Abgeordnetenzahl im Hessischen Landtag bleibt bei 137
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Die Wahl zum Hessischen Landtag vom 28.10.2018 ist gültig. Die vom Landeswahlausschuss ermittelte Gesamtsitzzahl des Landtags von 137 Abgeordneten sei nicht zu beanstanden, so der Hessische Staatsgerichtshof. Damit waren die Wahlprüfungsbeschwerden der AfD-Fraktion im Landtag und eines Wahlberechtigten erfolglos. Eine Aufstockung auf 138 Sitze hätte zu einem Patt zwischen Regierung und Opposition geführt.

Problem: Acht Überhangmandate der CDU

Die Wahlprüfungsbeschwerden richteten sich gegen den Beschluss des Wahlprüfungsgerichts vom 18.12.2019, das die Landtagswahl 2018 ebenfalls für gültig erklärt hatte. Beide Antragsteller rügten, das Ergebnis der Wahl sei unrichtig festgestellt worden, da sich die Gesamtzahl der Abgeordnetensitze des Landtags nicht auf 137, sondern auf 138 Mandate belaufen müsse. Das zusätzliche Mandat entfalle auf die AfD-Fraktion. Hintergrund dieses Vorbringens war, dass die CDU in den Wahlkreisen 40 Abgeordnetenmandate direkt gewonnen hatte, während ihr nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gemäß ihrem Landesstimmenergebnis lediglich 32 Sitze zustanden. Hieraus ergaben sich für die CDU acht Überhangmandate mit der Folge, dass sich die in § 1 Abs. 1 LWG vorgesehene Gesamtzahl von 110 Abgeordnetensitzen gemäß § 10 Abs. 5 LWG um diese acht Mandate sowie um weitere Ausgleichsmandate erhöhen musste, die den übrigen Parteien zustehen.

Gesamtsitzzahl des Landtages schrittweise erhöht

Der Landeswahlausschuss hat zur Berechnung der Ausgleichsmandate die Gesamtsitzzahl des Landtages schrittweise so lange um jeweils ein Mandat erhöht, bis der CDU unter Anwendung des in § 10 Abs. 3 LWG geregelten Sitzzuteilungsverfahrens nach Hare/Niemeyer die 40 Mandate auch auf Grundlage ihres Landesstimmenergebnisses zugeteilt werden konnten. Dies war erstmals bei 137 Gesamtsitzen der Fall. Jedoch hätte die CDU die ihr zustehenden 40 Mandate auch bei 138, 139 und 140 Gesamtsitzen erhalten.

Bei einem Mandat mehr keine Mehrheit mehr für Landesregierung

Ohne den Anfall von Überhangmandaten wären auf die Fraktionen CDU und Bündnis 90/Die Grünen im Landtag mit der gesetzlichen Regelgröße von 110 Abgeordneten zusammen 55 Mandate entfallen, ebenso viele auf die übrigen Fraktionen. Die derzeitige Landesregierung hätte somit über keine parlamentarische Mehrheit verfügt. Bei der Gesamtsitzzahl von 137, die der Landeswahlausschuss als Folge der Überhang- und Ausgleichsmandate ermittelt hat, verfügen die Fraktionen CDU und Bündnis 90/Die Grünen nunmehr mit zusammen 69 Mandaten über eine Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag. Diese Mehrheit wäre nicht mehr gegeben, sofern sich die Gesamtsitzzahl auf 138 beliefe, da in diesem Fall das zusätzliche Mandat der AfD-Fraktion zustünde.

AfD-Fraktion sieht Erfolgschancengleichheit der Stimmen verletzt

Die AfD-Fraktion vertrat die Auffassung, das angewandte Verfahren zur Berechnung der Ausgleichsmandate entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben, führe zu einer ungerechtfertigten Bevorzugung derjenigen Partei, die die Überhangmandate errungen habe, und wahre nicht das sich aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit ergebende Gebot der Erfolgschancengleichheit der Stimmen. Die unverzerrteste Ermittlung der Gesamtgröße des Parlaments im Fall von Überhangmandaten sah sie in einer von ihr näher beschriebenen Dreisatzrechnung, die zu einer Gesamtzahl von 138 Abgeordneten geführt hätte. Der antragstellende Wahlberechtigte machte unter anderem geltend, dass die Erhöhung der Gesamtsitzzahl des Landtags als Folge der Überhang- und Ausgleichsmandate nicht zu einer Veränderung der politischen Mehrheitsverhältnisse führen dürfe, die ohne die zusätzlichen Mandate auf der Grundlage des Landesstimmenergebnisses in einem Landtag mit der gesetzlichen Regelgröße bestünden.

