Corona-Sondervermögen in Hessen verfassungswidrig

Das milliardenschwere Corona-Sondervermögen des Landes Hessen zur Abmilderung der Pandemie-Folgen (Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz) ist mit der Verfassung des Landes unvereinbar. Dies hat der hessische Staatsgerichtshof in Wiesbaden entschieden. Das Land muss nun bis Ende März 2022 eine Neuregelung schaffen. Bis dahin gölten die für verfassungswidrig erklärten Vorschriften fort.

Abgeordnete stellten Normenkontrollantrag

Die Antragsteller - 40 Mitglieder des Hessischen Landtags und der Fraktion der AfD im Hessischen Landtag - rügten mit ihrem Normenkontrollantrag, das "Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz" verstoße gegen haushaltsverfassungsrechtliche Grundsätze, gegen das Budgetrecht des Landtags und gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Neuverschuldung. Sie waren zudem der Meinung, dass auch einzelne Bestimmungen des Haushaltsgesetzes 2020 in der Fassung des 2. Nachtragshaushaltsgesetzes, die überwiegend auf das Sondervermögen "Hessens gute Zukunft sichern" Bezug nehmen oder mit ihm in einer engen Verbindung stehen, gegen die Hessische Verfassung verstießen. Sie griffen zudem das 2. Änderungsgesetz zum Artikel 141-Gesetz an, mit dem das Zweidrittelerfordernis für einen Landtagsbeschluss zur Ermächtigung von Kreditaufnahmen in Abweichung von der Schuldenbremse mit einfacher Mehrheit aufgehoben wurde, und machten diesbezüglich eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips geltend.

StGH: Sondervermögen mit Haushaltsverfassungsrecht unvereinbar

Der Staatsgerichtshof hat entscheiden, dass das "Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz" mit der Verfassung des Landes Hessen unvereinbar ist. Zum einen verstoße das Sondervermögen zur Bewältigung der Corona-Krise "Hessens gute Zukunft sichern" gegen Grundsätze des Haushaltsrechts und gegen das Budgetrecht des Landtags. Das Sondervermögen durchbreche die haushaltsverfassungsrechtlichen Grundsätze der Einheit und Vollständigkeit des Haushaltsplans, die in Art. 139 Abs. 2 Hessische Verfassung normiert seien. Der Hessische Landtag besitze keine substanzielle Möglichkeit, auf die konkrete Verwendung der durch das Sondervermögen bereitgestellten Mittel Einfluss zu nehmen. Das auch im Vergleich zum Gesamthaushalt des Landes Hessen außergewöhnliche Volumen des Sondervermögens in Höhe von 12 Milliarden Euro, die Erstreckung der Kreditermächtigung über vier Haushaltsjahre und die unbestimmten Zwecksetzungen des Gesetzes führten in einer Gesamtschau zu einer unzulässigen Verlagerung von haushalterischen Kompetenzen auf die Exekutive.

Verstoß gegen die Schuldenbremse

Das Sondervermögen verstoße zudem gegen die Schuldenbremse des Art. 141 Abs. 1 der Hessischen Verfassung. Es fehle an einer hinreichenden Begründung, dass die kreditfinanzierten Maßnahmen zur Krisenbewältigung geeignet, erforderlich und angemessen sowie final auf die Beseitigung der Notsituation gerichtet seien. Die im "Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz" angelegte 30-jährige Tilgungsfrist für die aufgenommenen Kredite seien dagegen unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Notsituation, ihrer besonderen Umstände, der Höhe der Kredite und der allgemeinen, zu erwartenden Finanzlage des Landes vertretbar. Der Staatsgerichtshof hat auch die Bestimmungen des Haushaltsgesetzes 2020 als mit der Verfassung des Landes Hessen unvereinbar erklärt, die auf das Sondervermögen "Hessens gute Zukunft sichern" Bezug nehmen. Mit der Verfassungswidrigkeit des "Gute-Zukunft-Sicherungsgesetzes" und damit einhergehend mit der Verfassungswidrigkeit des Sondervermögens verlören die entsprechenden Regelungen und Titel ihren Sinn, da sie mit dem Sondervermögen derart verflochten seien, dass sie eine untrennbare Einheit bildeten.

Gesetz zur Änderung des Artikel 141-Gesetzes nicht zu beanstanden

Der Staatsgerichtshof hat zudem festgestellt, dass das Zweite Gesetz zur Änderung des Artikel 141-Gesetzes mit der Verfassung des Landes Hessen vereinbar sei. Dass das im Artikel 141-Gesetz enthaltene Zweidrittelmehrheitserfordernis für einen Landtagsbeschluss zur Ermächtigung von Kreditaufnahmen in Abweichung von der Schuldenbremse mit einfacher Mehrheit aufgehoben wurde, verstoße nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip. Das Zweidrittelmehrheitserfordernis habe keinen Verfassungsrang gehabt und mit einfacher Mehrheit geändert werden können. Eine einfachgesetzliche Selbstbindung des Gesetzgebers widerspreche dem Demokratieprinzip.

Bestimmungen bis zur Neuregelung weiter anwendbar

Die angegriffenen Normen seien im tenorierten Umfang nicht für nichtig, sondern für unvereinbar mit der Verfassung des Landes Hessen erklärt worden. Rückabwicklungspflichten für bereits verausgabte Mittel ergäben sich hieraus nicht. Auch blieben bereits nach dem "Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz" bewilligte Maßnahmen und eingegangene Verpflichtungen von der Unvereinbarkeitserklärung unberührt. Bis zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung, längstens jedoch bis zum 31.03.2022, seien die von der Unvereinbarkeitserklärung betroffenen Bestimmungen weiterhin mit der Maßgabe anwendbar, dass in dieser Übergangszeit Maßnahmen nur neu genehmigt und finanziert werden dürfen, wenn sie einen eindeutigen Bezug zur Corona-Pandemie aufweisen.

Redaktion beck-aktuell, 28. Oktober 2021.