Status quo zur Energiesituation in Deutschland

Öl, Gas, Strom – was die meisten von uns bis vor Kurzem für so selbstverständlich gehalten haben wie das Wasser aus der Leitung, könnte diesen Winter nach rund 50 Jahren erstmals wieder knapp werden. Energiesparen heißt die Devise. Deutschland hat bereits auf den angespannten Gasmarkt reagiert. Wir geben einen Überblick über die aktuelle Versorgungslage und die rechtlichen Rahmenbedingungen.

Blick zurück: Autofreie Sonntage in den Siebzigern

Dass Energiesparen in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben sein kann, ist nichts neues. In den Siebzigerjahren verhängten die arabischen Ölproduzenten ein Embargo gegen die USA. Hintergrund war der Krieg, den Ägypten, Syrien und weitere arabische Staaten gegen Israel geführt hatten, welches von den USA unterstützt wurde. Der Ölpreis schoss in die Höhe, es folgte eine weltweite Rezession. Auch in Deutschland musste Öl gespart werden. Zu diesem Zweck ordnete die Bundesregierung vier autofreie Sonntage an und setzte ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen fest. Rechtsgrundlage war das 1973 beschlossene Energiesicherungsgesetz (EnsiG). Dieses war zunächst bis 1974 befristet, wurde dann aber erneut beschlossen und gilt seit 1979 dauerhaft.

Notfallplan Gas

Heute ist das EnsiG wieder hochaktuell. Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat das Bundeswirtschaftsministerium Ende März dieses Jahres zunächst die Frühwarnstufe und im Juni die Alarmstufe des sogenannten Notfallplans Gas ausgerufen. Um Störungen bei der Gasversorgung zu begegnen, sieht das EnsiG mit dem Notfallplan Gas ein Verfahren mit drei Eskalationsstufen vor, die abhängig von der Schwere der Störung ausgerufen werden können: die Frühwarnstufe, die Alarmstufe und die Notfallstufe. Den einschlägigen rechtlichen Rahmen für den Notfallplan Gas bildet die Verordnung (EU) Nr. 2017/1938 über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 994/2010 (die "SoS-Verordnung"). In Art. 11 Abs. 1 der SoS-Verordnung sind diese drei Krisenstufen definiert. National sind die Vorgaben der SoS-Verordnung neben dem EnsiG auch im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und in der Gassicherungsverordnung umgesetzt. 

Novelle des Energiesicherungsgesetz

Was der Notfallplan Gas konkret bedeutet, erklärt die Energierechtlerin Franziska Lietz im Interview mit der NJW (Ausgabe 33/2022 vom 11.08.2022). Demnach habe das Ausrufen der beiden ersten Stufen zunächst keine unmittelbaren Rechtsfolgen gehabt. Seitdem habe der Gesetzgeber aber zwei Novellen des EnsiG beschlossen und dabei das Bestehen der Alarmstufe als Anknüpfungspunkt für bestimmte Rechtspflichten gewählt. Dies seien vor allem die Preisanpassungsrechte der Gasversorger nach den §§ 24 und 26 EnSiG sowie das Leistungsverweigerungsrecht der Versorger nach § 27 EnSiG. Anordnungen der BNetzA, etwa gegenüber Letztverbrauchern, Lieferanten oder Netzbetreibern, den Gasbezug einer bestimmten Abnahmestelle zu reduzieren oder einzustellen oder den Energieträger Erdgas durch andere Energieträger zu substituieren, seien in der Alarmstufe hingegen noch nicht möglich, so Lietz. Sobald allerdings die Notfallstufe ausgerufen werde, könnten unmittelbar Anordnungen durch die BNetzA oder die Länder als Lastverteiler erfolgen.

Gas-Sicherungsumlage

Das Bundeswirtschaftsministerium hat außerdem neue Befugnisse erhalten, wenn künftig die Gefahr besteht, dass Unternehmen ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht. So können russisch kontrollierte Gasspeicher zeitweilig unter deutsche Treuhandverwaltung genommen werden. Als letztes geeignetes Mittel und gegen Entschädigung soll sogar eine Enteignung möglich sein. Um die Wärme- und Energieversorgung in der kommenden Kälteperiode zu sichern, hat das Bundeskabinett zuletzt eine befristete Gas-Sicherungsumlage verabschiedet. Übergreifendes Ziel ist, die Marktmechanismen und Lieferketten so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und Insolvenzen von Gashändlern sowie Dominoeffekte in der Lieferkette der Energiewirtschaft zu verhindern.

Derzeit keine Verpflichtung zum Energiesparen für Privathaushalte

Im Übrigen verweist Lietz darauf, dass es nach geltender Rechtslage nicht so einfach möglich sei, in Privathaushalten die Temperatur zu reduzieren. Es gelte § 53a EnWG, nach dem sogenannte geschützte Kunden so weit es geht mit Erdgas versorgt werden müssten. Darunter fielen neben Haushaltskunden auch kleinere Gewerbebetriebe wie Friseursalons oder Anwaltskanzleien. Ebenfalls geschützt seien insbesondere "grundlegende soziale Dienste", also Krankenhäuser, Feuerwehr oder Polizei. Der Schutz dieser Verbraucher beruhe auf der europäischen SOS-Verordnung, so dass deren Schlechterstellung nur durch den Gesetzgeber und immer zuerst auch europarechtlich ansetzen müsste. Bislang könne also insoweit nur auf die freiwillige Mitwirkung der geschützten Kunden beim Einsparen von Erdgas gesetzt werden.

Blick nach vorne - wer haftet bei möglichem "Blackout"?

Bislang habe die BNetzA noch keine feststehenden Kriterien vorgelegt, nach denen eine Gasverteilung erfolgen könnte, sondern nur einen Katalog von möglichen Kriterien genannt, die aber noch modifiziert bzw. ergänzt werden sollen, so Lietz weiter. Grundsätzlich komme es darauf an, welche Auswirkungen die Reduzierung bei einem bestimmten Unternehmen hätte, also ob beispielsweise Umwelt-, Personen-

oder Anlagenschäden durch die Gasabschaltung drohen. Wer bei der Verteilung leer ausgehe, könnte zwar rein theoretisch Schadensersatz geltend machen. Tatsächlich seien diese Ansprüche aber nicht ohne weiteres durchsetzbar. Lietz vermutet, dass die allermeisten Unternehmen bei einer Gasbezugsreduzierung Rechtsschutz suchen. Das OLG Düsseldorf, dem für die Beschwerde gegen energierechtliche Verwaltungsakte der BNetzA eine Sonderzuständigkeit zukomme, dürfte nach ihrer Einschätzung auf eine solche Antragsflut allerdings nicht vorbereitet sein. Auch Rechtsanwalt Salvatore Figuccio (NJW Ausgabe 32/2022) hält die Aussichten auf Entschädigung für gering. Die spezialgesetzlichen §§ 11 und 12 EnSiG setzten für einen Entschädigungsanspruch eine Enteignung voraus, die bei einer Verfügung, die die weitere Belieferung mit Gas untersagt, nie vorliegen werde. Für den noch bleibenden Anspruch auf Härtefallausgleich sei eine Existenzgefährdung/-vernichtung oder ähnliche unbillige Härte notwendig. Ansprüche aus Amtspflichtverletzung (vormaliger) Minister und Abgeordneter dürften in Anbetracht der restriktiven Rechtsprechung des BGH zur Einschätzungsprärogative der Entscheidungsträger schwerlich zu begründen sein.

Redaktion beck-aktuell, 8. August 2022.