Streit um Mindestsätze in der HOAI landet wieder vor dem EuGH
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Der Bundesgerichtshof hat ein Verfahren über die Vergütung eines Ingenieurs ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen zu den Mindestsätzen in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) vorgelegt. Ein Ingenieur hatte unter Berufung auf die Mindestsätze in der HOAI eine über das vertraglich vereinbarte Pauschalhonorar hinausgehende Vergütung verlangt. Die Honorarvereinbarung hielt er für unwirksam, weil sie die in der HOAI festgelegten Mindestpreise unterschreite.

Gelten die Mindestsätze der HOAI weiter?

Der EuGH hatte in einem Urteil vom Juli 2019 die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze in der Honorarordnung für europarechtswidrig erklärt, weil sie gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Zwischen deutschen Gerichten war seitdem umstritten, ob und wie die Honorarordnung weiter gilt. Das OLG Hamm hielt in der Vorinstanz die maßgeblichen Bestimmungen bis zu einer neuen Verordnung für weiter anwendbar. Der EuGH-Entscheid, so die Richter, binde nur den betroffenen Mitgliedstaat - für Unionsbürger selbst gehe hingegen keine Wirkung davon aus. Angesichts zahlreicher gegenläufiger obergerichtlicher Entscheidungen sowie Meinungsäußerungen im Schrifttum, die ihre Standpunkte jeweils aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ableiteten, war die richtige Anwendung des Unionsrechts aus Sicht des BGH unklar.

BGH befragt den EuGH

Er will nun vom EuGH wissen, ob die verbindlichen Mindestsätze der HOAI in laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen nicht mehr anzuwenden sind, entweder weil die Dienstleistungsrichtlinie insoweit unmittelbare Wirkung entfaltet oder weil die Regelungen der Honorarordnung gegen die Niederlassungsfreiheit oder sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts verstoßen. Wäre dies der Fall, hätte der Ingenieur keinen Anspruch auf zusätzliche Vergütung, weil die Pauschalhonorarvereinbarung der Parteien wirksam wäre.

BGH deutet seine Rechtsauffassung an

Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Architekten- und Ingenieurverträge zuständige VII. Zivilsenat geht laut seiner Pressemitteilung nicht von einer unmittelbaren Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie in laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen aus. In der Rechtsprechung des EuGH sei zwar anerkannt, dass sich der Einzelne gegenüber dem Mitgliedstaat in bestimmten Fällen unmittelbar auf eine Richtlinie berufen kann. Allerdings könne diese nicht selbst Verpflichtungen für ihn begründen. Eine Richtlinie könne daher auch nicht in einem Rechtsstreit zwischen Privaten angeführt werden, um die Anwendung der Regelung eines Mitgliedstaats, die gegen die Richtlinie verstößt, auszuschließen. Soweit der EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung in bestimmten Ausnahmefällen - etwa bei Unmöglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung - eine Nichtanwendung unionsrechtswidriger nationaler Vorschriften zwischen Privatpersonen bejaht habe, wird der Streitfall nach Auffassung des BGH hiervon nicht erfasst. Auch zu einem Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit äußert sich der BGH in seiner Pressemitteilung. Sie kann nach seiner Einschätzung jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. In einem weiteren Rechtsstreit um Honorarnachforderungen für die Erbringung von Architekten- und Ingenieurleistungen wies der BGH die Revision zurück. In dem Verfahren kam es auf die Rechtsfragen zu den Folgen des EuGH-Urteils aus dem Juli 2019 nicht entscheidungserheblich an.

Auswirkungen auf Gebührensätze im RVG?

Auch die Anwaltschaft beobachtet die Entwicklungen genau. Nach der Entscheidung des EuGH kam sogleich die Frage auf, ob die Mindestgebühren im RVG ebenfalls europarechtswidrig sein könnten. Die anwaltlichen Berufsorganisationen wiesen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der EuGH in seiner Urteilsbegründung hinsichtlich der Mindestsätze auf die Inkohärenz der Regelungen abstellte. Deutschland wolle die Qualitätssicherung der ­Planungsleistungen durch Mindestgebühren gewährleisten, behalte den Zugang zur HOAI jedoch nicht bestimmten Berufsständen vor, die einer zwingenden berufs- oder kammerrechtlichen Aufsicht unterliegen. Die Planungsleistungen könnten vielmehr auch von Personen erbracht werden, die eine entsprechende fachliche Eignung nicht nachgewiesen haben. Das sei bei Anwälten anders. Der sachliche Anwendungsbereich gelte nur für sie. Außerdem zähle der Anwaltsberuf zu den klassischen Kammerberufen und unterliege besonders strengen berufsrechtlichen Zugangsregelungen. Eine Inkohärenz der Regelungen im RVG zur Qualitätssicherung sei vor diesem Hintergrund zu verneinen.

BGH, Urteil vom 14.05.2020 - VII ZR 174/19

Redaktion beck-aktuell, 14. Mai 2020 (ergänzt durch Material der dpa).