Staatsrechtslehrer distanzieren sich von Vosgerau: Ein Signal, aber bitte unauffällig
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Die Staatsrechtslehrervereinigung hat sich per Beschluss von ihrem Mitglied Ulrich Vosgerau wegen dessen mutmaßlicher Nähe zur AfD distanziert, wohl auch, um ein Signal zu setzen. Darüber sprechen will aber niemand – warum nur?

Es war ein besonderes Ereignis, als Ende September bekannt wurde, dass sich die Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer (VDStRL) möglicherweise von ihrem Mitglied Ulrich Vosgerau distanzieren würde. Wie der Antrag genau seinen Weg in die Presse fand, ist nicht bekannt. Aber die Nachricht, dass diese als konservativ bekannte Institution nun einen so politischen Streit ausfocht, fand viel Beachtung. Zum einen deshalb, weil so etwas in der Geschichte der über 100 Jahre alten renommierten Vereinigung noch nie vorgekommen war. Zum anderen aber auch, weil es für die Vereinigung höchst ungewöhnlich ist, dass interne Debatten überhaupt nach außen dringen. Denn die VDStRL gilt als verschwiegen, interne Streitigkeiten werden i. d. R. nicht öffentlich ausgetragen.

Inzwischen ist bekannt, dass der Antrag mit der bereits bekannten Formulierung auf der Jahrestagung am 09. Oktober in Luzern beschlossen worden ist: "Nach unserer Überzeugung hat sich Ulrich Vosgerau in den letzten Jahren zunehmend als Begleiter rechtsextremer Kräfte in Verfassungsfragen gezeigt. In dieser Rolle hat er an dem Treffen des 'Düsseldorfer Forums' am 25. November 2023 in Potsdam teilgenommen, zu dem auch der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner als Redner eingeladen war. Wir distanzieren uns davon, dass ein Mitglied der Staatsrechtslehrervereinigung seine Expertise jenen Kräften zur Verfügung stellt, die dieses Wissen dazu nutzen, die freiheitlich-demokratische Verfassungsordnung im rechtsextremen Sinne zu unterminieren."

Eine Distanzierung, über die niemand sprechen will

Wie aus Teilnehmerkreisen zu hören ist, wurde der Antrag, der u. a. von der ehemaligen Richterin am BVerfG Susanne Baer sowie Klaus Ferdinand Gärditz, Matthias Jestaedt, Christoph Möllers und Christoph Schönberger initiiert wurde, auf der Tagung kontrovers diskutiert. Kaum jemand verteidigte Vosgerau, doch vielen behagte der Gedanke nicht, sich als Vereinigung in dieser Weise politisch zu positionieren. Man fürchtete, es könne sie perspektivisch zersetzen.

Umso mehr ist man im Nachhinein offenbar bemüht, die Streitigkeit nicht weiter eskalieren zu lassen. Diverse Mitglieder wollten auf beck-aktuell-Nachfrage allenfalls im Vertrauen oder ohne Namensnennung über die Angelegenheit sprechen, aus Sorge, die pikante Angelegenheit könne sich medial verselbstständigen. Dabei gibt es interessante Fragen, die man stellen würde, etwa: Plant die Vereinigung eine Satzungs-Änderung, die künftig in derartigen Fällen einen Ausschluss ermöglichen würde? Denn die etwas unklar anmutende "Distanzierung" hat keine Rechtsfolgen, ein Ausschluss käme bei derzeitiger Lage wohl nicht in Betracht.

Der VDStRL-Vorsitzende Martin Nettesheim teilte auf beck-aktuell-Anfrage lediglich mit: "Ich bitte um Verständnis, dass ich Fragen, die den (abgeschlossenen oder auch laufenden) vereinsinternen Willensbildungsprozess betreffen, nicht in der (Medien-)Öffentlichkeit erörtern will. Gleiches gilt für die Erörterung vereinsinterner Zukunftsplanungen und Einschätzungen: Wir wollen diese im Mitgliederkreis erörtern, nicht aber vorab in der Medienöffentlichkeit." Und selbst aus den Reihen der Initiatorinnen und Initiatoren war – soweit angefragt – niemand bereit, öffentlich über den Beschluss zu reden. Mund abputzen und weitermachen, scheint die Devise. Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.

