Streit über Justizreform: Polen zeigt mit dem Finger auf Deutschland

Polens neuer Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hält das umstrittene polnische Justizsystem für unabhängiger als das deutsche. Als Beispiel nannte Morawiecki den Richterwahlausschuss in Deutschland. "Da sitzen nur Politiker drin. Deutschland steht nicht im Einklang mit den Vorschlägen der Venedig-Kommission des Europarats", sagte der Regierungschef der Deutschen Presse-Agentur. Das polnische System erfülle diese Kriterien deutlich besser: Dort seien 15 von 25 Ausschussmitgliedern Richter.

Vertreter aus Bundestag und Bundesrat

In Deutschland werden die Posten an den Bundesgerichten vom Richterwahlausschuss vergeben, der je zur Hälfte mit den Justizministern der Bundesländer und Vertretern des Bundestags besetzt ist. Die 16 Richter am Bundesverfassungsgericht werden je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat bestimmt.

Ministerpräsident fordert offene Gespräche

"Wir wollen ein modernes Justizsystem schaffen, das ist das souveräne Recht der EU-Mitgliedstaaten", sagte Morawiecki am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos. Im Streit mit Brüssel über diese Reform sowie um Quoten für Flüchtlinge forderte der Ministerpräsident die EU zu offenen Gesprächen auf. "Wir brauchen nicht zwei Monologe, wir brauchen einen Dialog." Er bekräftigte, dass er an der Reform sowie dem Nein zu Flüchtlingsquoten festhalten werde. Der 49-Jährige hatte im Dezember 2017 die Nachfolge von Beata Szydlo angetreten.

Morawiecki: Reformen müssen besser erklärt werden

"Die Reform zurückzunehmen, würde uns auf ein deutlich schlechteres System zurückwerfen hinsichtlich Gerechtigkeit, Objektivität und Unabhängigkeit", sagte Morawiecki. Er räumte aber ein: "Wir müssen die Reformen besser erklären." Derzeit werde ein Weißbuch vorbereitet, um einzelne Aspekte der Justizreform vorzustellen. "Letztlich glaube ich, dass wir in einer Position sein werden, um unsere Partner zu überzeugen, dass wir die Reform fortsetzen müssen."

EU bangt um Unabhängigkeit der polnischen Justiz

Brüssel sieht die Unabhängigkeit der polnischen Justiz nach den Gesetzesänderungen bedroht und leitete im Dezember 2017 erstmals in der EU-Geschichte ein Sanktionsverfahren ein, durch das Polen seine Stimmrechte verlieren könnte.

Nein zu Flüchtlingsquoten

Die Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Mitglieder lehnte Morawiecki mit Nachdruck ab. "Wir wollen nicht, dass souveränen Ländern Quoten auferlegt werden", sagte er. Mit Blick auf die ebenfalls ablehnende Haltung Ungarns wies Morawiecki Vorwürfe eines anti-europäischen Bündnisses zurück: "Es geht uns nicht darum, Allianzen zu schmieden, sondern darum, eine gemeinsame Flüchtlingspolitik aufzubauen." So beteilige sich Polen bereits mit viel Geld an EU-Programmen, mit denen Flüchtlinge in ihren Heimat- oder in Transitländern gehalten werden sollen.

EU-Partnerschaft weiterhin gewollt

Der Regierungschef betonte, an der EU-Partnerschaft festzuhalten. "Wir sind sehr pro-europäisch in Polen." Sein Land wolle sich aktiv an europäischer Politik beteiligen. Es gebe noch viel Raum für Verbesserungen, etwa im Bereich der Dienstleistungsfreiheit. Mit einem europäischeren Markt für Dienstleistungen entstehe mehr Wettbewerb in der gesamten EU, sagte Morawiecki.

Redaktion beck-aktuell, 26. Januar 2018 (dpa).

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