Neue Beweismittel erforderlich
Durch die Reform ist es künftig möglich, Strafprozesse zu schwersten Straftaten wie Mord, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erneut aufzurollen, auch wenn sie zuvor mit einem Freispruch endeten. Voraussetzung ist, dass es neue Beweismittel gibt und dadurch eine Verurteilung des Freigesprochenen wahrscheinlich ist. Neue belastende Informationen können etwa durch neue Untersuchungsmethoden und Fortschritte in der digitalen Forensik zutage treten.
Streit um verfassungsrechtliche Fragen
Es gebe jedoch verfassungsrechtliche Fragen, die in Rechtsprechung und Literatur streitig behandelt würden, schrieb Steinmeier laut Präsidialamt in seinem Brief an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesratspräsident Bodo Ramelow. Er sehe "jedenfalls einige dieser Zweifel nach eingehenden Gesprächen mit Verfassungs- und Strafrechtsexpertinnen und -experten bestätigt". So gebe es Bedenken, weil niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden dürfe. Diese Vorgabe des Grundgesetzes schütze nach allgemeiner Auffassung auch vor jeder weiteren Strafverfolgung nach Freispruch oder gerichtlicher Einstellung eines Verfahrens.
Zweifel an Vereinbarkeit mit Rückwirkungsverbot
Außerdem sei zweifelhaft, ob das Gesetz mit dem sogenannten Rückwirkungsverbot vereinbar sei. "Mit der Erweiterung der Wiederaufnahmegründe bei Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen gegen eine Person würden Freisprüche indes rückwirkend grundsätzlich in Frage gestellt", argumentierte Steinmeier laut Präsidialamt. "Die Freigesprochenen sähen sich zukünftig in der Situation, dass ihr Freispruch nachträglich in einen Schwebezustand geriete."