Staatsgerichtshof weist beide Wahlprüfungsbeschwerden ab

Der Staatsgerichtshof sah die Wahlprüfungsbeschwerde des weiteren Antragstellers als unzulässig an, soweit diese auf angebliche Wahlfehler gestützt worden war, die mit der Berechnung der Ausgleichsmandate nicht im Zusammenhang standen. Seine diesbezüglichen Rügen hatte der Antragsteller schon gegenüber dem Wahlprüfungsgericht nicht hinreichend begründet, was zu ihrer Unzulässigkeit auch im Verfahren der Wahlprüfungsbeschwerde vor dem Staatsgerichtshof führte. Im Übrigen erachtete der Staatsgerichtshof beide Wahlprüfungsbeschwerden als unbegründet. Die durch den Landeswahlausschuss ermittelte Gesamtsitzzahl des Landtags von 137 Abgeordneten sei im Ergebnis nicht zu beanstanden, sodass die hiergegen gerichteten Beschwerden erfolglos bleiben mussten.

Allein in LWG vorgesehenes mathematisches Verfahren maßgeblich

Die Auffassung der Antragsteller, im Fall von Überhangmandaten solle durch die Erhöhung der Gesamtzahl der Abgeordnetensitze diejenige Sitzproportion angestrebt werden, die sich ausgehend von den Landesstimmenergebnissen der einzelnen Parteien bei einem Landtag mit insgesamt 110 Sitzen ergeben würde, bewertete der Staatsgerichtshof als schon mit dem Wortlaut des § 10 Abs. 5 Satz 2 LWG unvereinbar. Gleiches gelte für die Annahme, die Gesamtsitzzahl des um die Überhang- und die Ausgleichsmandate vergrößerten Landtags müsse im Wege einer Dreisatzrechnung ermittelt werden. Auch komme es nicht auf die parlamentarisch-politischen Mehrheiten an, die nach dem Landesstimmenergebnis in einem Landtag mit der Größe von 110 Abgeordneten bestünden, sondern ausschließlich auf die rechtlichen Vorgaben im LWG, aus denen sich ein bestimmtes mathematisches Verfahren ergebe.

Staatsgerichtshof rügt Unregelmäßigkeit im Vorgehen des Landeswahlausschusses

Der Staatsgerichtshof führt in seiner Entscheidung weiter aus, dass die maßgebliche Regelung des § 10 Abs. 5 Satz 2 LWG ausgelegt werden müsse. Das vom Landeswahlausschuss angewandte Berechnungsverfahren stehe zwar mit dem Wortlaut der Norm in Einklang, jedoch folge aus der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der Vorschrift, dass durch die Erhöhung der Abgeordnetensitze eine Sitzverteilung erreicht werden müsse, die den jeweiligen Anteilen der in den Landtag eingezogenen Parteien an den insgesamt zu berücksichtigenden Landesstimmen bestmöglich entspreche und somit die bei jeder Sitzzuteilung unvermeidbare Beeinträchtigung der aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit abgeleiteten Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen so gering wie möglich halte. Dieser Vorgabe hätten der Landeswahlausschuss und ihm folgend das Wahlprüfungsgericht nicht vollständig entsprochen, weil sie die Erhöhung der Gesamtsitzzahl des Landtags in dem Moment hätten enden lassen, in dem der CDU das 40. Mandat auch auf Grundlage ihres Landesstimmenergebnisses zugestanden habe.

Vergleichsbetrachtung zwischen verschiedenen Gesamtsitzzahlen erforderlich

Erforderlich sei jedoch auf der letzten Stufe des Sitzzuteilungsverfahrens eine Vergleichsbetrachtung zwischen den verschiedenen Gesamtsitzzahlen gewesen, die gleichermaßen zu 40 Mandaten der CDU geführt hätten, somit zwischen den Zahlen 137, 138, 139 und 140. Die Erhöhung der Gesamtzahl der Abgeordnetensitze müsse bis zu derjenigen Zahl vorgenommen werden, bei der die Summe der Abweichungen zwischen den tatsächlichen Sitzanteilen der Parteien und ihren jeweiligen Anteilen an den zu berücksichtigenden Landesstimmen so klein wie möglich sei. Darin, dass diese Vergleichsbetrachtung unterblieben ist, sah der Staatsgerichtshof eine Unregelmäßigkeit im Wahlverfahren.

Unregelmäßigkeit aber ohne Auswirkung auf Mandatsverteilung

Allerdings habe sich diese Unregelmäßigkeit nicht auf die Mandatsverteilung im Landtag ausgewirkt, weshalb sie keinen Wahlfehler im Sinn von Art. 78 Abs. 2 der Hessischen Verfassung begründe. Denn die Summe der genannten Abweichungen betrage bei 137 Gesamtsitzen lediglich 0,7395 Prozentpunkte, während sie sich bei 138 Abgeordneten auf 1,1607 Prozentpunkte, bei 139 Abgeordneten auf 1,4703 Prozentpunkte und bei 140 Abgeordneten auf 1,4617 Prozentpunkte belaufe. Der notwendige Vergleich der in Betracht kommenden Gesamtsitzzahlen führe somit ebenfalls zu 137 Gesamtsitzen, weshalb die vom Landeswahlausschuss festgestellte Größe des Landtags im Ergebnis zutreffend sei.

Redaktion beck-aktuell, 11. Januar 2021.