Staat muss nicht für Corona-Betriebsschließungen entschädigen
Lorem Ipsum
© picture alliance / Daniel Kubirski

Der Staat haftet nicht für Einnahmeausfälle, die durch die flächendeckenden vorübergehenden Corona-Betriebsschließungen oder Betriebsbeschränkungen entstanden sind. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden. Es bestünden weder Entschädigungs- noch Schadensersatzansprüche. Geklagt hatte ein Hotel- und Gastronomiebetreiber. 

Entschädigung wegen Corona-Betriebsschließungen begehrt 

Der Kläger ist Inhaber eines Hotel- und Gastronomiebetriebs. Am 22.03.2020 erließ das beklagte Land Brandenburg eine Corona-Eindämmungsverordnung, wonach Gaststätten für den Publikumsverkehr zu schließen waren und den Betreibern von Beherbergungsstätten untersagt wurde, Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen. Der Betrieb des Klägers war vom 23.03.2020 bis zum 07.04.2020 für den Publikumsverkehr geschlossen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Der Kläger erkrankte auch nicht. Während der Zeit der Schließung seiner Gaststätte bot er Speisen und Getränke im Außerhausverkauf an. Im Rahmen eines staatlichen Soforthilfeprogramms zahlte die Investitionsbank Brandenburg 60.000 Euro als Corona-Soforthilfe an ihn aus. Der Kläger hat geltend gemacht, es sei verfassungsrechtlich geboten, ihn und andere Unternehmer für die durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen zu entschädigen. Das Landgericht wies die auf Zahlung von rund 27.000 Euro (Verdienstausfall, nicht gedeckte Betriebskosten, Arbeitgeberbeiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung) nebst Prozesszinsen sowie auf Feststellung der Ersatzplicht des Beklagten für alle weiteren entstandenen Schäden gerichtete Klage ab. Die Berufung des Klägers blieb vor dem Oberlandesgericht erfolglos.

BGH: Kein Entschädigungsanspruch aus IfSG

Der Kläger drang auch mit seiner Revision nicht durch. Die Entschädigungsvorschriften des IfSG gewährten Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützte flächendeckende Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten hätten, weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung einen Anspruch auf Entschädigung, so der BGH§ 56 Abs. 1 IfSG sei von vornherein nicht einschlägig, weil die hier im Verordnungswege nach § 32 IfSG angeordneten Verbote gegenüber einer unbestimmten Vielzahl von Personen ergangen sind und der Kläger nicht gezielt personenbezogen als infektionsschutzrechtlicher Störer in Anspruch genommen wurde. Ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung ergebe sich auch nicht aus § 65 Abs. 1 IfSG. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut sei die Vorschrift nur bei Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten einschlägig. Im vorliegenden Fall hätten die Corona-Eindämmungsverordnung vom 22.03.2020 sowie die Folgeverordnungen vom 17.04.2020 und 24.04.2020 jedoch der Bekämpfung der COVID-19-Krankheit gedient. Diese habe sich bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung vom 22.03.2020 deutschlandweit ausgebreitet gehabt. § 65 Abs. 1 IfSG könne auch nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass der Anwendungsbereich der Norm auf Bekämpfungsmaßnahmen, die zugleich eine die Ausbreitung der Krankheit verhütende Wirkung haben, erstreckt wird.

Vorschriften keiner verfassungskonformen Auslegung zugänglich

Eine verfassungskonforme Auslegung der beiden Regeln dahingehend, dass auch in der vorliegenden Fallgestaltung eine Entschädigung zu gewähren sei, wie es in einem gestern veröffentlichten Beschluss einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts (BeckRS 2022, 4309) kursorisch in Erwägung gezogen worden sei, scheidet laut BGH aus. Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm setze voraus, dass mehrere Deutungen möglich sind. Sie finde ihre Grenze an dem klaren Wortlaut der Bestimmung und dürfe nicht im Widerspruch zu dem eindeutig erkennbaren Willen des Gesetzes stehen. Der Wortlaut der §§ 56, 65 IfSG sei indes klar und lasse keine ausdehnende Auslegung zu. Zudem würde der eindeutige Wille des Gesetzgebers konterkariert, nur ausnahmsweise aus Gründen der Billigkeit eine Entschädigung für Störer im infektionsschutzrechtlichen Sinn vorzusehen, stellt der BGH heraus.

IfSG-Entschädigungsvorschriften auch nicht analog anwendbar

Der Kläger könne den geltend gemachten Entschädigungsanspruch auch nicht auf eine analoge Anwendung von § 56 Abs. 1 IfSG oder § 65 Abs. 1 IfSG stützen. Es fehle bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Den infektionsschutzrechtlichen Entschädigungstatbeständen liege, was sich insbesondere aus ihrer Entstehungsgeschichte und der Gesetzgebungstätigkeit während der Corona-Pandemie ergebe, die abschließende gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, Entschädigungen auf wenige Fälle punktuell zu begrenzen und Erweiterungen ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen ("Konzept einer punktuellen Entschädigungsgewährung"). Darüber hinaus fehle es auch an der Vergleichbarkeit der Interessenlage zwischen den Entschädigungsregelungen nach §§ 56, 65 IfSG und flächendeckenden Betriebsschließungen, die auf gegenüber der Allgemeinheit getroffenen Schutzmaßnahmen beruhten.

