuständig
Entgegen der Auffassung des Gerichts sei der mutmaßliche Beihilfeanspruch von European Food daher gerade nicht schon zu dem Zeitpunkt entstanden sei, zu dem Rumänien gegen die Bestimmungen des BIT verstoßen habe. Die Verpflichtung Rumäniens, diese Entschädigung zu leisten, und der Anspruch auf die Entschädigung seien vielmehr erst mit der Entscheidung des Rechtsstreits entstanden, also nach dem Erlass des Schiedsspruchs und damit nach dem Beitritt Rumäniens zur Union. Daraus folge, dass das Unionsrecht auf diese Maßnahme anwendbar und die Kommission nach Art. 108 AEUV für die beihilferechtliche Prüfung der Entschädigung zuständig gewesen sei.
EuG-Annahme der rechtsfehlerbehafteten Einstufung als Vorteil rechtsfehlerbehaftet
Ferner sei das Gericht rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschluss der Kommission hinsichtlich der Einstufung als Vorteil mit einem Rechtsfehler behaftet sei. Zum einen beruhe die Begründung des Gerichts ausschließlich auf der fehlerhaften Prämisse, dass die Kommission für eine beihilferechtliche Prüfung der Entschädigung nicht zuständig gewesen sei. Was zweitens das Vorbringender Kommission anbelange, wonach die auf das Urteil "Asteris" (BeckRS 2004, 70675) zurückgehende Rechtsprechung auf den Teil der Entschädigung anzuwenden sei, der auf den Zeitraum vor dem Beitritt entfalle, so hänge die Frage, ob diese Rechtsprechung unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache einschlägig sei, nicht allein davon ab, ob die Entschädigung zur Wiederherstellung einer Maßnahme führe, die vor dem Beitritt als staatliche Beihilfe im Sinne von Art.107 AEUV habe eingestuft werden können. In ihrem Beschluss habe die Kommission es nämlich ausgeschlossen, dass diese Rechtsprechung auf ein Schiedsverfahren angewandt werden könne, und sich ferner darauf berufen, dass die nach der Dringlichkeitsverordnung gewährten Anreize vom rumänischen Wettbewerbsrat auf der Grundlage der Vereinbarung von 1995 als "Beihilfen" eingestuft worden seien.
EuG muss erneut prüfen
Unabhängig von der Frage, ob diese beiden Gesichtspunkte stichhaltig gewesen seien, weist der Generalanwalt darauf hin, dass das Gericht nur einen der Gründe, die die Kommission veranlasst hätten, von der Anwendung der auf das "Asteris"-Urteil zurückgehenden Rechtsprechung abzusehen, auf seine Rechtmäßigkeit überprüft habe. Seiner Auffassung nach konnte das Gericht daher nicht rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangen, dass der Beschluss der Kommission hinsichtlich der Einstufung als Vorteil mit einem Rechtsfehler behaftet sei, ohne zugleich zu prüfen, ob die Kommission die Anwendung der auf das Urteil zurückgehenden Rechtsprechung zu Unrecht ausgeschlossen habe. Der Generalanwalt schlägt dem EuGH daher vor, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen.