Staatsanwaltschaften gehen nach Fall Amri strukturierter gegen Extremismus vor

Nach dem islamistischen Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz haben sich die Staatsanwaltschaften bundesweit neu aufgestellt. "In den Bundesländern wurden Staatsschutzzentren geschaffen und die Zuständigkeiten konzentriert", sagte der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Achim Brauneisen der Deutschen Presse-Agentur. Außerdem wurde ein Gefährdermanagement eingeführt.

Föderale Struktur der Strafverfolgung als Fehlerquelle erkannt

"Wir wollen damit Fehlerquellen, die sich aus der föderalen Struktur der Strafverfolgung ergeben können, eindämmen", erklärte Brauneisen. Der Jurist ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Extremismus der deutschen Generalstaatsanwälte. Die Neuaufstellung der Strafverfolgungsbehörden ging auf eine Initiative Brauneisens zurück.

Untersuchungsausschüsse sollen behördliche Versäumnisse aufdecken

Der tunesische Attentäter Anis Amri war am Abend des 19.12.2016 mit einem gekaperten Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gerast. Bei dem bislang schwersten islamistischen Anschlag auf deutschem Boden starben zwölf Menschen. Um die Hintergründe der Tat aufzuklären, hatten die Landesparlamente von Berlin und Nordrhein-Westfalen bereits 2017 Untersuchungsausschüsse eingerichtet. Der Bundestag steht vor der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Auch dieses Gremium soll Versäumnisse der Behörden aufdecken und daraus Konsequenzen für deren Arbeit ziehen.

Im Fall Amri mangelte es an Koordination der verschiedenen Stellen

Amri, der sich unter verschiedenen Identitäten als Asylbewerber in mehreren Bundesländern aufhielt, war den Behörden als sogenannter Gefährder schon länger bekannt. Dennoch war er vom Radar der Behörden verschwunden. Zig Stellen waren mit ihm befasst, ohne es voneinander zu wissen. "Dies wird jetzt anders", sagte Brauneisen. Im Fall Amri wurden Verfahren von verschiedenen Stellen nicht ausreichend koordiniert betrieben. "In den neuen Staatsschutzzentren laufen die Verfahren mit Staatsschutzbezug jetzt zusammen." Es sei nun besser gewährleistet, dass in unterschiedlichen Bezirken oder mehreren Ländern anhängige Verfahren gegen Terrorismusverdächtige in Sammelverfahren zusammengeführt werden.

Konzentration der Zuständigkeit für Terrorismusermittlungen

Außerdem wurde die Zuständigkeit für Terrorismusermittlungen in den Ländern radikal auf eine oder wenige Staatsanwaltschaften konzentriert, sagte Brauneisen. Vor dem Berliner Anschlag waren für Ermittlungen im Staatsschutzbereich etwa in Baden-Württemberg 21 Staatsanwaltschaften zuständig, nun seien es drei.

Gefährdermanagement eingeführt

Weiterer Baustein im neuen Konzept ist das Gefährdermanagement. Damit haben neben der Polizei nun auch die Staatsanwaltschaften bundesweit die jeweiligen Gefährder im Blick. "Wir wollen damit sicherstellen, dass Ermittlungsverfahren gegen einen Gefährder rechtzeitig bei einer Staatsanwaltschaft in einer Hand zusammengefasst werden", sagte Brauneisen.

Zahl der Verfahren mit Extremismusbezug steigt

Die Verfahren bei der Generalstaatsanwaltschaft in Stuttgart mit Extremismusbezug steigen stetig. "Im letzten Jahr hat der Generalbundesanwalt 74 Verfahren an uns abgegeben, im Jahr davor waren es 18", sagte die oberste Terrorfahnderin in Baden-Württemberg, Sandra Bischoff, der dpa. Diese Ermittlungsverfahren beträfen überwiegend Organisationen, die dem islamistischen Terrorismus zuzuordnen sind. Es gebe aber auch Fälle im Bereich des Ausländerextremismus. Zugleich wurden dem Generalbundesanwalt aus Baden-Württemberg im Jahr 2017 516 Verfahren zur Prüfung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland vorgelegt. Im Jahr 2016 gab es 128 Vorlagen. "Und schon im Januar 2018 sind es 102", sagte Brauneisen. Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat nach Aussagen von Brauneisen im Jahr 2017 beim Ermittlungsrichter des Oberlandesgerichts Stuttgart in den Terrorismusverfahren 306 Anträge auf operative Ermittlungsmaßnahmen wie etwa Durchsuchungen und Telekommunikationsüberwachungen gestellt. Im Jahr 2016 waren es 48 Anträge, im Jahr 2015 insgesamt nur 18.

Redaktion beck-aktuell, Tatjana Bojic, 8. Februar 2018 (dpa).

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