Landesordnungsbehördengesetz tritt hinter IfSG zurück

Das Berufungsgericht habe einen Entschädigungsanspruch aus § 38 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit § 18 des Ordnungsbehördengesetzes für das Land Brandenburg zu Recht abgelehnt. Als spezialgesetzliche Vorschriften der Gefahrenabwehr hätten die Bestimmungen des IfSG Anwendungsvorrang und entfalteten eine Sperrwirkung gegenüber den Regelungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts.

Auch keine Ansprüche aus enteignendem Eingriff

Ansprüche aus dem richterrechtlich entwickelten Haftungsinstitut des enteignenden Eingriffs scheitern aus Sicht des BGH daran, dass das den §§ 56, 65 IfSG zugrunde liegende und gesetzgeberisch als abschließend gedachte Konzept einer punktuellen Entschädigung im Bereich der Eigentumseingriffe nicht durch die Gewährung richterrechtlicher Ansprüche unterlaufen werden dürfe. Unabhängig davon sei der Anwendungsbereich des Rechtinstituts des enteignenden Eingriffs nicht eröffnet, wenn es darum geht, im Rahmen einer Pandemie durch flächendeckende infektionsschutzrechtliche Maßnahmen, die als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG anzusehen seien, verursachte Schäden auszugleichen. Es stünde - wie der Senat wertungsmäßig vergleichbar bereits in dem Waldschädenurteil vom 10.12.1987 (NJW 1988478) ausgesprochen habe - in einem offenen Widerspruch zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung, wenn die Gerichte - gestützt auf das richterrechtliche Institut des enteignenden Eingriffs - im Zusammenhang mit einer Pandemiebekämpfung im Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG massenhafte und großvolumige Entschädigungen zuerkennen würden.

Auch keine Entschädigung unter Aspekt ausgleichspflichtiger Inhaltsbestimmung

Ebenso wenig könne dem Kläger unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der sogenannten ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung des Eigentums eine Entschädigung zuerkannt werden. Es erscheine bereits sehr zweifelhaft, ob dieses Rechtsinstitut, das bislang vor allem auf Härtefälle bei unzumutbaren Belastungen einzelner Eigentümer angewandt worden sei, geeignet sei, auf Pandemielagen sachgerecht im Sinne einer gerechten Lastenverteilung zu reagieren. Jedenfalls wäre es im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung nicht zulässig, dem Kläger vorliegend einen Ausgleichsanspruch kraft Richterrechts unter dem Gesichtspunkt der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung zu gewähren.

Hilfeleistungen für schwer getroffene Wirtschaftsbereiche keine Aufgabe der Staatshaftung

Hilfeleistungen für von einer Pandemie schwer getroffene Wirtschaftsbereiche seien keine Aufgabe der Staatshaftung. Vielmehr folge aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dass die staatliche Gemeinschaft Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden seien und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis träfen. Hieraus folge zunächst nur die Pflicht zu einem innerstaatlichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen ist. Erst eine solche gesetzliche Regelung könne konkrete Ausgleichsansprüche der einzelnen Geschädigten begründen, so der BGH. Dieser sozialstaatlichen Verpflichtung könne der Staat zum Beispiel dadurch nachkommen, dass er - wie im Fall der COVID-19-Pandemie geschehen - haushaltsrechtlich durch die Parlamente abgesicherte Ad-hoc-Hilfsprogramme auflegt ("Corona-Hilfen"), die die gebotene Beweglichkeit aufweisen und eine lageangemessene Reaktion zum Beispiel durch kurzfristige existenzsichernde Unterstützungszahlungen an betroffene Unternehmen erlaubten.

Auch keine Ansprüche aus Amtshaftung und enteignungsgleichem Eingriff

Ansprüche aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG) und enteignungsgleichem Eingriff sowie nach § 1 Abs. 1 des Staatshaftungsgesetzes des Landes Bandenburg habe das Berufungsgericht zu Recht abgelehnt. Die Corona-Eindämmungsverordnung vom 22.03.2020 und die Folgeverordnungen vom 17. und 24.04.2020 seien als solche rechtmäßig gewesen. Die getroffenen Schutzmaßnahmen, insbesondere die angeordneten Betriebsschließungen, seien erforderlich gewesen, um die weitere Ausbreitung der COVID-19-Krankheit zu verhindern. Dies habe die Revision auch nicht in Frage gestellt.

BGH, Urteil vom 17.03.2022 - III ZR 79/21

Redaktion beck-aktuell, 17. März 2022.