Vosgerau-Anwalt: "Antrag durchgestochen, um Mandanten öffentlich anzuzählen"

Wer die Angelegenheit jedoch vermutlich nicht auf sich beruhen lassen wird, ist der Betroffene selbst. Ulrich Vosgerau, der seine Lehrtätigkeit in Köln inzwischen zugunsten der Anwaltschaft aufgegeben hat, behält sich nach Aussage seines Anwalts Carsten Brennecke von der Kölner Kanzlei Höcker Rechtsanwälte rechtliche Schritte gegen den Beschluss vor. In einem Schreiben, das Brennecke im Vorfeld der Luzerner Tagung an die Staatsrechtslehrervereinigung versandte und das beck-aktuell vorliegt, erklärt er, man halte die Distanzierung für eine vereinsrechtliche Sanktionsmaßnahme, für die es in der Satzung keine Grundlage gebe. 

Für Brennecke ist klar, was die Mitglieder mit dem Distanzierungsbeschluss bezweckt hätten: Er sei "gerade auf eine öffentliche Verbreitung angelegt, weil eine Distanzierung sonst sinnlos wäre". "Der Umstand, dass der Distanzierungsantrag aus dem Verein an die Medien durchgestochen wurde, um unseren Mandanten öffentlich anzuzählen und sicherlich auch um den Vorstand und die anderen Vereinsmitglieder unter Zugzwang zu setzen, belegt, dass es die Initiatoren gerade auf eine öffentliche Wirkung ankommt", heißt es in dem Schreiben weiter.

Ein Signal nach innen?

Doch was war nun die Motivation hinter dem Antrag? Wollte man ein Signal senden? Ein Mitglied, das nicht zur Gruppe der Antragsverfasserinnen und -verfasser gehört, mutmaßt im Gespräch mit beck-aktuell, es sei darum gegangen, zu zeigen, dass man "nicht bloß im Elfenbeinturm der Wissenschaft" lebe und klarmachen wolle, dass die Staatsrechtslehrerinnen und -lehrer eine zu große Nähe zum rechten Rand nicht dulden. Doch an wen soll dieses Signal gerichtet sein, wenn man es nach eigener Aussage nicht nach außen kommunizieren will?

Hört man sich unter den Mitgliedern um, die den Antrag verfasst, bzw. unterstützt haben,  drängt sich auf: Die Botschaft war nicht in erster Linie für die breite (Fach-)Öffentlichkeit gedacht, sondern für die Vereinigung selbst. Denn die VDStRL hat eine Historie mit rechten Juristenköpfen, gegenüber denen man in früheren Zeiten viel Nachsicht zeigte. Nun ringt man darum, was innerhalb dieser Wissenschaftsgesellschaft als tolerabel gelten soll und was nicht – der Antrag könnte also ein Anstoß für weitere Diskussionen gewesen sein.

Ob und wie die Angelegenheit durch rechtliche Schritte Vosgeraus weitergehen wird, ist derzeit noch nicht klar. Vosgerau selbst, der an der Mitgliederversammlung aufgrund beruflicher Termine nicht teilgenommen hatte, sei bis dato noch gar nicht über den Beschluss unterrichtet worden, teilt sein Anwalt Brennecke mit (Stand: 28.Oktober). Warum der Vorstand ihn bislang nicht übersandt habe, bleibe "unerfindlich". "Sobald der Vorstand dies nachgeholt hat, werden wir rechtliche Schritte prüfen und aller Voraussicht nach einleiten", so Brennecke.

Im Schriftsatz führt er unter Berufung auf die Kommentierung im Beck’schen BGB-Kommentar Grüneberg aus, dass die Maßnahme Sanktionscharakter ähnlich einer Rüge habe und es hierfür in jedem Fall einer Rechtsgrundlage bedürfe. Abgesehen von der Grundlage für einen Ausschluss, die hier nicht gegeben sei, enthalte die Satzung der VDStRL aber keine Normen für eine Sanktion. Zudem sei der Vorwurf, Vosgerau habe sich "in den letzten Jahren zunehmend als Begleiter rechtsextremer Kräfte in Verfassungsfragen gezeigt", auf vereinsexternes Verhalten bezogen und "vollkommen pauschal und unsubstantiiert". Warum die Teilnahme am berüchtigten Potsdamer Treffen ein Fehlverhalten begründen sollte, sei nicht nachzuvollziehen. In dem Schreiben findet auch Erwähnung, dass vor diesem Hintergrund bereits im Januar auf Antrag eines oder mehrerer Mitglieder ein Ausschluss von Vosgerau geprüft, aber im Ergebnis verworfen worden war.

Wie auch immer der Streit zwischen Vosgerau und der Staatsrechtslehrervereinigung nun weitergeht, der Öffentlichkeit wird er kaum verborgen bleiben.

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 28. Oktober 2024.