Es habe sich kein Nachweis für ein strafrechtlich relevantes Verhalten feststellen lassen, teilte die Behörde am Donnerstag mit. Gleichwohl sei der Katastrophenschutz im Landkreis unzureichend organisiert gewesen, wofür zuvorderst der Landrat die Verantwortung trage.
In einer für eine staatsanwaltschaftliche Einstellungsentscheidung ungewöhnlich langen Mitteilung, die am Donnerstag veröffentlicht wurde, äußerte sich der Leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler höchst detailliert zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens und ließ am Ende der Erklärung gar persönliche Gefühle einfließen.
In ihrer Mitteilung hob die Staatsanwaltschaft immer wieder hervor, wie außergewöhnlich die Ereignisse in der Ahr-Region im Juli 2021 gewesen und dass sie in dieser Dramatik nicht vorherzusehen gewesen seien. Dies bestätigte ein von der Ermittlungsbehörde beauftragtes hydrologisches Sachverständigengutachten. Es habe sich um "eine hochkomplexe Sturzflut mit pulsierend-dynamischen Abflussmengen, untypisch hoher kinetischer Energie, extrem hoher Abflussgeschwindigkeit, massivem Treibgut und schwallartigen Wellen sowie Rückstauungen auslösenden Verklausungen" gehandelt, so die Staatsanwaltschaft. "Die Flut 2021 hat alles, was die Menschen zuvor erlebt haben, weit übertroffen und war für Anwohner, Betroffene, Einsatzkräfte und Einsatzverantwortliche gleichermaßen subjektiv unvorstellbar", heißt es im Schreiben. Eine vergleichbare Flut habe es in der Region zuletzt im Jahr 1804 gegeben, jedoch unter völlig anderen äußeren Bedingungen. So hätten die Ermittlungen gezeigt, dass der Wasserstand 2021 trotz vergleichbarer Abflussmenge örtlich teilweise fast 30% höher gelegen habe als bei der Flut vor über 200 Jahren.
Staatsanwaltschaft zeichnet Geschehnisse akribisch nach
In der Folge zeichnen die Ermittlerinnen und Ermittler die Geschehnisse ab dem Nachmittag des 17. April 2021 akribisch nach. Dabei schildern sie, wie dynamisch sich die Situation in den verschiedenen Ahr-Gebieten entwickelte, wie die Pegelstände plötzlich rapide stiegen und wie überfordert die Einsatzkräfte letztlich waren. So waren die Einsatzteams an der Ober- und Mittelahr gegen Abend so mit der Rettung von Menschen beschäftigt, dass sie es nicht mehr schafften, aktuelle Lagebilder nach Ahrweiler zu übermitteln. So wusste die Technische Einsatzleitung nicht, was im Laufe des Abends noch auf sie zukommen würde. Zwischen 20.00 Uhr und 21.30 Uhr, so die Ermittler, sei der Einsatzleitung dann immer weiter bewusst geworden, wie dramatisch die Situation war. Der tatsächlich erreichte Pegelstand von zehn Metern sei aber von niemandem für möglich gehalten worden. Zu diesem Zeitpunkt sei eine organisierte Evakuierung des Gebiets bereits nicht mehr möglich gewesen.
In der Mitteilung thematisierte die Staatsanwaltschaft auch die dramatischen Geschehnisse in einer Betreuungseinrichtung, in der zwölf Bewohnerinnen und Bewohner ertranken. Die Rettungskräfte wie auch der Betreuer seien von der plötzlichen Flut überrascht worden und hätten die Menschen nicht mehr retten können, stellen die Ermittlerinnen und Ermittler fest.
Mangelnde Organisation des Katastrophenschutzes, unzureichende Warnungen
Gleichwohl konstatiert die Staatsanwaltschaft in ihrer Mitteilung, der Katastrophenschutz im Landkreis Ahrweiler sei unzureichend organisiert gewesen. Das Führungssystem des Katastrophenschutzes des Landkreises habe "eine ganze Reihe von Mängeln" aufgewiesen, wofür "in erster Linie der politisch und administrativ gesamtverantwortliche ehemalige Landrat" die Verantwortung trage. Auch zu diesem Organisationsverschulden ließ sich die Staatsanwaltschaft von einem Gutachter beraten. Dieser monierte unter anderem fehlende oder nicht ausgeführte Alarm- und Einsatzpläne, fehlende Risikoanalysen, das Unterlassen systematischer Evakuierungsplanungen, unzureichende Verwaltungsorganisation, die zu geringe personelle Ausstattung der Einsatzleitung und schließlich den "eingeschränkte(n) Kompetenz- und Qualifikationsgrad" der Technischen Einsatzleitung. "Beachtliche Mängel", fand auch die Staatsanwaltschaft. Aber kein Grund für eine Anklage.
Das Verhalten des Landrats am Tag der Geschehnisse sei zwar bemüht, aber nicht ausreichend gewesen, erläuterte Staatsanwalt Mannweiler am Donnerstag bei der Vorstellung noch einmal. Es spreche viel dafür, dass bei den Warnungen mehr hätte gemacht werden können und müssen, so der Behördenleiter. Allerdings lasse sich kein sicherer Nachweis dafür führen, dass mit einem optimaleren Warnverhalten der Tod von Menschen hätte vermieden werden können. Warnungen ließen Menschen Handlungsspielräume. Bei der Ahr-Flut 2021 hätten sich auch Menschen Warnungen widersetzt, Einsatzkräfte hätten mit renitentem Verhalten zu tun gehabt.
"Wir wissen, wieviel Trauer und Erschütterung die Katastrophe ausgelöst hat"
Es sei zudem unklar, welche Menschen mit weiteren Warnungen erreicht worden wären, sagte Mannweiler. Einige Betroffene hätten keine Warn-Apps gehabt, andere seien im Schlaf von der Flut überrascht worden. Genauso unklar sei, wie andere Evakuierungsanordnungen gewirkt hätten. Aufgrund von Wahrscheinlichkeiten werde in Deutschland kein Mensch strafrechtlich verurteilt, erklärte der Leitende Oberstaatsanwalt.
Am Ende der schriftlichen Mitteilung erklärte die Staatsanwaltschaft, man sei sich bewusst, "dass die Flutkatastrophe unendliches Leid über die Menschen im Ahrtal gebracht hat. Wir wissen, wieviel die Menschen mitgemacht haben und noch immer mitmachen. Wir wissen, wieviel Trauer und Erschütterung die Katastrophe ausgelöst hat. Wir kennen zahlreiche Schilderungen menschlicher Schicksale und Verluste, die uns sehr betroffen machen." Die Behörde verwies jedoch auf ihre klar auf die Ermittlung von Straftaten beschränkte Aufgabe.